Ich habe mich erregt

Peter Gohle: Von der SDP-Gründung zur gesamtdeutschen SPD ist das erste Werk über die Ost-SPD, das sich intensiv mit der Quellenlage auseinandersetzt; und ist doch ein Buch, das die vielen Vorurteile, die über die 1989 neugegründete sozialdemokratische Partei in der DDR, im linken, sozialistischen, ja selbst sozialdemokratischen Milieu existieren, schlicht fortspinnt, wenn auch auf einem neuen Niveau. 

Es macht wenig Sinn, nur seine Aufregung darüber zu artikulieren. Und es geht auch gar nicht nur um die eigenen Affekte. Allerdings, warum sich selbst verleugnen? Schweigen bedeutet auch Hinnahme. Es ist Gold, sagt der Volksmund. Reden aber ist Silber. Auch dies ist ein Edelmetall. Ich gebe zu, dass ich mich schon häufig lieber mit letzterem beschieden habe.

 

 

Ich habe vieles in diesem und von diesem Buch gelernt, manches wieder neu gelernt, was bereits ins Vergessen geraten ist. Gohles Theorie über die Wahlniederlage der Ost-SPD bei der ersten freien Volkskammerwahl bereichert die Analysen über den damaligen Wahlausgang. Die Provokationen der und Parteipolitik der Ost-CDU, entweder weil sie unter Druck von Helmut Kohl geraten war, insbesondere ihr Chef, Ministerpräsident Lothar de Maiziere, bzw. den Herausforderungen in Bezug auf die Interessenvertretung der Ostdeutschen nicht mehr gewachsen war haben ganz erheblich zum Bruch der Großen Koalition beigetragen. Die Zusammenarbeit der beiden sozialdemokratischen Schwesterparteien in der DDR und der alten Bundesrepublik besonders in der Zeit nach dem 18.März widerspricht der Auffassung, dass Lafontaine nur Zankapfel war, und dass er die Deutsche Einheit nicht gewollt habe. Im Gegenteil, gerade sein Beitrag zur sozialdemokratischen Strategie den Prozess der Deutschen Einheit mit einer sozialdemokratischen Machtperspektive zu verbinden, wird von Gohle hervorgehoben. Das kann auch durch den Versuch der Rehabilitierung Lafontaines motiviert sein, hat aber Substanz. Die enge Verzahnung von Ost- und West-SPD war hilfreich wie gleichzeitig notwendig, und nicht einfach das Ergebnis, wie Gohle leichthin unterstellt, der Abhängigkeit des Ostens vom Westen, sondern das auf einander Angewiesen sein der beiden Schwesterparteien. Das betrifft auch die Zusammenarbeit der beiden ost- wie westsozialdemokratischen Organisationseinheiten. Erhellend von Gohle wird auch die Auseinandersetzung um das Zustandekommen der Großen Koalition geschildert, welche gleichwohl zu einem großen innerparteilichen Konflikt geraten ist.

 

An keiner Stelle seines beachtlichen Buches hat Gohle sich mit der politischen Zielsetzung sowie der Analysen der politischen Ausgangslage in der zweiten Hälfte der 80er Jahre der ostdeutschen Sozialdemokraten in der DDR, insbesondere ihrer Gründergeneration auseinandergesetzt. Das ist deshalb so erstaunlich, weil auch hierüber Dokumente existieren, die sich in den gleichen Archiven befinden, wie die vielen anderen Dokumente, die Gohle ausführlich zitiert. Das wird kein Zufall gewesen sein. Das Buch enthält eine stark kritische Note gegenüber den Sozialdemokraten in der DDR, die vor allem in der Bewertung ihrer Schwierigkeiten zum Ausdruck kommt. Denn natürlich gab es Probleme beim Zugang zu den Arbeiterschichten in der Partei. Und es gab Auseinandersetzungen um ehemalige SED-Mitglieder. Und es gab ganz gewaltige Organisationsschwächen, die auch den Wahlausgang mit erklären können und die geringe Mitgliederdichte. Es gab Wahlkampfschwächen und Kampagnenprobleme. Es gab auch Probleme mangelhafter Professionalität. Das ist alles richtig, und ist nie bestritten worden. Gohle hinterfragt sie nicht weiter, er schildert sie nur, und in dem er das tut, wird die Frage nach den dafür Verantwortlichen aufgeworfen sowie die nach Alternativen, ohne sie auszusprechen. So entsteht der Eindruck von Voreinschätzungen, oder besser Vorurteilen, die nichts anderes sind, als die alten Vorbehalte gegenüber den Sozialdemokraten in der DDR, die es von Anfang an gegeben hat.

 

 

Die Antwort darauf, warum trotz aller dieser absehbaren Probleme, die ja von den Gründern der SDP auch schon im Sommer 1989 gesehen wurden, eine sozialdemokratische Partei ins Leben gerufen werden sollte, kann man finden, wenn man sich deren Ziele und Analysen vor Augen führt. Die Krise des Kommunismus, die von der SED nicht aufgenommenen Reformimpulse Gorbatschows, das sich auf den Weg machen der beiden Länder Polen und Ungarn, das sichtbare Bemühen um ein Ende des Kalten Krieges bei den beiden Großmächten und vor allem der Abschied von der Breschnew-Doktrin der damaligen SU, machten klar, dass auch für die Ostdeutschen ein politischer Spielraum entstanden war, den kaum jemand in seiner Tragweite erkannte, und auf den es weder in der DDR noch in der alten Bundesrepublik eine politische Antwort gab.

 

Erstmals in der Geschichte der SED-Diktatur konnten politische Ziele formuliert werden, die an die alten demokratischen Traditionen Deutschlands anknüpften. Die Abschaffung der SED-Diktatur, Errichtung eines demokratischen Rechtsstaates, Ermöglichung von Selbstbestimmung bis hin zur darauf aufbauenden Überwindung der Teilung Deutschlands konnte durch die Rückbesinnung auf sozialdemokratische Werte und Traditionen in Angriff genommen werden. Es gereicht der sozialdemokratischen Idee und ihrer politischen Bewegung zur Ehre, dass sie auch zum Mittel der Überwindung der zweiten Deutschen Diktatur avancieren konnte. Dabei war die Sozialdemokratie eben nicht reines Instrument ihrer Gründer, sondern ein politischer Weg, auf den sie sich mit allen Konsequenzen eingelassen haben. Wenn sie sich ihrer auch intellektuell näherten, - wie hätte es anders gehen sollen ? - identifizierten sie sich mit der Sozialdemokratie und verinnerlichten sie.

 

Unausgesprochen steht bei Gohle der Vorwurf im Raum, die Gründungsgeneration der SDP hätten sich die sozialdemokratischen Traditionen angemaßt, seien ihnen aber nicht gewachsen gewesen. In der Folge hätten sie sich zu sehr mit ihren basisdemokratischen oppositionellen Eigenarten, protestantischen, ja sogar „linkstheologischen“ Prägungen herumschlagen müssen, keinen Kontakt zur Arbeiterbewegung bekommen, sich  politischen Erfahrung von ehemaligen Mitgliedern der SED, die sich auf die Sozialdemokratie hinzubewegten, verschlossen, seien organisatorisch nicht nur unerfahren, sondern sogar unfähig gewesen, seien nicht kampagnenfähig, und zwangsläufig den rüden Wahlkampfmethoden im ersten freien Volkskammerwahlkampf rettungslos unterlegen gewesen.

 

All diese Vorwürfe gehen im Kern von tatsächlichen Defiziten aus. Aber es sind Defizite, die der Not der Stunde geschuldet waren. Sie stellen eben keine Widerlegung der Strategie der Ost-SPD dar, sondern benennen deren Aufbauschwierigkeiten.

Auf einen Punkt lohnt es sich an dieser Stelle besonders einzugehen. Die SED hatte es vermocht, die innerhalb der Arbeiterschaft vorhandenen demokratischen Traditionen, wie sie sowohl Teil der alten Sozialdemokratie waren, als auch der freien Gewerkschaften, gänzlich auszumerzen, durch ihre Politik von Repression und Privilegien. Es war aber nicht ausgemacht, dass nicht auch innerhalb der Arbeiterschaft der DDR im Vorfeld und während der friedlichen Revolution 1989/90 an die Traditionen der freiheitlichen Arbeiterbewegung angeknüpft werden würde. Doch die wenigen Versuche dazu erwiesen sich als zu zaghaft und letztlich erfolglos.

 

Die SDP konnte den Brückenschlag in die Arbeiterschaft nicht zu einer ihrer Voraussetzungen machen, weil dann die Chance auf Demokratisierung der DDR verspielt worden wäre. Sie musste einen anderen Weg gehen, der für die Sozialdemokratie einen erheblichen Modernisierungsimpuls bedeutete, andererseits durch den Weg des Volksparteikonzeptes der SPD bereits vorgezeichnet war.

Die Bindung der sogenannten einfachen Leute, insbesondere der Arbeiterschaft geschah nun nicht mehr auf der Basis großer Organisationen  ins sozialdemokratische Lager hinein, sondern auf dem Weg politischer Interessenvertretung. Es war gleichzeitig ein Weg weg von sozialistischer Ideologie auch sozialdemokratischer Prägung, sondern hin zu einer sich mündig verstehenden und aufgeklärten offenen Gesellschaft, die rational über ihre politische Repräsentanz entscheiden kann.

 

In der alten Bundesrepublik ist dieser Weg langsam und allmählich beschritten worden. Keine Partei, auch die SPD nicht, würde freiwillig auf organisatorische Vorteile, die ihr beim Kampf um die Macht nutzen, verzichten. Gleichwohl konnten sich die alten sozialdemokratischen Strukturen auflösen und neuen Formen politischer Bindungen und Entscheidungen für die SPD Platz machen, ohne die Mehrheitsfähigkeit der SPD dabei aufs Spiel zu setzen. Dieser Weg musste strategisch gesehen nun auch in der DDR begangen werden, aber angesichts der Hinterlassenschaft der SED-Diktatur gleichsam mit einem gewaltigen Schritt nach vorn. Die Ost-SPD wurde dadurch zu einer Modernisierungsherausforderung auch für die West-SPD. Und dies musste als ein Angriff auf das organisatorische in Restgrößen noch vorhandene wohl auch ideologische Selbstverständnis der West-SPD, aber natürlich auch in der Ost-SPD aufgefasst werden. Gleichwohl gab es unter den obwaltenden Umständen keine Alternative dazu.

 

Auf die weiteren ideologischen, besser gesagt ideologiekritischen Implikationen der Gründung der SDP will ich hier nicht weiter eingehen. Wahrscheinlich ist die ideologiekritische Ausstrahlung der SDP, wegen ihres antitotalitären, insbesondere antikommunistischen Impulses, aber auch wegen ihrer Beendigung eines Kapitels der Arbeiterbewegung für manche noch viel schmerzhafter gewesen, als ihr neues organisatorisches Selbstverständnis.

 

Mit dem allen setzt sich Gohle nicht auseinander. Er suchte an keiner Stelle das Gespräch, obwohl er es prominent hätte haben können. Statt dessen kritisiert er, gelegentlich sogar  zu Recht, Fehlwahrnehmungen seiner Kollegen, die sich der Methoden der oral history bedienen. Aber er selbst ist wohl kaum besser in seiner Ignoranz der politischen Ausgangslage der SDP-Gründung in der DDR. Im Gegenteil. Letztlich besteht der Beitrag seines Buches nur darin, den alten Vorbehalten gegenüber der SDP-Gründung, die es von Anfang gegeben hatte, nur eine fundierte historische Substanz hinzu gefügt zu haben. Wenn das ein Verdienst ist, dann ist es das Festhalten an Vorurteilen auch.

 

Der Wahlerfolg der SPD von Schröder und Lafontaine 1998, welcher zur ersten rot-grünen Bundesregierung führte und en Passant dazu, dass die SPD auch im Osten Deutschlands flächendeckend zur stärksten Partei wurde, und das obwohl die SPD hier zahlenmäßig nicht größer war, als zu Ost-SPD Zeiten 1990. Das zeigt, dass auch unter den neuen organisatorischen Bedingungen die SPD, wie sie die SDP-Gründung vorgezeichnet hatte, mehrheitsfähig ist. Und nur so  wird sie auch wieder mehrheitsfähig werden.

 

 

Dies ergibt sich aus der Macht des Faktischen. Insofern kann man sich vielleicht doch gelassen zurücklehnen und die Weisheit des alten Sprichworts genießen: Reden ist Silber, Schweigen ist Gold. 

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