Die Angst des 17.Juni

Der gestrige Zeitzeuge, Gerhard Hering war eindruckend.

Er hatte den 17.Juni in Leipzig als 6-jähriger erlebt. Er sah mit seinem Vater in der ganzen Stadt die russischen Panzer stehen. Er wusste, dass ein 15-jähriger, „ja noch ein Kind“ von den Russen erschossen worden war.

In der Schule, wo man den Kindern weißzumachen sucht, dass der westliche Imperialismus die Arbeiter angestachelt hätte, weist er auf den Tod des 15-jährigen hin. Ein 6-jähriger macht das. Kindlich, naiv, vielleicht? Aber Kindermund tut Wahrheit kund. Und es ist eine Lehrerin, die ihn sich anschließend zur Brust nimmt und erklärt: „Erzähle das nie wieder!“. Denn natürlich will sie ihn schützen. Sie flieht in den Wochen danach ja auch in den Westen.

Der Junge erzählt das nicht wieder, zumindest nicht in der DDR.

In seinen Abschlussworten gestern sprach Gerhard Hering von seiner Angst, und davor, dass sie ihn anschließend abgehalten hätte, sich jemals wieder politische zu engagieren. Erst im Herbst 89 hat er sie überwunden. Dauerhaft überwindet man so was nur schwer. Wer weiß schon, wo diese Angst überall ihre vielfältigen Ursachen haben mag. Das sind ja nicht nur die Panzer, das ist auch die warnende Lehrerin, und es ist die ganze Gesellschaft. Und das ist nur der öffentliche Aspekt der Angst.

Interessant ist nicht nur die Ehrlichkeit von Hering. In Ostdeutschland bekennen sich nur die wenigsten zu ihrer Angst. Interessant ist das Synonym von Angst und Politik. Raum für Differenzierung bietet sich da nicht. Die Angst dürfte noch immer manifest sein. Wer in Ostdeutschland die Menschen zu einem demokratischen Engagement einladen will, muss eine Antwort auf die Angst haben. Er muß eine Angst-lösende Politik anstreben. Das hat was mit Werten und Bekenntnissen zu tun. Das hat was mit Schutz und öffentlicher Solidarität zu tun. Das hat etwas mit Freiheit und Mut zu tun. Rot-rote-Regierungen z.B. sind das nicht.

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Kommentare: 1
  • #1

    Anette Leppinger (Freitag, 19 Juni 2015)

    Wie wichtig doch diese Zeitzeugen sind!
    Es gibt nur leider viel zu wenige noch und es gibt viel zu wenige, die die Blockade zu reden überwinden. Das Reden über das Unrecht oder den politischen Druck in der DDR ist das größte Problem. Denn wer immer das Schweigen gelernt hat, oder zum Schweigen verurteilt war, wird auch heute oftmals schweigen.
    Anders die Agitatoren von damals, die reden. Das Problem ist, dass diese oftmals in der Öffentlichkeit als die Deuter der DDR-Vergangenheit wahrgenommen werden.