Was der 17. Juni zum Vorschein brachte

So ein Gedenktag ist, besonders wenn man eine Rede dazu halten soll, ein guter Anlaß mal übers Tagesgeschehen hinauszuschauen. Das war auch nötig, weil am Anfang meiner Überlegungen nur ein gewisses Unbehagen stand, denn:

1. eigentlich ist doch alles zum 17.Juni gesagt,

2. diese ewigen Wiederholungen werde zu Allgemeinplätzen und machen das Gedenken langweilig,

3. eine aktuelle Bedeutung hat dieser Tag nicht mehr.

Deshalb habe ich mich versucht frei zu machen von unserem mainstream, von den öffentlichen Erwartungen, so wie ich sie empfinde.

Ich habe angefangen, gewissermaßen introspektiv mein Gefühl zu befragen, völlig ohne Rücksichtnahme auf die sogenannte öffentliche Meinung. Und dann bin ich plötzlich fündig geworden.

Und unversehens ist mir viel mehr eingefallen, als ich für möglich gehalten hätte. Ich habe sogar auf mehrere Aspekte verzichtet. Trotzdem ist mir die Rede leider zu lang geworden. Aber das hat mit etwas anderem zu tun.

Auf jeden Fall war es gut, sie zum Anlaß zu nehmen auf die Defizite unsere demokratischen Kultur hinzuweisen. Und zwar nicht nur wegen Ramelow oder Tillich. Sondern weil die Freiheit heute nicht im Zentrum unserer Werte steht. Weil wir Defizite haben. Und denen nachzuspüren, macht den Wert solcher Gedenktage aus. Klar, kann das schnell den Charakter von Sonntagsreden annehmen. Andererseits, wann soll man denn darüber nachdenken, wenn nicht an solchen Tagen? Und es ist mir bewußt geworden, wie sehr das Fehlen dieses Wertes unsere demokratische Kultur bestimmt. Wahrscheinlich ist das ein Grund dafür, dass unsere Demokratie so wenig Strahlkraft hat.

ich glaube eben nicht, dass unsere Demokratie den Wohlstand braucht. Wir als Deutsche brauchen ihn. Bei uns steht Wohlstand vor Zivilcourage. Doch letzteres bräuchten wir viel dringender. Auch daran läßt sich erkennen, wie wenig die Freiheit den Leuten wirklich bedeutet. Sie führt als Grundwert ein Schattendasein. Theoretisch kennen wir alle die Bedeutung von Freiheit. Aber im Leben sind Sicherheit, Wohlstand, Gerechtigkeit vorrangig. Das macht das Leben langweilig.

Aber mal wirklich etwas wagen,  mal neue Wege gehen, sich etwas trauen; das ist selten und wird kaum honoriert. Auch Gewissenskonflikte sind heute eher selten. Sie entstehen ja als Herausforderung der eigenen Meinung, die von den Verhältnissen in Frage gestellt wird. Davon gibt es Beispiele im Großen wie im Kleinen. Im Großen ist z.B. das Unterordnen unseres Justizministers bei der Vorratsdatenspeicherung ein Beispiel für Unterordnung und nicht des Sieges der eigenen Überzeugung gegen altes Denken. Auch das Tarifeinheitsgesetz spricht nicht für das Hochhalten gewerkschaftlicher Freiheit. Hier wären Beispiele gewesen, wie Freiheit als Wert auch im politischen Alltag unter Beweis gestellt hätte werden können, um den Leuten zu zeigen, dass es für uns alle wichtig ist, bei der eigenen Überzeugung zu bleiben.

Und im Kleinen gibt es solche Konflikte auch. Und wenn sie darin bestehen, diesen stinkenden Obdachlosen, die immer auf der Straße betteln, nicht einfach verärgert stehen zu lassen, sondern mal etwas zu geben, einfach weil es Menschen sind, die sich über Kleinigkeiten von uns auch freuen können. Mir zumindest geht es so, wenn ich das tue. Obwohl ich mir immer sage, die müßten nicht auf der Straße stehen. Die könnten ein Dach überm Kopf haben. Unsere Gesellschaft bezahlt das. Und sie müßten auch nicht stinken. Aber was weiß ich schon von deren Nöten?

Dass jetzt der Richter im Fall Tugce so klare Worte gesprochen hat, was unsere Klischees betrifft, die öffentlich zelebriert worden sind, so habe ich das als segensreich empfunden.

Oder dass unsere Gesellschaft, zumindest die Medien so über den Selbstmord-Copiloten hergezogen sind, der die Germanwings-Maschine hat abstürzen lassen? War da wirklich Mitgefühl im Spiel, mit den vielen unschuldigen Opfern? Oder hat hier nicht unsere Gesellschaft mit gespielter Empörung zu unterdrücken versucht, dass etwas Unbegreifliches passiert ist, das in seiner Unfaßbarkeit  doch auch zu unserem Leben gehört. Unser Leben ist voller Abgründe, aber wir tun so, als sei unser Anspruch auf Sicherheit grenzenlos.

Was ist in der Schule, wenn Mitschüler fälschlich verdächtigt werden, was ist wenn Freunde gemobbt werden, was ist wenn Kollegen von Chefs runtergemacht werden? Überall wäre Zivilcourage nötig. Und das hat etwas mit Selbstbewußtsein zu tun, mit einem freien Selbstverständnis. Ich will hier nicht der falschen Courage das Wort reden. Man muß auch erkennen können, wo es um Zurschaustellung geht. Sondern mir geht es um echtes Mitgefühl. Das würde uns Menschen zusammenbringen, das bringt Reichtum ins Leben, und das überwindet Vereinzelung. Es ist Mitgefühl, das einem den Wert des Lebens deutlich macht. Das passiert ja eben erst in der Tat. Das Gefühl alleine ist es noch nicht. Sondern erst, wenn wir über unseren Schatten springen, machen wir es zur Grundlage unseres Lebens. Und dabei erleben wir den Wert der Freiheit. Denn ohne unsere Freiheit wären wir gar nicht dazu in der Lage, eigene und neue Wege zu gehen. (Deshalb spricht man ja auch davon, dass Freiheit gefüllt sein will, dass es als Wert eher eine nur eine Form ist, die Inhalt braucht.)

Und das hat auch etwas damit zu tun, dass man sich in der Öffentlichkeit zu seinen eigenen Gedanken bekennt, und eben nicht einfach so tut, als sei die eigene Meinung unwichtig. Etwas anderes kommt hier zum Vorschein. Man wertet sich selbst herab. Man hält sich für so klein, dass man es als besser empfindet, sich zu verstecken. Dabei sind wir alle einander völlig ebenbürtige Mitglieder unserer Gesellschaft. Da sollte es keine Rangfolge, keine Minderwertigkeiten geben. Es braucht sie nicht zu geben. Natürlich gehört Courage dazu, sich in der Öffentlichkeit zu äußern. Und auch hier ist die Freiheit die Grundlage des Handelns.

Die Leute nehmen sich die Freiheit nicht, weil sie nicht gleichberechtigt sein wollen. Sie lehnen die Herausforderung sich in der Öffentlichkeit zu bewegen ab. Sie lehnen es ab, um es philosophisch zu sagen, sich zu ihrer eigenen, öffentlichen, politischen Dimension zu verhalten. Und das macht die autoritären Strukturen unserer Gesellschaft aus. Denn durch das sich selbst Kleinmachen, entsteht Unterordnung. Und dann gibt es andere, die sind oben. Und das Ganze wirkt wie in Stein gemeißelt.

Diese Art von Courage, kann man nicht in der Schule lernen. Das ist kein Handwerk. Sondern das ist ein Selbstverständnis. Im Grunde ist es etwas, wo man sich zu sich selber bekennt.

In der DDR haben wir alle das Gegenteil getan. Und die Masse hat das für klug gehalten. Aber in Wirklichkeit haben wir uns und unsere Seele, unser Herz dabei verleugnet. Dabei sind Verhaltensmuster eingeübt worden, aufbauend auf alten, die unsere Gesellschaft jetzt an die Nachwachsenden weitergibt. Die Auseinandersetzung um diese Fragen, die halte ich für viel wichtiger, als die blöde Stasi im Landtag, oder einen LINKEn Ministerpräsidenten in Erfurt. Weil sie dort ansetzt wo Unterordnung entsteht, in den Köpfen.

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