3. Oktober auch ein Tag des Verlustes

Auch ich habe eine DDR-Identität. Es ist eine Art Anti-Identität. Dieses kaputte, zerstörerische Land war meine Heimat. Widersprüchlicher kann eine Identität kaum sein. Aber die DDR war mir nah, sie war ein Teil von mir. Ich habe die DDR gehasst. Und ich wollte sie überwinden. Ihr galt mein ganzes politisches und öffentliches Wirken.


Als sie verschwand ging es mir nicht gut.


Es war ja mit ihrem Verschwinden nicht alles erledigt. Wir wollten die DDR demokratisieren. Und wenn wir dabei auch viel erreicht haben, die sich zeigenden restaurativen Tendenzen wurden übermächtig. Dabei hatte der Westen seine Finger im Spiel.


Dabei blieb die weitere Demokratisierung der ostdeutschen Gesellschaft auf der Strecke. Das zeigt schon ein Blick auf die Verfasstheit der demokratischen Parteien, oder auf Pegida.


Mit der Deutschen Einheit wanderte die Verantwortung für Ostdeutschland zum großen Teil nach Bonn, zu einem kleinen Teil in die neuen ostdeutschen Länder. Ostberlin, bisher die Hauptstadt der oppositionellen Bewegung in der DDR wanderte in die Bedeutungslosigkeit. Das führte zu einem Verlust an Einfluss, ja an Macht. Kaum gewonnen in der Zeit der friedlichen Revolution, der Übergangszeit und der Zeit der demokratisch gewählten Volkskammer, ging sie plötzlich und schnell wieder verloren. Mit ihr verschwand ein Orientierungsrahmen, eine politische Wirkungsstätte.


An ihre Stelle trat das größer gewordene Deutschland. Die Deutsche Einheit war ein Neuanfang. Die weitere Vitalisierung der ostdeutschen Gesellschaft war durch sie nicht einfacher geworden. Man hatte es nicht mehr nur mit den ostdeutschen Kräften zu tun, sondern auch mit den Schönrednern und Machtstrategen aus dem Westen. Plötzlich gab es Mitleid mit der alten DDR-Elite. Plötzlich wurde die Leistungsfähigkeit der DDR herausgehoben. Plötzlich gab es keine Bedenken mehr, die alte DDR-Elite in die Suche nach politischen Mehrheiten einzubeziehen.


Der Blick des Westens auf das Ende der DDR war auch von seinen Eigeninteressen und Fehlwahrnehmungen geprägt. Es ist dem Westen nicht gelungen, anzuerkennen, dass der Schlüssel zur Deutschen Einheit in Ostdeutschland gelegen hatte, dass die Deutsche Frage von Ostdeutschland gelöst wurde.


Und so wurde das größer gewordene Deutschland zu einer Herausforderung, sich selber treu zu bleiben, und gleichzeitig eine Sprache zu finden, mit der man sich auch bei den westdeutschen Eliten Gehör verschaffen konnte.


Die Versuchung, sich dieser Herausforderung zu entziehen, und mental ein Kind der DDR zu bleiben war riesengroß.


Deutsche Einheit bedeutete auch, Abschied zu nehmen von einem Leben, das so nur in der DDR geführt werden konnte. Wir alle, die in der ehemaligen DDR aufgewachsen sind, und hier erwachsen wurden, sind Kinder der DDR. Sie ist ein Teil von uns.


Indem wir die DDR demokratisiert haben, haben wir sie überwunden. Heute sind wir alle Bundesbürger. Unsere Verantwortung ist größer geworden, nicht kleiner. Das konnte man schon mal miteinander verwechseln. Die weitere Vitalisierung der ostdeutschen Regionen ist heute genauso wichtig, wie die Bewältigung der Flüchtlingsfrage für uns alle. Wir sitzen in einem Boot. Wir fahren gemeinsam.

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