Merkels Stil

Merkel ist bei der letzten Wahl nicht entzaubert worden. Im Gegenteil. Sie bestimmt nach wie vor die Agenda. Man ist gegen sie, oder für sie. Aber immer ist sie der Maßstab. Doch niemand thematisiert ihre Art zu regieren. Dabei liegt hierin das Geheimnis ihrer Entzauberung. Wenn das so bleibt, wird sie die nächste Kanzlerin bleiben. 

 

Deshalb: 

 

Merkel biegt sich, wie ein Rohr im Wind. Dafür einige Beispiele:  

 

1. Auf dem Leipziger Parteitag hat sie die CDU wirtschaftspolitische Leitlinien beschließen lassen, die Margret Thatcher alle Ehre erwiesen hätten. Sie orientierte sich dabei an der Chicago-Schule von Hajek und Milton Friedman. Außerdem holte sie den ehemaligen Verfassungsrichter Kirchhoff in ihr Kompetenzteam als Wirtschaftsexperten, der dann mit seinem ultra-liberalen Steuerkonzept zu ihrem größten Schwachpunkt wurde. Die Folge war eine grandiose Aufholjagd des Noch-Kanzler Schröders bei der Bundestagswahl 2005, und Merkel verlor fast noch die bereits sicher geglaubte Kanzlerschaft. Danach ließ Merkel ihre Wirtschaftspolitik von Leipzig in der Schublade verschwinden. Seit dem betreibt sie eine Sozial- und Wirtschaftspolitik in der Kontinuität der Agenda 2010. Dies war ihr erster Akt der Sozialdemokratisierung der CDU. 

 

2. Merkel machte in ihrer ersten Legislaturperiode den Atomausstieg von Rot-Grün rückgängig, doch kassierte den nach Fukushima diesen Ausstieg von Ausstieg gleich wieder. Sie vollzog hier eine Wende von 180 Grad, ohne dass ihr das jemand angekreidet hätte. Auch hierbei sozialdemokratisierte sie ihre Partei unter großem Beifall. 

 

3. Merkel bereitete als Kanzlerin der EU-Beitrittsperspektive der Türkei ein Ende. Heute hofiert sie die Türkei als einzige Retterin für die in dieser Frage tief gespaltene EU. Als sie der Türkei dies mit der sogenannten "Privilegierten Partnerschaft" schmackhaft zu machen suchte, gab es keine nennenswerten Widerstände in Deutschland dagegen. 

 

4. Ähnliches vollzog sich bei der Flüchtlingspolitik. Als Merkel im letzten Herbst ihr berühmtes "Wir schaffen das" sprach, da brach sie nicht nur mit der bisherigen Abschottungspolitik der EU, sondern auch mit der von ihr selbst forcierten Abschottung gegen jegliche Einwanderungspolitik. 

 

Fazit, Merkel hat mehrere Male in ihrer Politik komplette Kehrtwendungen vollzogen. 

 

Dabei waren diese Wenden nicht unvernünftig. Im Gegenteil. Die wirtschaftsliberalen Positionen der CDU waren schon 2004 nicht mehr sehr modern. Ihr Einschwenken auf die Politik der AGENDA 2010 war vernünftig. Das Einschwenken auf den Atomausstieg von Rot-Grün war auch vernünftig. Und wieder mit der Türkei zu reden, war überfällig. Auch in der Flüchtlingsfrage geschah ein nachvollziehbarer Akt. 

 

Doch diese ganzen Wenden offenbaren einen eklatanten Mangel an Weitsicht der Kanzlerin.  Meist gingen ihren Wenden öffentliche Debatten voraus. Sie handelte unter Druck. Und sie handelt im mainstream. Ihre großen Wende-Entscheidungen bedeuteten meist ein Zugehen hin zu eher moderneren Positionen im Sinne der Wahrnehmung zugespitzter Probleme, die ein Festhalten an ihren alten, konservativen Positionen unmöglich gemacht haben. 

 

Merkel ist es nicht gelungen ihre Wähler auf diesen Kurs der Modernisierung mitzunehmen, das zeigt die Existenz der AfD und die Wahlniederlagen in den drei letzten Landtagswahlen. Ihr konservatives Wählermilieu zersplittert. Das ist es, was Seehofer auf die Palme bringt. Aber er kann nichts machen. Merkel wird so weitermachen. 

 

Ihr Machtstil ist unberechenbar. Ihre Wenden deuten sich nicht an. Sie werden überraschend vollzogen. Ihre eigene Partei konnte sich kaum darauf einstellen. Die Spitzenkandidaten bei den Landtagswahlen kamen in ein großes Dilemma. Denn das bloße Nachvollziehen der Schwenks der Kanzlerin machte sie zu Hampelmännern, Und eine substantielle Kritik der Kanzlerin verbot sich wegen der parteieigenen Loyalität. So wurden die Spitzenkandidaten zu Wackelpudding. Sie waren kaum in der Lage, ihre eigene Persönlichkeit und Gradlinigkeit in den Vordergrund zu stellen, sondern erschienen wankelmütig und illoyal. 

 

Das Zugehen, bzw. Eingehen auf sozialdemokratische Positionen hat die SPD hingenommen als Bestätigung ihrer eigenen SPD-Politik. Doch die Wähler haben das nicht honoriert. Denn Angela Merkel erscheint bei all ihren Schwenks immer noch überzeugender als die SPD mit Gabriel oder Stegner. 

 

Wer Angela Merkel entzaubern will, muß ihre Sprunghaftigkeit thematisieren. Und er muß die Kosten ihrer Kursänderungen thematisieren. Im Falle der Türkei sind es Milliarden, im Falle der Flüchtlinge auch, im Fall des Atomausstieg werden wir die Rechnung noch präsentiert bekommen. 

 

Der nächste Schwenk ist schon eingeleitet. Merkel wird die Türkei zu einem sicheren Herkunftsland machen wollen. Das schleift unsere Menschenrechtspolitik. Vielleicht läßt sie sich auch auf ein Einwanderungsgesetz ein. 

 

Wer die Merkel entzaubern will, muß seine Politik an langfristigen Linien ausrichten. Und er muß den Schaden thematisieren, die von Merkels Kanzlerschaft ausgeht. Bislang tut das nur die CSU. Doch Seehofer befindet sich damit, genauso wie seine CDU-Kollegen in den Ländern in einem eklatanten Dilemma. 

 

Wenn die SPD aus ihrem Tief herauskommen will, dann muß sie jetzt mit einer solchen Politik beginnen; einerseits ihr Bild vom modernen, sozialen Deutschland schärfen, außenpolitische Konzepte für Rußland, die EU, und die Türkei entwerfen, und gleichzeitig anfangen, die Merkel zu kritisieren. Gabriel kann das nicht. Also wird es wohl einer der Länderfürsten machen müssen. Damit ist übrigens auch klar, wo der oder die nächste SpitzenkandidatIn herkommt. Auf jeden Fall muß die Lobhudelei der Kanzlerin ein Ende haben. Dafür ist sie zu sprunghaft, und zu teuer. 

 

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Kommentare: 1
  • #1

    Rolf Schwanitz (Mittwoch, 16 März 2016 06:27)

    Hallo Stephan,
    im Großen und Ganzen teile ich Dein Merkel-Bild. Allerdings geht es mir an einer entscheidenden Stelle nicht weit genug. Es geht bei ihr nicht nur um einen "eklatanten Mangel an Weitsicht". Der (dahinter stehende) Kern ist meiner Beobachtung nach eher eine ihr immanente politische Feigheit und ein (vielleicht schon in Kohl'scher Zeit erlernter) Hang, Auseinandersetzungen am besten zu umgehen, es sei denn, sie sind unvermeidlich und deren Ausgang ist nahezu sicher. Hier liegt der Grund, weshalb eine proaktive Politik, von ihr ausgehende mittel- oder langfristige Projekte nahezu völlig fehlen und Entscheidungen erst dann fallen, wenn sie wirklich unvermeidlich sind. Das betrifft die gesamte Politik und damit auch politische Fragen, die von schwerster und langfristigster Wirkung sind (siehe Atomausstieg, Zuwanderung etc.). Je nach Standort des Journalisten zur gerade vom merkelschen Schwenk erfassten Einzelfrage wird dieser konzeptions-und planlose, lediglich auf ihren Amtserhalt orientierte Pragmatismus dann als Modernisierungskurs verklärt - das ist aber ein Mythos, ohne wirkliche Substanz.