„Herrschaftsanspruch des Islam“ (Frauke Petry)

In seiner Theologie hält sich der Islam in der Tat für die führende Religion, über Christentum und jüdischen Glauben stehend, die er aber als Teil seiner eigenen Wurzeln betrachtet. Ein Führungs- oder sogar Alleinvertretungsanspruch ist allerdings dem Islam nicht singulär. Nur wenige Religionen sind in Glaubensfragen tolerant. Das Christentum hält nichtchristliche Mitbürger für verlorene Seelen. Immerhin kann sich der Nichtchrist bekehren lassen und durch seine Taufe in die Gemeinschaft der Christen aufnehmen lassen. Den Nichtjuden ist sogar dieser Schritt in die jüdische Religion verwehrt. Bei ihnen wirken ehtnische und religiöse Fragen zusammen. Jude kann nur sein, wer auch eine jüdische Mutter hat. Dennoch kann sich  laut eigener Überlieferung einzig das jüdische das Volk Gottes nennen.

 

Wir sehen also, dass keine der großen europäischen Religionen tatsächlich tolerant sind.

 

Religiöse Toleranz ist eine Errungenschaft der Moderne. Sie ist Bestandteil der europäischen Menschenrechtstradition. Die Gleichheit vor dem Gesetz wird durch die Religion nicht eingeschränkt. Der Staat steht zwar nicht über der Religion, und die Religion bleibt eine öffentliche Angelegenheit. Doch ist es Sache des einzelnen, sich zu einer Religion zu bekennen oder eben nicht. Das ist seine ganz persönliche Angelegenheit. Das macht den Hintergrund der Trennung von Staat und Religion aus.

Dieses moderne Staatsverständnis erst hat ein friedliches Zusammenleben der Religionen in ein und dem gleichen Land möglich gemacht. Es entschärft jeglichen Herrschaftsanspruch ganz gleicher welcher Religion. Allerdings muß er die religiöse Toleranz auch schützen. Das tut der Staat in den Schulen und allen anderen staatlichen Einrichtungen. Darüber hinaus gibt es in unserer Verfassung eine Fülle an Diskriminierungsverboten, die auch für nichtstaatliche Einrichtungen bindend sind.

Dieser moderne Staat hat im Westen den Glaubenskämpfen den Boden entzogen. Dieser moderne Staat ist immer wieder angegriffen worden. Der heftigste Angriff ging von den Weltanschauungsdiktaturen des Nationalsozialismus und des Kommunismus aus. Sie stellten ideengeschichtlich einen Rückfall hinter die Aufklärung dar. Die Welt hat fürchterlich für diese Diktaturen bezahlt.

 

Die meisten der Staaten im islamischen Kulturkreis kennen dieses moderne, von religiöser Toleranz geprägte Staatsverständnis nicht. Der türkische Staat überwacht die Personalentscheidungen der islamischen Institutionen und regiert damit auch in deren theologischen Auseinandersetzungen hinein. Der Islam ist damit Staatsangelegenheit. Das ist in den meisten der ehemaligen westeuropäischen Kolonien der arabischen Welt auch so. Die Befreiung der islamischen Religion von staatlicher Bevormundung steht hier noch aus. Es ist keine Frage, dass dieser Zustand auf das Selbstverständnis des heutigen Islam hineinwirkt. Dafür bedarf es noch nicht einmal der extremistischen Form des Islam, dem Islamismus. Auch in seiner Mehrheitsform ist der heutige Islam eben immer auch das Ergebnis der Verbindung islamisch-theologischer und politischer Fragen. Gerade die konservativen politischen Kräfte bedienen sich in ihren Machtsicherungsstrategien der islamischen Religion, wozu ihnen die gegenwärtige Verfassung der islamische geprägten Staaten jede Möglichkeit gibt.

 

Dies alles gilt es zu bedenken, wenn wir heute in Europa wieder mit warnenden Stimmen vor dem „Herrschaftsanspruch des Islam“ konfrontiert werden. Wir haben es in der Regel eben nicht mit einer freien islamischen Religion zu tun, sondern mit einer politisch instrumentalisierten. Doch was ändert das?

 

Grundsätzlich gilt festzuhalten. Der moderne, weltanschauungsfreie Staat hat sich bewährt. Er ist die Grundlage für ein friedliches Zusammenleben aller seiner Bürger. Das gilt auch für jene, die einen ausgeprägten religiösen Vormachtsanspruch inne haben.

 

Die politische Antwort auf derartige Vormachtsgelüste darf nicht einseitige Parteinahme für oder gegen eine Religion sein, sondern die konsequente Durchsetzung unserer Gesetze, die jedem etwaigen religiösen Vormachtsanspruch entschiedene Grenzen setzt. Wir haben diese Gesetze, wir brauchen keine neuen.

 

Ob der Staat bswp. Minarette verbietet oder erlaubt, ist keine religiöse Frage. Vom Gebot der religiösen Toleranz sollte keiner Religion verwehrt sein, ihren Glauben hier auszuüben. Wenn Minarette dazu gehören, ist das zu respektieren.

 

Nun kann es sein, dass sich die Nachbarschaft belästigt fühlt. Nicht nur Rufe des Muezzin sind laut. Laut können auch Kirchenglocken sein. Letztere sind Teil unserer Kultur. Erstere sind Teil der Religion von Millionen unserer Mitbürger. Man kann locker damit umgehen. Wenn sie wirklich belästigen, dann kann man auf lokaler Ebene im Vollzug des Planungs- und Baurechts entsprechende Einschränkungen durchsetzen.

 

Ob wir uns von Minaretten aber tatsächlich provoziert fühlen oder nicht, ist eigentlich eine Frage unseres Selbstverständnisses. Wer sich der Stärke und der Erfolge unserer von religiöser Toleranz geprägten Staaten bewußt ist, braucht vor Minaretten keine Angst zu haben. Er muß sie nicht verbieten. Wer aber Angst hat, dem hilft letztlich auch ein Verbot der Minarette nicht. Ihm mangelt es an Selbstvertrauen und vielleicht auch an Bildung. Das klingt jetzt arrogant. Doch Aufklärung ist eine Sache der Bildung. Ohne sie werden wir keines unserer Probleme lösen können.

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