Soeben erhielt ich die Nachricht, dass Alfred Hartenbach gestorben ist.
Er war mein Kollege im Bundestag von 1994 bis 2009. Ich saß neben ihm im Fraktionsvorstand. Und als ich nach meinem Ausscheiden aus der Bundesregierung wieder in die Fraktion zurückkam, welchselte er in umgekehrter Richtung.
Er war angenehm, unaufdringlich, gleichzeitig aber mit Empathie gesegnet. Er wirkte häufig sehr ernst, überschäumende Emotionen, Sentimentalitäten waren seine Sache nicht.
Seine politischen Beiträge waren nüchtern und kenntnisreich. Sie waren weder euphorisch, noch niederschmetternd. Sie waren im besten Sinne konstruktiv. Möglicherweise hat ihn das so schnell Karriere in der Fraktion machen lassen.
Zu welchem Flügel, und ob er zu einem Flügel gehört hat, das weiß ich gar nicht, und will mich hier auch nicht im Nachhinein zu Spekulationen verleiten lassen. Sollen das andere vermelden.
Alfred Hartenbach war ein Rechtspolitiker. In seiner hessischen Heimatstadt war er Vorsitzender eines Gerichts gewesen. Und eine solche Funktion übte er auch gleichzeitig als Aufbauhelfer im benachbarten Thüringen in den ersten Jahren nach der deutschen Einheit aus.
Mir ist Alfred Hartenbach nahe gekommen, als er mich 2004 auf ein wichtiges Gerichtsurteil hinwies; ab sofort mußte für einen ehemaligen Insassen des Geschlossenen Jugendwerkhofes Torgau Kapitalentschädigung gezahlt werden. Damit war die Unterbringung in diese "DDR-Erziehungsanstalt" dem politischen Strafvollzug der DDR gleichgestellt worden.
Ich vermute, dass der Umstand, dass Alfred Hartenbach gerade mich auf dieses Urteil hinwies damit zu tun hatte , dass ich mir seit meinem Ausscheiden aus dem Verkehrsministerium einen besonderen Namen als Interessenvertreter Ostdeutschlands gemacht hatte, dabei gelegentlich auch bissig, und penetrant gewirkt haben muß, aber wirkungsvoll.
Die Heimkinderproblematik in der ehemaligen DDR war mir ein Begriff seit den Tagen, wo wir als SPD-Fraktion in der Enquetekommission Torgau besucht hatten, und erschüttert waren von der dortigen Behandlung von Kindern und Jugendlichen, wie sie der DDR-Staat ihnen angedeihen ließ, wenn er der Meinung war, dass nur noch Repression sie auf den Weg zur Entfaltung ihrer sozialistischen Persönlichkeit bringen ließ. "Kinder-KZ" murmelte Martin Gutzeit neben mir, als wir vor einer Dunkelzelle standen im Keller unter den Fluren, wo 14 - Jährige mit Zahnbürsten den Steinboden hatten säubern müssen, vor den schweren Zellentüren, mit vergitterten Fenstern zu diesem Hof, wo die DDR die Insassen mit Sport zu brechen suchte, und es auch fast immer geschafft hat.
Ohne Hartenbach wäre mir dieses Urteil nicht aufgefallen.Auch Alfred Hartenbach war mir vorher nicht so aufgefallen, gerade weil er so nüchtern war, und einen eher introvertierten Eindruck machte. Er meinte, ich solle dieses Urteil nutzen und publik machen. Er wisse, was er uns schuldig sei, und wie er uns helfen könne. Sprachs und verschwand wieder.
Dieses Urteil war ein Durchbruch für die ehemaligen Heimkinder in der DDR. Ihre Problematik war damals nur einem ganz kleinen Kreis bekannt. Popularität hatten sie überhaupt nicht. In der Rehabilitationsgesetzgebung hatte sie keinen Eingang gefunden. Und was noch schlimmer war: wenn eines der ehemaligen Heimkinder mal vor Gericht zog und gegen die dortigen Repressionsmethoden klagte, erwischte es meist ein Gericht, dass ihm beschied: "Solche Heime gäbe es in allen Systemen, wo gehobelt wird, fallen Späne, manchmal helfen nur solche Methoden, die DDR sei da keine Ausnahme. Die Heime daher keine besonderen Ausflüsse des Unrechtssystems der DDR. Wer solch ein Urteil bekommt, braucht keine Fußtritt mehr." Und da ich von solchen Urteilen wußte, war ich schlicht ratlos, wie man den Heimkindern helfen konnte.
Das war die Situation, als plötzlich das Kammergericht von Berlin einem ehemaligen Heimkind Kapitalentschädigung zusprach. Vorausgegangen war ein Urteil des Bundesverfassungsgericht, welches in einem Berufungsverfahren festgestellt hatte, dass die Unterbringung in diesem geschlossenen Jugendwerkhof Torgau schlicht menschenrechtswidrig gewesen sei. Es hatte den Fall wieder nach Berlin zurückverwiesen. Jetzt erst anerkannten die Richter den Entschädigungsanspruch des damals 14-Jährigen.
Ich habe nicht mehr gemacht, als in einer Pressemitteilung die Kenntnis über dieses Urteil multipliziert. Es gab einige Zeitungen in Ostdeutschland, die meinen kleinen Kommentar zum Anlass einer winzigen Berichterstattung nahmen. Und plötzlich erhielten wir Post von vielen ehemaligen Heimkindern, die darauf hinwiesen, dass auch die untergeordneten Heime, das sogenannte System der Spezialheime der DDR-Volksbildung adäquate Repressionsmethoden anwandte. So wurde ich zu einem Anlaufpunkt der ehemaligen Heimkinder.
Erwirkt hatte das Urteil ein Mann namens Ralf Weber, faktisch im Alleingang. Ihn kannte ich damals noch nicht. Später sollte ich seine bewundernswerte Persönlichkeit kennenlernen. Er war bereits im Kindergartenalter in die Mühlsteine des Systems gekommen und fast bis zu seiner Volljährigkeit dort verblieben. Wie durch ein Wunder und vor allem wegen seiner großen Persönlichkeit hatte das System in nicht so weit brechen können, so dass er jetzt mit Intelligenz und Durchsetzungsvermögen für sich, und als Schrittmacher für alle anderen Entschädigungsansprüche durchsetzen konnte.
Dieses Urteil, Alfred Hartenbach hatte in diesem Zusammenhang mit mir Stille Post gespielt, war die Wende bei der Behandlung der ehemaligen Heimkinder.
Ich werde ihm immer dankbar dafür sein.
Sein plötzlicher Tod hat mich betroffen gemacht.
Die Beerdigung findet am Samstag, dem 2. Juli 2016, um 14 Uhr von der Friedhofskapelle Immenhausen aus statt.
Kommentar schreiben