Von Angst und Resignation beherrscht

Mit zunehmendem Alter häufen sich Todesfälle und Beerdigungen. Dieser Tage habe ich einer Beerdigung des Mannes einer Freundin meiner Mutter beigewohnt. Er war Wissenschaftler, Physiker, Mitarbeiter im Institut für Molekularbiologie in Berlin-Buch. 

Dort selbst betreute er ein Elektronen Mikroskop. Um seine Ergebnisse auswerten zu können, benötigt man große Rechnerkapazität. Die war knapp in der DDR. Die wenigen Ressourcen, über die die DDR hier verfügte wurden dem Institut alles andere als ausreichend zugeteilt. Der wissenschaftliche Output kam zum Erliegen. 

Die Folgen liegen auf der Hand. Und die Quittung wurde dem Wissenschaftler, Mann der Freundin meiner Mutter nach der Einheit präsentiert. Bei der Evaulierung im Zuge der Deutschen Einheit und der Anpassung des DDR-Wissenschaftssystems an das bundesdeutsche geriet ihm der Mangel an Veröffentlichungen, also des wissenschaftlichen Outputs wegen Nichzuteilung von Rechnerkapazität zum Fallbeil seiner weiteren wissenschaftlichen Karriere. Er wurde abgewickelt. 

 

Ich will hier nicht die Tränendrüse drücken. Die Dramatik und die persönliche Tragödie brauchen nicht erläutert zu werden. Meine Frage reicht in die Lebenssituation eines Wissenschaftlers an einem renommierten Zentralinstitut der Akademie der Wissenschaften der DDR zurück. Der Mangel an wissenschaftlichem Output herrührend vom Mangel an Rechnerkapazität war bekannt. Er war mit Bordmitteln nicht abstellbar, sondern reichte in das politische System der DDR selbst hinein, war mithin ein politisches Problem. Wer das ändern wollte, mußte sich politisch betätigen. Das ist nicht geschehen. 

 

Warum? 

 

Weil das System der DDR in Beton gegossen schien? Weil die Garantiemacht Sowjetunion keinerlei Spielraum für politische Verbesserungen zuließ? Weil die Angst vor politischem Engagement gegen das System der DDR zu einem Verlust der wissenschaftlichen Existenz geführt hätte? Weil der persönliche, soziale und gesellschaftliche Status eines Mitarbeiters an einem Zentralinstitut, und die familiäre Lebenssituation sich mit seinem Einkommen gut darstellen, ein politisches Engagement als zu riskant erscheinen ließ? 

 

Auf alle Fälle wurden die politisch gesetzten Grenzen zu individuellen. Und so geriet die wissenschaftliche Existenz auf den Müllhaufen der DDR-Geschichte. Und die DDR nahm sie in ihren Abgrund mit, als sie selbst abgewickelt wurde. Das hätte nicht sein müssen. Doch dann hätte der Wissenschaftler über den Tag, ja über die der DDR noch zur Verfügung stehenden Jahre hinausdenken müssen. Diese Unabhängigkeit besaß er nicht. Letztlich hatte er sich eingerichtet, von Angst und Resignation beherrscht. 

 

Angst finde ich kann man haben. Die gibt es immer. Sie ist ein treuer Begleiter unseres Lebens. Doch Resignation bedeutet Unterwerfung. Zu ihr gibt es Alternativen. Immer, zu jeder Zeit. 

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