Wer Kritik übelnimmt, hat etwas zu verbergen. (Helmut Schmidt)
Kritik ist angebracht und möglich, wenn sie notwendig und und hilfreich ist.
Notwendig wird sie, wenn Schaden droht und und verhindert werden kann. Hilfreich ist sie, wenn sie auf fruchtbaren Boden fällt.
Kritik wird jedoch häufig inflationär benutzt. Nicht selten dient sie der Profilierung des Kritikers, wird also instrumentalisiert. Ihre Aufgabe aber ist es, Mißstände zu benennen und abzustellen. Wir Menschen verdrängen gern. Auch und besonders gilt das für Institutionen, Verwaltungen und Macht. Aber Mißstände sind auch immer persönlicher Art. Wer Mißstände kritisiert, ist in Gefahr, sich den Zorn der für sie Verantwortlichen zuzuziehen. Dabei ist die Kritik eine Chance für sie, sich ihrer Verantwortung gerecht zu werden, und sie sich damit zu bewahren. So ist sie hilfreich für alle.
Sind aber Institutionen nicht mehr in der Lage, konstruktiv mit Kritik umzugehen, dann muß letztere über sie hinaus weisen, um sinnvoll und hilfreich zu bleiben.
Zi Gong richtete eine Frage an Konfuzius: " Wenn ein Sohn den Befehlen seins Vaters gehorcht, so ist das schon Pietät? Und wenn ein Untergebener den Befehlen seines Fürsten folgt, so ist das schon Treue? Sollte ich da nicht meine Zweifel haben?"
"Unsinn ist all dies Gerede von der Pietät!", entgegnete da Konfuzius. "Und auch Du, Ci, kennst Dich da noch nicht ganz aus. Im Altertum verfügten die lichten Köngie über zehntausende Streitwagen. Sieben Männer standen ihnen mit Rat und Tat zur Seite, so dass sie ohne Fehl waren. In einem Reich mit tausend Streitwagen halfen fünf Ratgeber den Fürste aus, so dass ihre Altäre nicht gefähredt waren. In einer Adelsfamilie mit einhundert Streitwagen taten drei Männer furchtlos ihre Meinung kund, so dass Einkommen und Stellung gesichert blieben. Wenn nun ein Vater auf seinen Sohn als mahnende Stimme rechnen kann, dann fällt er nicht der Sittenlosigkeit anheim . Und wenn ein Dienstadeliger einen Freud um Rat bitten darf, dann kann er unmöglich nicht rechtschaffen sein. Wie könnte daher ein Sohn, der blind den Befehlen seines Vaters gehorcht, als Muster der Pietät gelten? Wie könnte ein Untergebener, der ohne Nachdenken seinem Fürsten folgt, als treu herhalten? So hat man denn zu prüfen, wem oder was man zu folgen hat und auch folgen mag. Nur das ist wahre Pietät, nur das ist wahre Treue."
Pietät ist in diesem Zusammenhang wohl am besten durch "Richtiges Verhalten" zu übersetzen.
Wolfgang Kubin, der Autor eines kleinen Bandes zur Einführung in konfuzianisches Denken schreibt zu dieser Anekdote, dass
"China heute ein Land der Hörigkeit ist. Das mag bis zur Ming-Dynastie (1368 - 1644) anders gewesen sein. Wir hoffen es jedenfalls. Die Zeiten unter dem von Mao Zedong verehrten Bauerntölpel und ersten Herrscher der Ming-Dynastie sahen den knieenden Beamten vor. Unterwürfigkeit war gefragt. Das ist bis heute so geblieben. Je unterwürfiger, desto erfolgreicher im Staatswesen. Zu welchem Nutzen, zu welchem Schaden? Derzeit zum Nutzen von Herrschaft und Kapital, ansonsten zum Schaden des chinesischen Geistes. China hat heute keine einzige Geistesgröße von internationalem Format aufzubieten. Das gilt auch für die Anhängsel Taiwan, Hongkong, Macau. Grund ist die absolute Hörigkeit, die absolute Angst vor sich selbst. "
So lernen wir etwas über Konfuzius und die Hörigkeit in China.
Und wir lernen etwas über die Angst vor uns selbst, die zur Hörigkeit führt. Besser kann das auch kein Psychologe sagen.
Kritik befreit. Das ist schon eine Menge. Soll sie aber auf fruchtbaren Boden fallen, und soll sie mehr sein, als nur Dampf ablassen, so muß man noch mal nachdenken, und sie mit einer Perspektive versehen. Denn die Kraft einer Persönlichkeit zeigt sich nicht an ihrer Fähigkeit Mißstände aufzudecken, sondern zu helfen, sie zu überwinden.
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