Denial - Verweigerung, Leugnung

Ich habe mir angesehen: 

 

Denial

 

am

 

Maxim Gorki Theater

 

von 

 

Yael Ronen & Ensemble 

 

 

12. Januar 17

Gestern – Theaterabend, einfach so. Nicht aus einer Laune heraus, sondern einer Überlegung, einer neuen Tagesgestaltung. Da ist jetzt abends nichts mehr mit Arbeiten, sondern Sport, Unterhaltung, Kunst, Kultur, Treffen, Gespräche, Entspannung. So komme ich plötzlich ins Theater, wo ich jahrelang nicht war. Erst recht nicht alleine. Doch das steht auf einem anderen Blatt. Wird aber von dem Stück, in dem ich gestern im Gorki-Theater, der alten Singakademie, der Mendelssohnschen Wirkungsstätte, des heutigen Büros für ästhetische Schönheit, der Abonnementkonzerte für Klaviermusik, die ich mit meinem Vater besuchte, war, berührt: Denial, was so viel heißt wie Verweigerung, Leugnung, Ablehnung, Verneinung. Ein Wort, das mir nicht geläufig war, ein gesichtsloses, völlig namenloses Fremdwort. An diesem Abend hat es ein Gesicht bekommen. 

Auf dem Programmzettel steht nichts zu dem Stück, aber es enthält einen höchst interessanten Text über Verleugnung. In der Viertelstunde, die mir noch blieben bis zur Aufführung konnte ich den studieren. Sein Einstieg war eine Beschreibung der Verleugnung als Demütigung der eigenen Seele, ja als die verblüffendste, weil harmloseste. Und in der Tat nimmt Dir die Verleugnung die Erinnerung, und damit einen Teil Deiner Geschichte. Sie beraubt Dich. Sie nimmt Dir den Zugang zu Deinem eigenen Leben. Und sie tut so, als sei das noch ein Segen. Sie offeriert Dir diese Verdrängung als Voraussetzung weiterleben zu können. Sie macht aus einem schlechten – der Verlust Deiner Geschichte – etwas Gutes – Zukunft. Doch der Preis dafür ist hoch. Es ist jene Demütigung, von der das Stück handelt. 

Im Verlauf dieses Einführungstextes bringt es seine Autorin: Eva Illouz
 fertig, aus Opfern Täter zu machen. Auch dies eine Folge der Verdrängung. Denn jener Mensch, der Zeuge eines Verbrechens wird, dem Opfer nicht beisteht, dem Täter nicht in den Arm fällt, - die Mutter, die dem Mißbrauch ihres Mannes an den gemeinsamen Kindern teilnahmslos hinnimmt; aber auch die Nachbarn eines Konzentrationslagers, die sich jeden Mitgefühls für die Internierten, geschlagenen, getretenen, ermordeten Opfer entledigen – wird zum Mittäter, nimmt am Unrecht Teil, wird Teil von ihm.

 

Mich erinnerte das plötzlich an die Debatten im Ostdeutschland der 90er Jahre über die Mauerschützenurteile. Die haben ja nicht viel bekommen damals, aber sie wurden verurteilt, in der Regel. Und das gemeine Volk übte plötzlich Solidarität mit diesen Mauerschützen. Das Mitgefühl mit den Opfern, den jungen Leuten, die abzuhauen versuchten, und dafür ihr Leben lassen mussten, hatten sie sich schon in der DDR ausgetrieben. Und ich fand, dass die Eva Illouz Recht hat, mit dieser These, der Teilnahme am Unrecht. Das Erlebnis von Unrecht stellt Dich vor eine Herausforderung, der Du nicht ausweichen kannst. Entweder Du bewahrst Dir Dein Mitgefühl, und damit den Zugang zu Dir selbst und der Möglichkeit Deine Zukunft selbst gestalten zu können, oder Du wirst zu einem Teil des Unterdrückungssystems, verinnerlichst seine Maßstäbe und zerstörst Deine eigenen. Ein gutes Beispiel dafür, wie die gesellschaftlichen Verhältnisse auf die Individualentwicklung einwirken. Und ein gutes Beispiel dafür, dass dieser Vorgang keineswegs nur auf die Kindheit beschränkt ist, sondern gerade im Alltag der Erwachsenen wirkt.

Auf der Bühne wurden Lebensgeschichten präsentiert. Jugendliche, die die Doppelbödigkeit ihrer Kindheit zum Ausdruck brachten, die sie sich einerseits als glücklich bewahrt wissen wollten, und die doch eine Ahnung von den erlittenen Traumata zum Ausdruck brachten. Vielleicht lag das an ihrer Jugend, da verdrängt man noch nicht so perfekt, wie im Alter.

 

Dann wurden diese Traumata ausgebreitet. Das hatte zuerst etwas Weinerliches an sich. Doch die Dramatik steigerte sich. Vier Einzelgeschichten sind mir präsent. 

Da ist zuerst diese junge Frau, deren Mutter gemeinsam mit ihr aus dem Iran nach Deutschland floh, vor dem Ajatollah-Regime, das die Mutter folterte, die Familie trennte, und der jungen Frau den Vater nahm. Die Mutter erzählte der Tochter nichts davon. Doch die spürte etwas. Und sie mußte erleben, dass ihre Mutter mehr über ihre Leben in den Medien ausbreitete, als dass sie in der Lage war, eine Athmossphäre der Offenheit über ihre gemeinsame Geschichte mit ihrer Tochter aufzubauen. Als die Tochter nun begann, ihre Mutter daraufhin zu befragen, ging sie den gleichen Weg, den Umweg über die Öffentlichkeit, in diesem Fall das Theater. Dass der Schauspielerin dabei die Tränen kamen, habe ich als Zuschauer nicht nachvollzogen, fand ich etwas peinlich. Andererseits habe ich Erfahrungen genug, wo mir selbst die Tränen kommen, die ich mir nicht immer erklären kann. Die Mutter hat mit ihrer Tochter nicht reden können oder wollen. Sie, die Mutter war ja das gefolterte Opfer. Die Tochter war nur Leidtragende, das mit in Haft genommene Wesen, deren kindliche Traumatisierung eindeutig auf das Konto des Ajatollah – Regimes gingen. Ein Wesen, von dem die Mutter sich Solidarität erhoffen durfte. Statt dessen erhob diese Vorwürfe. Und zwar zu Recht.

Das Stück arbeitete hier gut heraus, dass das Vorenthalten der gemeinsamen Geschichte, des erlittenen Leidens zur Entfremdung, zu einer Athmossphäre des Mißtrauens führte, ja dass die Gemeinschaft, die zwischen Mutter und Tochter bestanden hatte, Schaden nahm. Die Mutter würde wohl noch das Schlimmste verhindern können, wenn sie sich überwinden würde, und mit ihrer Tochter das Gespräch suchen. In der Öffentlichkeit kann die Mutter über das von ihr erfahrene Unrecht reden, weil sie sich der politischen Dimension dieses Vorgangs sicher ist. Aber das reicht nicht, um mit der Tochter zu reden. Denn hier geht es nicht mehr nur um die politische Dimension alleine, sondern um die Erfahrungen der Erniedrigung, der Demütigung, der Vergewaltigung, die zu seelischen Verletzungen der Mutter führte, die ihr den Mund verschlossen haben. So ist die Entfremdung von Tochter und Mutter natürlich einerseits eine Spätfolge der Folter, aber sie wird vermittelt durch die Mutter. Sie geht durch sie hindurch. Sie könnte mit ihrer Tochter über ihre Verletzungen reden, müßte sie dann aber zugeben. Und weil sie das nicht kann, denn sie sucht ihr Heil in der Verleugnung dieser Verletzungen, stößt sie die Tochter vor den Kopf, und droht sie damit auch noch zu verlieren. Und nicht nur das, die beiden verlieren sich gegenseitig. Andererseits hat die Mutter mit ihren Berichten in der Öffentlichkeit auch mit ihrer Tochter kommuniziert. Sie hat ihr Hinweise darauf gegeben, was mit ihr passiert ist. So dass sich irgendwann ihre Tochter vielleicht wird erklären können, was ihrer Mutter widerfahren ist, und sich auf diese Weise mit ihr aussöhnen können. Ihre Mutter jedenfalls ist zu diesem Vorgang nicht in der Lage.   

Die nächste Geschichte wird von einer jungen Israelin erzählt: Ihr Vater verschweigt ihr seine berufliche Tätigkeit eines Geheimdienstvernehmers, der Palästinenser foltert, um Terroranschläge zu verhindern und zu ahnden. Die Verunsicherung der Tochter beginnt mit den ersten Hinweisen, die sie über die tatsächliche Tätigkeit ihres Vaters erfährt. Und als der Vater dement wird, beginnt er selbst über seine Foltertätigkeit zu reden. Er redet immer mehr über diese ernsten Dingen, je weniger er wegen seiner Krankheit ernst genommen werden kann. Die Krankheit durchkreuzt seine Verschweigungsstrategie, mit der er es geschafft hatte, das Bild des Sicherheit gebenden Vaters gegenüber der Tochter zu erzeugen. Und je mehr er erzählt, desto unsicherer wird die Tochter. Ihre Sicherheit entpuppt sich als Schein. Der moralische Konflikt des Vaters, der ihn durch Verschweigen löste, wird nun zum moralischen Konflikt der Tochter. Die Geschichte des Vaters geht in ihr weiter. Sie muß sich entscheiden, will sie die Tätigkeit des Vaters moralisch rechtfertigen, oder will sie sich treu bleiben und ihre eigene Geschichte leben. Das Stück verläßt uns mit diesem Stand der Erzählung. 

Dann geht es zu einem ein deutsch-türkischen, lesbischen Liebespaar, ja mehr noch, einer lesbischen Ehe, hier in Deutschland voll anerkannt, aber in der Türkei ein Ding der Unmöglichkeit. Als dieses Paar in die Türkei zu einem großen Familienfest reisen will, bricht der Konflikt zwischen den Partnern aus. Denn die eine will die lesbische Ehe vor der eigenen Familie verleugnen, die andere will sich bekennen. Sie kommen nicht zu einander. Jeder könnte sich nur auf Kosten des anderen durchsetzen. Dabei ist der Preis klar, der hier zu zahlen wäre. Angesichts der gesellschaftlichen Realität in der Türkei würde die Offenheit über das lesbische Eheverhältnis zu einem Verlust der türkischen Familie führen. Die türkische Partnerin steht vor der Frage, ob sie die Verleugnung ihrer Lebensart und ihrer Partnerschaft fortsetzt, um ihrer Familie willen, oder ob sie ihre Familie preisgibt, um ihrer Partnerin willen. Und diese wiederum steht vor der Frage, ob sie sich in die Scheinwelt ihrer türkischen Partnerin mit hineinbegibt, und um ihretwillen abtaucht in die Unterwelt der Verdrängung und Selbstverleugnung, oder ob sie sich zu sich selbst bekennt, auch in der Türkei, wo das tabuisiert ist, und damit ihre Ehe und die Familienbeziehungen ihrer Partnerin preisgibt. 

Diese Geschichte ist ein schönes Beispiel für das Aufeinandertreffen zwei unterschiedlicher Lebenswelten in unserer Zeit, und für die existentiellen Konflikte die sich daraus ergeben. 

Die letzte Geschichte ist die dramatischste.

In ihrem Mittelpunkt steht Gewalt in der Ehe. Eine junge Familie geht auseinander, weil die Frau ihr Kind vor ihrem gewalttätigen Mann schützen will und muß. Der Mann wiederum sieht sich als Opfer vermeintlicher Verleumdungskampagnen der Frau. Äußerlich sieht es so aus, als würden sich beide Partner ihre Glaubwürdigkeit gegenseitig absprechen. Und wenn das im Stück gelingen würde, wäre man als Zuschauer ratlos, wer hier Recht hat. Doch das Stück ist nicht so. Die Frau wirkt bei weitem glaubwürdiger. Warum das so ist kann ich nicht sagen. Auf jeden Fall spürt man, dass die Gefahr vom Manne ausgeht. 

Diese Geschichte setzt sich mit dem Mann fort nach dem Verlust seiner Familie und des gemeinsamen Kindes, das er nur noch in Begleitung einer Mitarbeiterin des Jugendamtes sehen darf.  

Er entpuppt sich als Opfer seines ihn mißbrauchenden Vaters, eine Gewalterfahrung, die er bisher total unterdrückt, verdrängt hatte. Doch auf Grund eines äußeren Anlasses – der Mann muß das elterliche Haus verkaufen – beginnt die Verdrängung zu bröckeln. Zum Schluß liegt der Mißbrauch offen zu Tage. 

Und damit ist klar, dass die Aggresivität des Mannes gegen sein eigenes Kind und gegen seine Frau eine Folge der kindlichen Traumatisierung ist. Der Mann wird zum Täter, weil er seinen erlittenen Mißbrauch verdrängen mußte.

Das wird sehr deutlich gemacht durch die Tötung eines kleinen Kätzchens, das der Vater vor den Augen des noch kindlichen Mannes bestialisch umbringt: er schlitzt dem Kätzchen den Bauch auf, steckt es in einen Plastiksack, und vergräbt diesen im Garten. Dann sagt er zu dem noch kindlichen späteren Manne: „Das mach ich mit Dir, wenn Du etwas erzählst“ (vom Mißbrauch).

Diese traumatisierenden Erfahrungen waren nur möglich, weil der Vater gewalttätig war, ein Vorgang, dessen Hintergründe nicht erzählt werden, weil die Mutter das Unrecht hingenommen hat, weil der kindliche Mann noch zu klein war, sich zu wehren. Ihm blieb letztlich gar nichts anderes übrig, als zu verdrängen. Aber er schleppt seine Geschichte mit sich rum, die er so in seiner Unterwelt verbuddelt hat, dass er nicht ein Fitzelchen Ahnung davon hatte, als er selbst gewalttätig wurde.

*

All diesen vier Geschichten verbinden persönlichste Erfahrungen mit der gesellschaftlichen Realität unserer Tage. Sie sind nicht einfach politisch. Sondern seelischer Natur. Oder besser ausgedrückt, es handelt sich um die politische Dimension des seelischen, das in diesem Stück Demian zum Ausdruck kommt.

Ein Stück, das in unserem Alltag angesiedelt ist. Ein Stück, das uns mit unserer eigenen Lebenswelt konfrontiert. Ein Stück, das nur verarbeitet werden kann, in dem man sich als Zuschauer seinen moralischen Herausforderungen stellt. In seinem Mittelpunkt steht das Öffentliche selbst, nicht das Politische, nicht der israelische Palästinenserkonflikt, oder die Auseinandersetzung mit dem Ajatollah-Regime oder etwa die selbstgewollte Rückständigkeit der türkischen Gesellschaft, sondern unserer zutiefst persönlicher, ja individuelle Umgang mit den Folgen dieser Verhältnisse auf unserer eigenes moralisches Dasein.

Wenn wir uns selbst treu bleiben wollen, dann müssen wir diese Konflikte an uns heranlassen, ohne in das Angebot der Verdrängung und damit Selbstverleugnung einzuwilligen. Wir müssen die Konflikte aushalten, ohne die Menschen, von denen sie ausgehen zu verdammen. Wir müssen Verständnis entwickeln, ohne nachzuahmen. Wir müssen klare Grenzen ziehen, um Nähe und Vertrauen zu ermöglichen. Es geht nicht um den Kampf der Kulturen, wenn auch die Internationalität - herausgestellt durch die Mehrsprachigkeit des Stückes - eine Dimension der Konflikte ist. Es geht eigentlich nur um Bewahrung dessen, was wir sind und bleiben wollen. Es geht um die Herausforderungen, denen wir uns deshalb gegenübersehen, und die wir bewältigen müssen, wenn wir uns selbst und unseren Werten treu bleiben wollen.

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Es war ein interessanter Theaterabend, der das Publikum mitten hinein in die eigene gesellschaftliche, existentielle Realität gestellt hat. 

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