Im Mittelpunkt der AGENDA 2010 stand die Arbeitsmarktreform, besser bekannt als Hartz-Reformen. Peter Hartz war damals Personalvorstand bei VW, davor bei der Saarstahl AG gewesen und hatte sich einen Namen für innovative innerbetriebliche Lösungen zu Gunsten der Beschäftigten gemacht. Nach ihm wurden in den Medien die Kommission, der von der Bundesregierung die Aufgabe übertragen wurde, ein Konzept zur Behebung der Krise am Arbeitsmarkt zu entwickeln, benannt, Hartz-Kommission. Und so hießen zum Schluss auch das vorgelegte Konzept, bzw. die ganzen Reformen, Hartz-Konzept, bzw. Hartz-Reformen.
Kern des Problems damals war ein dysfunktionaler Arbeitsmarkt. Während die Massenarbeitslosigkeit auf über vier Millionen geklettert war, mit einer klaren Tendenz in Richtung der 5 Millionen-Marke, waren selbst Unternehmen auf Wachstumskurs nicht in der Lage ihre Nachfrage nach Beschäftigten aus dem Heer der Arbeitslosen zu befriedigen. Die Nachfrage nach Arbeit und das Angebot an Arbeitsplätzen fanden nicht zusammen.
Gerhard Schröder war 1998 mit großen Hoffnungen auf eine Belebung der Wirtschaft gewählt worden. Er hatte das Phänomen der Massenarbeitslosigkeit, das während der Erdölkrise in den 70er Jahren in der alten Bundesrepublik noch unter Bundeskanzler Helmut Schmidt entstanden war, und unter Helmut Kohl stark angewachsen, geerbt. Doch in seiner ersten Legislaturperiode hatte er dieses Problem nicht in den Griff gekriegt, trotz Investitionsschub und Modernisierungsmaßnahmen der Wirtschaft. Und so entschloss sich Schröder gegen Ende seiner ersten Legislaturperiode diese Kommission zur Reform des Arbeitsmarktes einzusetzen. Das war zugleich sein Wahlversprechen, das er dann in der Tat in seiner zweiten Legislaturperiode realisiert hat.
Im Mittelpunkt der Reformvorschläge der Hartz-Kommission standen zwei Maßnahmen: Zum Einen die Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe und die Einführung des Prinzips von Fördern und Fordern.
Die Hartz-Kommission hat die Ursachen der hohen hohen Massenarbeitslosigkeit in einer Fehlfunktion des Arbeitsmarktes gesehen. Die Unternehmen wollten zwar einstellen, aber nicht zu den gesetzlichen Rahmenbedingungen (sprich Kündigungsschutz, Tarifsituation); und zu viele Arbeitslose waren nicht bereit, Standardsenkungen hinzunehmen in Form von niedrigeren Einkommen oder/und schlechteren Arbeitsbedingungen, als sie es bis dahin gewohnt waren, u.a auch deshalb, weil sie die Folgen von wirtschaftlichen Strukturbrüchen und den damit einhergehenden Qualifikationsentwertungen nicht auf sich sitzen lassen wollten.
Darauf hatte die Agenda 2010 die Antwort , diese Arbeitslosen (ALG II-Empfänger) zu zwingen eine Senkung ihrer Standards hinzunehmen. Das ist geschehen mit einem neuen Instrument dem „Fördern und Fordern“, mit der Einführung von Zeitarbeit, und mit der Erschließung der in der Sozialhilfe geparkten und verdeckten Arbeitslosigkeit für den Arbeitsmarkt. Ihr Anspruch auf den Bezug von Sozialhilfe bzw. wie es seit hieß, auf Hartz IV ist an die Bereitschaft geknüpft worden, sich wieder in den Arbeitsmarkt einzubringen.
Die AGENDA 2010 hat diese Arbeitslosen, Empfänger von Arbeitslosengeld II (ALG II- Empfänger) gezwungen eine Senkung ihrer Standards hinzunehmen.
Für die betroffenen Menschen erschien das vielfach entwürdigend und
demütigend. Für den Arbeitsmarkt war es belebend. Für den Sozialstaat war diese Reform, Rettung in letzter Minute. Für die Massenarbeitslosigkeit war es die Wende.
Seit dem Inkrafttreten dieser Reform 2005 sinkt die Arbeitslosigkeit in Deutschland.
Die AGENDA 2010 hat gleich zwei Probleme gelöst. Sie hat die verdeckte Massenarbeitslosigkeit wieder dem Arbeitsmarkt zugeführt, und sie hat die Dysfunktionalität des Arbeitsmarktes aufgelöst. Die Unternehmen stellten wieder ein. Sie konnten dadurch wieder wachsen. Davon gingen Impulse in die ganze Wirtschaft aus. Viele Unternehmen trafen lang zurückgehaltene Investitionsentscheidungen und die Binnennachfrage zog an. Auf dem Exportmarkt hatte Deutschland schon damals keine Probleme. Aber immerhin wurde Deutschland danach Exportweltmeister, woran man sehen kann, das die Arbeitsmarktreformen auch für unsere international agierenden Unternehmen ein Durchbruch war.
M.E. liegt in diesem Zusammenhang die Ursache für den Erfolg der Agenda 2010. Die Sozialdemokratie hat die Wirtschaft wieder flott gekriegt. Doch sie hat den arbeitenden Mitbürgern auch Besitzstandsverluste zugemutet. Die SPD hat diese Reform auch mit dem Verlust von vielen Wählerstimmen bezahlt. Schröder ist, wenn auch knapp abgewählt worden. Die SPD hatte hier nicht in erster Linie als Arbeiterpartei agiert, die sie mal war. Sie ist ihrer Rolle als Volkspartei gerecht geworden. Sie hat das Land aus seiner Starre gelöst, und letztlich der Allgemeinheit geholfen, und natürlich auch den Arbeitslosen selbst, die sonst ja keine Perspektive auf dem ersten Arbeitsmarkt mehr hatten. Das muß und kann man Schröder hoch anrechnen.
Politisch hat die SPD schwer dafür bezahlt, die Gewerkschaften haben damals die WASG aus der Taufe gehoben, mit welcher der ehemaligen SED die lang geplante Westausdehnung gelang. Der SPD kam zudem ihr Vorsitzender Lafontaine abhanden, der sich nicht zu schade war, der Westausdehnung der ehemaligen SED zu patrouillieren, in dem er sich ihr als westliche Gallionsfigur zur Verfügung stellte. Seit dem ist das sogenannte „linke“ Wählerspektrum noch weiter zersplittert, was die Machtperspektive der SPD schmälert. Nicht wenige machen die Arbeitsmarktreformen als solche für diesen Prozess verantwortlich. Doch damit machen sie es sich zu einfach. Erst der Versuch, aus den Zumutungen der Arbeitsmarktreform politisches Kapital zu schlagen hat zur Westausdehnung und zur Gründung der WASG geführt.
Heute trauen sich nur wenige in der SPD sich zur Politik dieser Arbeitsmarktreformen und zu ihren Ergebnissen zu bekennen, mit der Folge, dass vielfach die CDU sich diese Erfolge ungestraft auf die Fahnen schreiben lassen kann. Die SPD ihrerseits wird kaum wieder Wahrerfolge feiern können, wenn sie sich nicht zu dieser, ihrer eigenen Politik bekennt.
Natürlich ist es wichtig und richtig, das Thema Gerechtigkeit nicht der LINKSPARTEI zu überlassen. Aber Gerechtigkeit ist eben keine Einbahnstraße. Die Botschaft der Arbeitsmarktreformen der AGENDA 2010 war ja, dass der Staat sich zwar auch in Zukunft als Sozialstaat versteht. Aber Hilfe gibt es nicht für Null. Die Gesellschaft kann erwarten, dass die Arbeitslosen selber ihren Beitrag zur Reintegration in den Arbeitsmarkt leisten. Das ist der tiefere Sinn von „Fördern und Fordern“ immer gewesen. Nur so konnte die Bundesrepublik ihren Sozialstaatscharakter bewahren. Und nur so wird es auch in Zukunft gehen. An diesem zentralen Instrument der Hartz-Reformen darf nicht gerüttelt werden. Hier ist ein Paradigmenwechsel geschehen. Gerade in den gegenwärtigen Zeiten, wo die SPD versucht, das Thema „Soziale Gerechtigkeit“ wieder für sich zu beleben, muß klar sein, dass jeder, der zu Recht Hilfe erwartet auch ein eigener Beitrag der Selbsthilfe abverlangt werden kann und muss.
Heute beneiden uns viele Länder um diese Arbeitsmarktreformen. Ihr Geheimnis besteht aber nicht in den Zumutungen für die Arbeitslosen an sich, sondern in einer klaren Diagnose der Dysfunktonalität des Arbeitsmarktes, für das es eine Lösung gab, die dann in der Tat mit Zumutungen verbunden war. Und nur so war dieser Preis auch gerechtfertigt.
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