Die "Neuen Horizonte" von und mit Sokrates Giapapas - Beginn

Vorgeschichte: Auftrag und Antrag

Lange bevor ich Sokrates das erstemal persönlich begegnet bin, hatte ich von ihm gehört. Er war Geschäftsführer eines offenbar sehr erfolgreichen Unternehmens, einer Neugründung, die florierte, wuchs und die Neueinstellungen vornahm. Das freute mich. Unsere Region, mein Wahlkreis, konnte solche Unternehmen gut gebrauchen. Allzuviele Unternehmen dieser Art gab es nicht. Die Arbeitslosigkeit war nach den schlimmen Jahren der Deindustriealisierung noch immer hoch. Die „Fränkischen Rohrwerke“ in Schwarzheide vermittelten eine Aufbruchstimmung, die in diesen Jahren selten war. Viele Leute, Minister, Abgeordnete, Landräte, Bürgermeister besuchte diese Firma. Sie und die berichtenden Medien waren des Lobes voll. Auf den Fotos war auch immer ein Sokrates  Giapapas zu sehen. Wie gesagt, der Name, und der seiner Firma wurden in diesen Jahren zu einem Begriff. Und genau deshalb besuchte ich die Firma nicht. 

 

Dabei besuchte ich als direkt gewählter Bundestagsabgeordneter viele Firmen, regelmäßig. Ich bot mich an, als Schnittstelle zur Politik, wollte die Chefs kennenlernen, liess mir die Unternehmenslage schildern, und durch den Betrieb führen, manchmal gelang dabei auch mal ein Gespräch am Arbeitsplatz einzelner Mitarbeiter. Ich wollte Präsenz zeigen, Aufnahme- und Kontaktbereitschaft, wollte Hürden abbauen, mich als Partner vorstellen. Aber ich wollte nicht absahnen, wollte nicht vom Glanz anderer profitieren, sondern auch jene Firmen kontaktieren, die nicht im Lichte der Öffentlichkeit standen. Sie waren die Mehrheit. Die Masse der Beschäftigten arbeiteten hier.

Die Fränkischen Rohrwerke brauchten meinen Besuch nicht. Sie hatten genug davon. Wenn dieser umtriebige Geschäftsführer mit dem griechischen Namen Kontakt in die Politik wollte, dann boten sich ihm viele Partner an. Sie gaben sich in seinem Betrieb die Klinke in die Hand. Deren Schar brauchte ich nicht zu vermehren. Das gab keinen Nutzeffekt. Nicht dass mir die Rohrwerke unwichtig gewesen wären. Aber sie schienen, politisch gesehen in guten Händen zu liegen. Meine Hände waren da nicht mehr nötig. Da gab es andere Betriebe, um die sich niemand kümmerte. Das waren meine Adressaten. 

 

So bedurfte es einer besonderen Aufforderung, einer innerparteilichen, die man schon nicht mehr Bitte nennen konnte. Es schien mir wichtig zu sein, dieser Bitte zu folgen. Nicht jeder vollzog die Strategie meiner Wahlkreisarbeit. Mainstream war sie nicht. Die meisten meiner politischen Mitstreiter gingen anders vor. Sie frugen nach Bedeutung. Und bedeutend waren die Fränkischen ja. So schloss ich mich, das muss 2004 etwa gewesen sein, dieser kleinen Besuchsdelegation an. Ich glaube, unser Ministerpräsident hatte sich bei den Fränkischen Rohrwerken angekündigt. Kann aber sein, dass es auch nur die örtlichen Würdenträger waren. 

 

Die Stimmung war angenehm. Zwar war es ein Pflichttermin, aber freundlich und locker. Jeder, der Sokrates kennt, weiß, dass er es immer gut verstand, diese Art Stimmung um sich zu verbreiten. Was im Einzelnen besprochen wurde, weiß ich nicht mehr. Und ich weiß auch nicht mehr, wer alles dabei war. Ich marschierte im Tross, schaute mich in den großen Hallen der Fränkischen um; mir viel die Ungezwungenheit der Mitarbeiter auf. Das war nicht überall so. Der Besuchstermin ging seinem Ende entgegen, Ich war innerlich schon beim nächsten, als mich Sokrates beiseite zog. Er hatte einen Moment abgepasst, wo er mich alleine traf. Er lotste mich in eine Ecke, und meinte nur, dass er mich mal sprechen wolle. Das schmeichelte mir. Damit hatte ich nicht gerechnet. Ich meinte, dass ich das gerne machen wolle, aber was er denn auf dem Herzen hätte. Da antwortete er, das könne er nicht so schnell sagen, es hätte was mit unserer Region und ihrer sozialen Perspektive zu tun. Unserer Region ginge es nicht so gut. Da müsse man was tun. Und ob  er das mit mir mal besprechen könne. 

 

Sokrates wollte etwas von mir. Das taten damals nicht mehr viele. In meiner Partei war ich in Ungnade gefallen. Freunde in der Region hatte ich nicht viele. Das Anliegen von Herrn Giapapas ging offenkundig deutlich über Routine hinaus. Es schien mir persönlich zu gelten. Schon deshalb nahm ich es ernst. Ich hätte es auch sonst getan. Aber dieses Beiseitenehmen enthielt mehr als nur ein wirtschaftlich-politisches Anliegen. Es war ein Antrag, der meiner Freundschaft galt. Und so wurde dieser Moment zum Beginn einer festen, intensiven und bis heute anhaltenden dauerhaften Beziehung, die mein Leben bereichert hat, und die ich nicht mehr missen möchte. 

 

Obwohl wir uns relativ schnell danach wieder trafen, Zeit hatte ich ja, fühlte ich mich nicht in der Lage, Sokrates konkretes Anliegen, gemeinsam eine Initiative zur Regionalentwicklung zu starten, sofort zu entsprechen. Denn auch hier musste klug vorgegangen werden. Allzuviel Eifer insbesondere in der Politik schadet nur. Wer wirklich etwas erreichen will, muss nachdenken. Die Frage war nicht, Wozu oder Wofür, die Frage war das Wie. Und da suchten viele Leute nach Antworten. Ich hatte sie nicht. Ich wusste nur, was nicht funktioniert. Und auf erfolglos ausgetretenen Pfade zu wandeln machte nun wirklich keinen Sinn mehr. Sokrates schien die Mobilisierung von finanziellen Mitteln zur Regionalentwicklung, die Bildung einer Art Lobby, einer Pressure-Group vorzuschweben. Ich war skeptisch. Das Fehlen einer Lobby war meines Erachtens nicht das Problem unserer strukturschwachen Region. Lobby wollten viele sein. Doch was wollten sie in der Sache? Was hatten sie für ein Konzept? Wie konnte man die Entwicklung befördern? Tatsächlich und nachhaltig? Mein Vertrauen in die Politik, deren Vertreter ich seit 1990 ja selber war, was die ostdeutsche Regionalentwicklung betrifft, war schon lange nicht mehr wirklich gross. Die Konzepte waren bekannt. Ihre Erfolge und Defizite lagen auf dem Tisch. Man kann nicht sagen, dass sie zur Gänze versagt hatten. Die Ansiedlung der Fränkischen Rohrwerke waren ja selber Teil dieses Erfolgs. Aber sie waren an ihre Grenzen gestossen. Weitere Impulse waren bei den alten Instrumenten nicht mehr zu erwarten. Die Arbeitslosigkeit war noch immer sehr hoch, war die Stimmung schlecht, es gab über die vorhandenen wirtschaftlichen Strukturen hinaus wenig Perspektive für die Jugend. nach wie vor  zogen die Leute, vor allem Jugendliche und Frauen weg. Wer das ändern wollte, brauchte neue Konzepte. Und eine neue Initiative für die Regionalentwicklung machte ohne neue Ideen keinen Sinn. 

 

Andererseits, und das machte die Sache wieder spannend, bot sich mir mit Sokrates Giapapas hier ein Mitstreiter an, der erwiesenermassen erfolgreicher Geschäftsführer war, der über seinen Tellerrand schaute, der eine Art Verantwortungsbewusstsein eben nicht nur für seinen Betrieb, und seine Mitarbeiter an den Tag legte, sondern auch für die Region, in der er nun seit einigen Jahren legte. So etwas war Gold wert. Ich grübelte, wie man seine Initiative erfolgreich für die Region nutzen konnte. 

 

Die Antwort fand ich in der Preussischen Staatsbibliothek am Kulturforum der Potsdamer Strasse im alten Westberlin. Dort sass ich seit meiner Krankschreibung wegen Burnout und Depressionen 2006 inzwischen jeden Tag und betrieb ein Literaturstudium. Ich wollte wissen, welche Anregungen zur Regionalentwicklung es ausserhalb unseres innerdeutschen, politischen mainstreams dafür noch gab. Wie gingen andere Regionen, andere Länder mit ihrer Strukturproblemen um, wie hatten sich andere Regionen hochgearbeitet? Ich suchte nach Erfahrungen, nach Problemanalysen. Ich wollte der Sache auf den Grund gehen und ich wurde fündig. 

 

Aber dieser Fund erforderte ein Umdenken, wenn es auch meinem eigenen Gefühl am nächsten kam. Und was mir blitzartig in den Sinn kam: jetzt machte plötzlich das Angebot und die Bitte von Sokrates Sinn. Ich konnte auf Sokrates Angebot wieder sinnvoll zurück kommen. Und das war dann faktisch die Geburt der „Neuen Horizonte“, auch wenn ich das damals noch nicht wusste. Es wurde ein Projekt voller Leben und Kreativität, mit Spass und Aufregung gewürzt; eine Aktion, die jene Erregung vermittelt, die mich immer dann überfiel, wenn sie politische Veränderungen, Verbesserungen, Problemlösungen vorausdachte, vorwegnahm, antizipierte. Denn Denken ist Handeln. Wer nicht vorausdenkt, kann nichts verbessern, im schlimmsten Fall bereitet er einer Katastrophe den Boden.

 

Dieser Blog ist der erste Teil einer Auftragsarbeit für eine Festschrift und wird in den nächsten Tagen fortgesetzt.