Start up - Phase

Im Grunde war es ein Abenteuer, auf das wir drei, Franziska Pfeifer, Sokrates und ich uns einliessen. Aber eines, das Spass machte, und darüber hinaus eine politische Dimension hatte. Schwer zu entscheiden, was wichitiger war. Wir wollten eine Vision und einen Fahrplan für unsere Lausitz entwickeln, aus der wir alle nicht stammten, aber in der wir wirkten, die wir mochten, und deren Probleme uns am Herzen lagen. 

 

Netzwerkbildung

 

Mitstreiter mussten gefunden werden. Leute, die sich durch ihr Wirken und ihr Selbstverständnis auszeichneten, durch ihr Machen und Tun. Wir brauchten Menschen, die in der Region lebten, und hier etwas auf die Beine gestellt hatten. Leute, die nicht nach Fördermitteln gefragt haben, nicht danach, woher das Geld kommt, nicht gewartet haben auf die Regierung, oder die Politik, oder andere Würdenträger. Leute, die unter Bedingungen, wo andere immer nur abgewunken haben, und resigniert, bevor es überhaupt losging, ihr eigenes Ding auf die Beine gestellt hatten. 

 

Jeder kannte solche Leute. Wir frugen sie jetzt ab. Und wir stießen überall auf Zustimmung, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen. 

Franziska Pfeifer schleppte einen Schuldirektor an, Frank Losch, Direktor der Rindt-Schule in Senftenberg, der sich durch sein unkonventionelles Handeln auszeichnete. Sokrates hatte einen irren grossen Kreis an Leuten, mit denen er zu tun hatte, die er kannte, und die er einschätzen konnte. Da war ein Unternehmer: Tilo Schenker, der auch zusagte, aber leider nie da war. 

Da war Herr Winkowski, vom Wissenschaftspark in Golm, einer der wenigen, die keinen Lausitz-Bezug hatten, der aber über ein immenses Wissen in Sachen regionaler Vermarktung und Wirtschaftsentwicklung verfügte, was Regionalentwicklung betraf, und der enorm anregend wurde.

Auch Johann Legner, der Journalist, der die ganze Zeit dabei war, stammte nicht aus der Lausitz. Aber er war einige Jahre Stellvertrender Chefredakteur der Lausitzer Rundschau, und schon von daher ein echter Kenner der gesamten Lausitzer Szene, dem das Herz für die Lausitz im wahrsten Sinne blutete. 

 

 

Da war die Gründerin einer belgischen Schokoladenfabrik, die auch eine dieser ganz besonderen Gründungsgeschichten verkörperte. 

Und da war vor allem Sewan Latchinian, der Chef der Neuen Bühne Senftenberg, der einen grossen Gewinn für unsere künftige Runde darstellte. Auch er jemand, der die Kunst verstand, wie er es selbst mal sagte: „Aus Stroh Gold zu spinnen.“. Er nahm die Märchen wörtlich, und erweckte sie zum Leben. 

Und dann schleppte Sokrates Danny Plotzke an, den jungen Chef von „Interfish“, eine absolute Ausnahmeerscheinung, faszinierend, erfolgreich und zäh. Er hatte seine Firma aus dem Boden hochgestammt, war zum Musterbeispiel eines start up in der Lausitz geworden, ein Garagentyp, also jemand, der seine ersten Entwicklungen, Erfindungen und Produktionen in einer Garage vornimmt. Aus dem Nichts heraus, hatte seine Firma, ein Zierfischhandel 30 Mitarbeiter und einen Jahresumsatz von über einer Million €. 

 

 

Wir waren vielleicht, vor allem am Anfang zu sehr auf Unternehmerpersönlichkeiten fixiert. Das ist angesichts des Fehlens an Betrieben, ohne die es kein Wachstum an Arbeitsplätzen geben kann, verständlich. Aber eine Gesellschaft lebt nicht von Unternehmern alleine. Sie sind, selbst da, wo sie sich dafür halten, eben nicht der Nabel der Welt, auch sie leben von Voraussetzungen, die sie nicht selbst erzeugen. Eine innovative und sich entwickelnde Gesellschaft braucht aber mehr als Wirtschaftsgrößen. Kreativität und Standvermögen ist überall notwendig. Die Haltung, die man braucht, um etwas aus dem Boden zu stampfen ist nicht nur für die Entwicklung von Betrieben notwendig. 

Ich hatte das Beispiel vor Augen: Saxdorf – zwei Männer, Karl-Heinz Zahn und Hans-Peter Bethke. Der eine Pfarrer, der andere Maler, die beide seit den 70er Jahren inzwischen ein kirchliches Kleinod zum neuen Leben erweckt hatten, das weit über den Ort inzwischen ausstrahlte mit seinen regelmäßigen gut besuchten Konzerten, und einem blumenreichen Garten, der weit über die Region hinaus jedes Jahr über 10000 Besucher anzog. Auch sie machten mit  bei den Neuen Horizonten. 

Christoph von Jan war Geschäftsführer der Schraden Biogas GmbH in Gröden. Nicht nur, dass sein Firma, die seit Anfang der 90er Jahre existierte vorbildlich mit Abfällen umging, und sie in Energie umwandelte, was damals noch Neuland war, er kannte sich auch bestens mit der gesamten Gesetzgebung aus. Ich selbst war dabei, wie er einem Mitarbeiter des Umweltministeriums die Änderungsbedarf im Kreislaufgesetz erläuterte. Auch von Jan war nicht aus der Lausitz. In die Lausitz war er aus Baden-Württemberg mit einem Umweg über Südafrika gekommen. Er hätte nicht in die Lausitz kommen müssen. Aber er brachte sich hier ein.

Oder Hajo Schubert, der Gewerkschafter, der fast im Alleingang aus dem ehemaligen Kraftwerk Plessa eine Industriemuseum gemacht hatte, das viele Besucher anzog, und das zu einem Leuchtturm in der von Deindustrialisierung geprägte Lausitz Bergbaulandschaft geworden war. 

 

Als wir die Liste an Leuten, die hier nicht vollständig aufgezählt ist, Revue passieren liessen, stellten wir fest, dass sie überwiegend Zugezogene enthielt. Und damit war schlagartig klar, dass der allgemeine Jammer über den Wegzug gerade der Jugendlichen fehl am Platz war. Zuzug brauchten wir, keine Angst vor dem Fremden, sondern ein Zugehen auf die Anderen, die von ferne gekommen waren. Eine Region lebt nicht davon, dass keiner verschwindet, sondern von Innovation. Und wenn die mit Fremden einhergeht, dann sollte die Region sich zur Heimat für sie machen, so schnell es geht. Nicht Fremdeln, sondern einladen. 

 

Mentalitätsfrage

 

Nicht weniger als einen Mentalitätswandel brauchten wir in der Region, wenn sie denn Flügel bekommen sollte. Eine Sache die schwer zu machen ist, die aber immer auch die Voraussetzung für Entwicklung ist. Und damit waren wir bei den inneren Haltungen. Was Leute wie Zahn oder von Jan, oder Sokrates oder Latchinian auszeichnete, waren nicht ihre Beziehungen, oder ihre Qualifikationen oder ihr Geld, sondern Selbstbewusstsein und Courage. Dies ist der Stoff, der Regionen zum Blühen bringt. Das wussten wir schon, bevor es zum ersten Treffen der Neuen Horizonte überhaupt gekommen war. 

 

Wir durften nicht zu viele einladen. Unsere brainstorming - Runde war an die optimale Zahl ihrer Teilnehmer gebunden. Sie muss so um die sieben Leute betragen. Je näher die Grösse der Runde sich dieser Zahl annäherte, desto fruchtbarer wurden die Diskussion, wie alle Erfahrungen bestätigten. Wir hätten noch mehr nehmen können. Aber man muss bei solchen Sachen auch immer den Mut zur Lücke mitbringen. Und natürlich wir hatten zu wenig Frauen. Bis auf Franziska Pfeifer gab es hier nur eine Adressatin, die noch nicht mal kam, obwohl sie es immer beteuert hatte. Woran es lag, dass wir kaum Frauen fanden, ist wahrscheinlich ein eigenes Thema wert. Ich hatte da keine Antwort drauf, auch hier nicht. 

Dieser blog ist der dritte Teil einer Auftragsarbeit für eine Festschrift und wird in den nächsten Tagen fortgesetzt.