5. und letzte Folge
Man trennt sich nicht gerne von Erfreulichem. Das gilt auch für die Arbeit. Die Neuen Horizonte waren erfreulich für ihre Teilnehmer. Aber sie stiessen auch an Grenzen. Und leider gab es auch Verluste zu verzeichnen.
So starb unerwartet und plötzlich Franziska Pfeifer. Sie gehörte ja sogar zu den Initiatoren der „Neuen Horizonte“. Sie hatte, aber das erzählte sie mir nicht, eine schwere Krankheit, die sie ins Krankenhaus zwang. Ich hörte lange nichts von ihr. Dann war sie wieder da, und tat so, als sei nichts gewesen. Aber sie unterhielt sich plötzlich mit uns über den Tod. Sie schwärmte von einer Seebestattung. Mir hätten die Glocken läuten müssen. Aber ich konnte mit dieser Botschaft nichts anfangen. Und ich hatte auch überhaupt keinen Zugang zu dieser Art von Beerdigung. Grausam fand ich das. Doch ein halbes Jahr später war sie tot. Und sie hatte hinterlassen, dass nichts an sie erinnern solle. Es solle auch keine Feier geben, keinen Abschied. Sie liess sich auf See bestatten im engsten Familienkreise. Das war wie ein Hammer für mich. Da war eine Fehlstelle. Man konnte nicht einmal Abschied nehmen.
Dann verlor ich mein Bundestagsmandat. Das kam nicht unerwartet, und es kam für mich auch nicht ganz absichtslos. Schwierig und schmerzhaft war das trotzdem. Ich musste mich erst einmal umsortieren. Schon deshalb ruhten die Neuen Horizonte. Ich hatte immer gedacht, dass es Teilnehmer gab, die kamen meinetwegen und wegen meines Amtes. Das hatte ich nicht mehr. Welchen Sinn sollten die neuen Horizonte noch machen? Vor allem auch für mich.
Sokrates aber liess sich nicht beirren. Er wollte unbeirrt diese Art von brainstorming weiterbetreiben. So trafen wir uns noch 2 bis 3 mal. Und diesmal stand, bedingt durch das sichtbare Aus der Braunkohlenverstromung, noch aktueller die Notwendigkeit der Erarbeitung einer braunkohlenfreien Persepktive für die Lausitz im Raum. Keine neue Erkenntnis für die „Neuen Horizonte“, aber eine dringendere Aufgabe als vorher.
Bereits einige Jahre vorher hatte ich, vermittelt durch Johann Legner, der auf Grund seiner journalistischen Kontakte, die Stimmung im schwedischen Energiekonzern gut kannte, Gespräche mit Vattenfall geführt, um auszuloten, inwiefern dieser riesengrosse Energiekonzern bereit war, sich an einer industriellen Neuausrichtung der Lausitz zu beteiligen. Doch mittenhinein platzte der brandenburgische Wirtschaftsminister Junghanns mit der Ankündigung des Aushubs neuer Braunkohlelöcher. Und dann machte sich ausgerechnet Platzeck zum Garanten der weiteren Braunkohleverstromung in seinem Land. Warum sollte Vattenfall also nun noch Interesse an einer Umstrukturierung der Energielandschaft haben? Die politischen Rahmenbedingungen für ein kreatives Herangehen an die Regionalentwicklung waren vorher schon nicht gut gewesen, nun hatten sie sich verschlechtert.
Vor kurzem ist der den Termin für das Ende der Braunkohlenverstromung auch in der Lausitz verkündet worden. Das war im ersten Jahrzehnt unseres Jahrtausends, also als wir uns trafen, absolut absehbar. Es wäre besser gewesen, die Region und ihre Landesregierung hätte sich darauf eingestellt.
Unsere „Neue Horizonte“-Runde war deutlich kleiner geworden, immer noch ergiebig, immer noch lustig, und immer noch voller Substanz. Aber die Schwächen der Neuen Horizonte schlugen jetzt noch mehr zu Buche.
Irgendwann ging Sewan Latchinian aus Senftenberg weg. Er war wohl der Prominenteste der ganzen Runde gewesen. Er suchte nach neuen Herausforderungen, die er bekanntlich in Rostock fand, wo er sich schnell einen Namen machte als streitbarer Intendant für sein Theater.
Dann ging Schubert. Erst verlor er seine Wirkungsstätte im Industriedenkmal „Kraftwerk Plessa“, dann ging er nach Dresden. Dann verstarb er. Auch das war ein schwerer Verlust für mich. Aber da waren die Neuen Horizonte schon Geschichte.
Aber wir hatten auch noch eine Neuerwerbung. Sebastian Zoepp, ein junger Unternehmer, Umweltcoach - Spreescouts heisst seine Firma - aus der Lausitz, liess sich anstecken. Die "Neuen Horizonte" entsprachen seiner eigenen Vision von Entwicklung zutiefst. Im Grunde führt er diese Ideen, und dieses Format weiter.
Was bleibt
Mit Sokrates verbindet mich bis heute eine intensive Freundschaft. Er war so ansteckend mit seinem Optimismus, dass er mir häufig über schwierige Zeiten, vor allem über innere Hemmungen und Versagensängste hinweghalf damit. Er konnte einem Mut machen, als wenn er von Mutter Natur das Doppelte an dieser Art von mentaler Stärke mit auf seinen Weg bekommen hatte. Er konnte einem immer etwas abgeben davon. Das merkt ihm heute immer noch an. In dieser Hinsicht ist er unverwüstlich.
Er hatte übrigens noch etwas vor mit mir. Er wollte mit mir Musik machen. Uns so führte er mich in die griechische Folklore ein, und er machte mich vertraut mit vielen ihrer Lieder. Und so kam es, dass wir die gemeinsam aufführten. Er damals noch im Kraftwerk Plessa vor 400 Leuten, die extra kamen, um griechische Musik, dargeboten mit der kräftigen und leidenschaftlichen Sanges-Stimme von Sokrates und mir am Klavier auf dem alten Turbinentisch zu erleben. Sokrates hatte sich nicht lumpen lassen, griechisches Essen organisiert und eine griechische Tanztruppe, die den Gästen die die Folklore nicht nur vortanzte, sondern sie einlud, sie gleich mal mit auszuprobieren.
Das Ganze war ein solcher Erfolg, dass wir das gleiche Konzert in Berlin wiederholen konnten: mit Hilfe der griechischen Botschaft und der griechischen Gemeinde in Berlin, musizierten wir an prominenter Stelle – im Atrium und zu Gast bei der Deutschen Bank - Unter den Linden in Berlin. Diesmal hatten wir noch das Glück, griechische Musiker dafür gewinnen zu können, so dass wir als Formation auftreten konnten. Das war herrlich. Auch hier war das Haus voll. So etwas vergisst man nicht.
Diese Art von mentaler Stärke, wie Sokrates sie hat, ist die halbe Miete, wenn man ein grosses Projekt starten will. Wer Sokrates kennt, weiss, wie häufig er das in seinem Leben gemacht hat, ein neues Projekt starten. Dafür braucht man Selbstbewusstsein, Mut und Lust am Leben. Im Grunde werden diese drei Eigenschaften die wichtigsten sein, um auch der Region der Lausitz wieder zu neuem Leben zu verhelfen.
Sicher, wir hatten auch eine ganze Reihe an Vorschlägen konkreter Art entwickelt, oder uns einfallen lassen. So z.B. die finanzielle Förderung von Studenten, die nicht nur in der Lausitz studierten, sondern auch hier bleiben wollten. Sokrates transportierte diese Idee in die entsprechenden Gremien. Heute werden sie praktiziert.
Doch insgesamt erwies es sich als sehr schwer, die hier entstandenen Ideen gewissermassen in die Region zu transportieren. Hinzu kam, dass ich, der ich eigentlich durch meine Kontakte und meinen Beruf, solange ich noch Bundestagsabgeordneter war, diesen Job hätte machen müssen. Doch dazu fühlte ich mich, abgesehen, von den geschilderter Ausnahmen nicht in der Lage. Burn-out und Depressionen kamen zu meiner allgemeinen Unsicherheit bei dieser Art von Klinkenputzen noch hinzu. Sie waren immer ein Kraftakt gewesen. Ich hatte keine Lust mehr dazu.
Eine Idee, vielleicht die beste, war eine Internetplattform, die ähnlich wie facebook, die Lausitz zu einem virtuellen sozialen Netzwerk gemacht hätte. Wir hatten sogar einen Namen: lausitz-unlimited. Wir hatten schon die domain besetzt.
Doch wir konnten diese Idee nicht realisieren. Niemand war bereit, aus den Neuen Horizonten herauszutreten, und sich zum Unternehmensgründer zu entwickeln. Auch ich nicht. Ich hatte inzwischen für mich eine neue Persepktive gefunden. Ich wollte mich nicht in dieses start-up-Abenteuer stürzen.
Wir konnten die Idee übrigens auch deshalb nicht realisieren, weil sie in der Lausitz schon besetzt war. Mit Subventionen durch die Landesregierung finanziert, bemühte sich da jemand redlich, aber völlig ergebnislos eine Art Internetvermarktung der Region hinzubekommen. Doch Absicht reicht nicht, man muss es schaffen, das Rad zum laufen zu bringen. Das kann man mit Subventionen alleine nicht erreichen. Subventionen schaffen Arbeit, ja; aber nur für die Leute, die unmittelbar davon leben, aber ihren eigentlichen Zweck, nämlich die Förderung eine Region verfehlen sie fast immer. Ich hatte das so häufig in meiner Arbeit als Wahlkreisabgeordneter erleben müssen. Subventionen schaffen ein gutes Gewissen für die Verantwortlichen in der Region. Sie können darauf verweisen, wenn sie von ihren Wählern zur Rechenschaft gezogen werden. Viel zu spät erst sehen diese, dass das ganze Geld ergebnislos konsumiert wurde. Wieder sind Jahre ins Land gegangen, ohne dass sich etwas Neues entwickelt hätte. Nicht dass die Politik keine Mittel in der Hand hätte, eine Region zu fördern, aber dafür muss sie nach den Ursachen des Übels schauen, und sie muss mit den Menschen reden, sie muss erklären, sie muss einen Weg weisen. Politik kann den Menschen die Verantwortung für ihre Region nicht abnehmen. Sie ist im besten Fall nur das Mittel für die Region, derer sie sich bedienen können sollte, um ihre eigenen Ideen und Vorhaben zu unterstützen.
Wolf Dieter Grossmann, der mich immer drängte, mal Kontakt zur Bundesregierung zu bekommen, damit er ihnen wie ein Missionar erzählen kann, wieviel Potential in der Entwicklung der Wissensgesellschaft steckt, verschaffte ich immerhin einen Termin bei Bundesverkehrsminister Tiefensee. Doch Tiefensee sprang gar nicht an. Ich hatte den Eindruck, dass ihn das langweilt. Er tat so, als wisse er das alles schon. Er bekam Gold von Grossmann präsentiert, aber er erkannte es nicht.
Und ich selbst hatte mich mal durchgerungen, dem damaligen Ministerpäsidenten Platzeck um einen Termin zu bitten, um ihm von unserer Runde zu berichten. Auch er liess sich nicht begeistern. Er konnte nichts damit anfangen, hatte ich den Eindruck. Auch hier dachte ich, dass er es gar nicht will.
Vielleicht ist es ja so, dass es auch auf dieser Ebene keinen Mangel an Ideen gibt, sondern an ihrer Realisierung.
Denn den Sokrate‘schen Mut und seinen Optimismus, den kann man nicht transportieren. Den kann man nur vermitteln. Unsere Verantwortlichen hätten eine Menge davon brauchen können. Ich auch. Ich bekam ja schon eine Menge davon mit. Der Mutloseste war ich nebenbei auch nicht. Aber ich spürte, dass mein Abstand zur Region und zu seiner amtierenden, inclusive politischen Elite immer grösser wurde.
Regionen leben von ihren Menschen, so wie sie sind. Und wenn diese Menschen sich nichts zutrauen, dann wird das nichts mit einer Regionalen Entwicklung. Doch das muss nicht so bleiben. Haltungen müssen nicht ewig so bleiben. Sie lassen sich verändern. Das hat was mit vorleben, mit vermitteln zu tun. Eine Region verändert sich, wenn die Menschen plötzlich zuversichtlich in ihre Zukunft schauen, wenn sie sich plötzlich etwas zutrauen. Es müsste sich lohnen, diese Haltung zu kommunizieren. Das ist mehr als Gesetze schreiben, oder Fördermittel auszureichen. Nichts kann die fehlende Kraft der Menschen ersetzen. Es ist der Glaube, der Berge versetzt. Und es ist der Mut, und der Optimismus, der Einen Aufgaben in Angriff nehmen lässt, woran man vorher noch verzweifelte.
Das, was wir in den Neuen Horizonten vorexerziert haben, was wir besprochen und gesehen haben wie in einem Reagenzglas, war der Stoff, aus dem sich eine Region entwickeln lässt. Weiter sind wir nicht gekommen. Doch wer weiter kommen will, wird zumindest erstmal diesen Punkt erreichen müssen. Denn selbst das ist beispielgebend. Es geht ja nicht nur darum, eine ganze Region zu entwickeln, sondern manchmal auch sich selbst. Jeder kann das anpacken, für sich oder im kleinen Kreis. Die Chance besteht. Man muss sie nur sehen können und ergreifen, konkretisieren lässt sie sich immer. Man muss sich trauen. Oder wie der Volksmund sagt: „Es gibt nichts Gutes, außer man tut es.“
Manchmal hat man das Glück damit eine ganze Region entwickeln zu können, oder sogar ein Land. Aber das ist selten. Doch entwickeln kann man immer was. Und man kann damit immer auch Vorbild sein, für die grosse Zahl an Bedenkenträger, an Resignierten, an Mutlosen. Man kann einen Kontrapunkt dagegen setzen. Das waren die „Neuen Horizonte“, der Kontrapunkt zur Allgemeinen Niedergeschlagenheit in der Lausitz.
Leben heisst immer auch, sich auf den Weg machen. Das galt schon immer, und es gilt auch heute. Wie leben nicht in einer Ödnis. Wir besitzen viel mehr Substanz, als wir wissen. Doch viele Menschen ahnen nichts von diesem Schatz in sich, ja sie wollen ihn nicht mal wahrhaben. Jammern ist da manchmal einfacher, auch wenn es nicht hilft.
Man muss verrückt sein, man muss die Region verrücken; nur um ein kleines Poeng weg vom Jammern hin zum Tun. Dann schafft man alles was man will. Oder anders ausgedrückt: Mentale Stärke kann mehr bewirken als das Geld von Tausend Millionären. Ein kleines Kind mag mit seiner Phantasie, mit seiner Lust zu leben mehr bewirken, als eine ganze Gesellschaft mutloser erwachsener Menschen. Märchen muss man Ernst nehmen. Oder wie Sokrates einstmalst sagte: „Für jedes Problem gibt es mindestens zwei Lösungen. Es reicht, wenn wir eine finden.“
Dieser blog ist der fünfte und letzte Teil einer Auftragsarbeit für eine Festschrift.