Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern

Vaterunser, Matthäus-Evangelium Kapitel 6, Vers 12

Seit einigen Jahren kann man viel von der Schuld der Alliierten gegenüber Deutschland und Deutschen im 2. Weltkrieg hören. Diese Stimmen nehmen zu, sie werden immer mehr, und tauchen auch dort auf, wo man sie nicht vermutet. In Intellektuellenkreisen, bei Künstlern, bei ehemaligen Oppositionellen der DDR. 

 

Doch diese Stimmen tragen nur Altes und Bekanntes vor. Neu ist das nicht, und erhellend ist das auch nicht. Neu ist der Ton, der unausgesprochene Inhalt dieser Hinweise auf die Schuld der Alliierten. Denn damit ist eine Schuldzuweisung verbunden. Es geht nicht mehr nur darum, sich klarzumachen, dass auch die Alliierten in ihrem Kampf gegen Hitlerdeutschland Kriegsverbrechen begangen haben, sondern es geht darum abzulenken; von der eigenen Schuld der Deutschen, diesen Krieg begonnen zu haben und ihm in allen seinen dunklen und verbrecherischen Seiten den eigenen Stempel aufgedrückt zu haben. Was immer auch man den Alliierten in die Schuhe schieben kann: die Deutschen haben damit angefangen. Die ersten Bombenangriffe haben die Deutschen geflogen, dieser Bombenkrieg kam mit allen seinen furchtbaren Seiten nach Deutschland zurück und hörte bis zum April/Mai 45 nicht mehr auf. Die Deutschen betrieben eine Kriegsführung der verbrannten Erde in der Sowjetunion. Die Rote Armee nahm furchtbare Rache als sie dann in Deutschland einmarschierte. Die Deutsche Armee erschoss Geiseln und wehrlose Kriegsgefangene. Letzteres  machten die Amerikaner auch. Dass die Deutschen auch 6 Millionen Menschen wegen ihrer jüdischen Religion oder vermeintlichen Rasse umgebracht haben, dass sie die Homosexuellen töteten, dass sie Kinder töteten, weil sie behindert waren, dass sie die Sinti und Roma umgebracht haben, das haben ihnen die Alliierten Gott sei Dank nicht nachgemacht. Genozid ist ein deutsches Wort. Oder um es mit Celan zu sagen: Der Tod ist ein Meister aus Deutschland. 

 

Sicher auch die Alliierten haben Verbrechen begangen. Aber man muss sich immer klar machen: Das war Krieg damals. Und im Krieg gibt es grundsätzlich keine Regeln. Im Krieg wird alles gemacht, was den Gegner schwächt und tötet. Haager Landkriegsordnung, Schutz der Zivilbevölkerung, Verbot von Kriegsverbrechen; papperlapapp. Wenn es dem Gegner schadet, wird es gemacht. Der Krieg kennt nur noch Aggression und Gewalt. Das ist sein Mittel. Wer einen Krieg beginnt, muss wissen, was er damit entfesselt. 

 

Deshalb macht es zur Erklärung unserer Geschichte, und vor allem der Geschichte der Sowjetischen Besatzungszone  keinen Sinn auf die Verbrechen der anderen hinzuweisen, wenn ich nicht zuerst die eigenen Verbrechen in den Blick nehme. Nur wer tapfer die eigene Schuld ins Auge nimmt, kann hoffen, dass ihm die Opfer und ihre Nachfahren irgendwann mal vergeben. Wenn das überhaupt möglich ist. 

 

Wer aber mit dem Finger auf andere zeigt, wenn er selbst ein Verbrecher ist, der will nur ablenken, der will sich selber reinwaschen, der will das alte Spiel neu beginnen, der will Schuld mit Schuld aufrechnen, in der Erwartung seine eigene Schuld dabei kleiner zu machen, und die Schuld der anderen gross. Zum Schluss werden die Opfer zu Verbrechern. Das nennt man dann Schuldumkehr. Und das führt direkt hinein in neue Feindschaften, die eigentlich nur die Fortsetzung der alten sind. 

 

Nein mit dem Finger auf andere zu zeigen, bringt gar nichts. Deutschland hat den Krieg angefangen. Und Deutschland hat den Krieg verloren. Es hat bitter gezahlt dafür. Und es hat die Last dieses Krieges und seiner Verbrechen den nachwachsenden Generationen aufgebürdet. Die müssen jetzt damit fertig werden, und das tun sie nur, wenn sie sich zu ihrer Geschichte bekennen, wenn sie sie nicht beschönigen. Nur so können wir in Frieden mit unseren Nachbarn leben, nur so können wir den Frieden bewahren, nur so können wir uns entfalten und wachsen und gedeihen, nur so können wir unsere Fähigkeiten in Technologie, Wissenschaft, Wirtschaft, in Kunst und Kultur entfalten und Früchte tragen lassen. Nur so können wir stolz sein auf unsere Leistungen. Aber unsere Kriegsgeschichte, die verlangt Demut, und sie verlangt Anerkennung der eigenen Schuld.

 

Das grösste Glück, was wir Deutschen in den letzten Jahrzehnten nach dem 2. Weltkrieg erfahren durften, war die praktische Vergebung für unsere Schuld, war die Bereitschaft unserer Nachbarn, der Nachfahren unserer Opfer, auf uns zuzugehen, und uns unsere Schuld zu vergeben. Wenn wir anfangen, diesen unseren Nachbarn ihre eigene Schuld vorzuhalten, dann verspielen wir diese Vergebung. Dann beginnt das Spiel von neuem, und dann wird Deutschland noch viel mehr bezahlen, als es für den 2. Weltkrieg bezahlt hat. Dann wird es vernichtet werden. 

 

Nur in der Vergebung der Schuld, sowohl der eigenen wie auch der anderen liegt der Segen des Friedens, der Partnerschaft und einer gemeinsamen Zukunft mit den anderen Menschen dieser Welt. Dafür können wir dankbar sein. Es liegt an uns, diesen Weg der Anerkennung der eigenen Schuld, der Bitte um Vergebung und der Vergebung der Schuld der anderen zu gehen. Er mag hart sein, weil es immer hart ist, der eigenen Schuld tapfer ins Auge zu sehen. Aber was wir bekommen ist mehr als diese Härte, es ist der Segen des Friedens, der Partnerschaft und der eigenen Prosperität solange wir leben.