Was kommt auf uns zu? Was bedeutet der russische Feldzug gegen die Ukraine? Was müssen wir aushalten und was müssen unsere Ziele in diesem Konflikt sein?

Letzte Woche hat bekanntlich der ukrainische Präsident im Plenum des Bundestages gesprochen. Das, was eigentlich ein Symbol der Solidarität mit der von Russland heimgesuchten Ukraine hätte sein können, wurde bereits im Vorfeld skandalisiert; nicht wegen der Rede als solcher, sondern wegen der Weigerung der Ampel-Koalitionäre im unmittelbaren Anschluss an diese Rede dem Wunsch der Opposition zu folgen, und eine parlamentarische Aussprache über den Ukrainekrieg und was er für uns bedeutet zu führen. 

 

Die Inszenierung dieses Skandals hat der Opposition, vor allem der Union einen Punktsieg beschert. Und zwar nicht deshalb, weil sie nicht auch ihre Mitverantwortung für den Überfall Russlands auf sein größtes Nachbarland tragen würde, sondern weil vor der deutschen Öffentlichkeit sichtbar, die Parteien der Koalition sich offenbar nicht in der Lage sehen, sich einerseits zu den Fehlern der Russlandpolitik der beiden letzten Jahrzehnte zu bekennen, als auch klar zu benennen, was dieser Krieg, den Russland vom Zaum gebrochen hat, für uns bedeutet, was neben den schrecklichen Kriegs-Bildern in der Ukraine selbst und mit den großen Flüchtlingstrecks aus der Ukraine durch die deutschen Bahnhöfe und Städte noch auf uns zukommen wird, was wir auszuhalten haben und welche Ziele wir, die Bundesrepublik im speziellen und die westlichen Demokratien im allgemeinen in diesem Konflikt verfolgen sollten, verfolgen müssen. 

 

Ich will diese Verantwortung benennen, ich will versuchen anzudeuten, was der Ukraine-Konflikt für uns bedeutet, worauf wir uns einzustellen haben, und welche politischen Ziele wir in diesem Konflikt verfolgen müssen. Ich kann das nicht in gebotener Ausführlichkeit machen, ich kann hier nur skizzieren, was meiner Meinung nach jetzt ersichtlich und geboten ist. 

 

 

Es war das Ergebnis einer deutschen Energiepolitik, dass Deutschland gegenüber Russland in den letzten beiden Jahrzehnten einen Sonderweg ging, und dass es sich im Ergebnis in eine eklatante Abhängigkeit gegenüber den russischen Energielieferungen begeben hat. Damit hatte es sich nicht nur über die europäische Energiestrategie hinweggesetzt, sondern sich auch gleichzeitig einer diplomatisch höchst ungewöhnlichen heftigen, offenen und öffentlich vorgetragenen Kritik unserer Partnerländer wie Frankreich und  Großbritannien aber auch den USA ausgesetzt. Dabei darf man die US-amerikanische Kritik nicht nur der unseligen Trump-Administration zurechnen, auch der vergleichsweise besonnen und diplomatisch agierende Joe Biden sparte nicht mit Kritik an der Sache selbst. 

 

Deutschland verbrämte diese schädliche deutsche Energiepolitik als eine besonders weise Form von Geopolitik gegenüber Russland, das man auf diese Weise in politisch in die westlichen Wirtschaftsstrukturen einbinden wollte, um so seine, immer erkennbarer werdende Rückkehr zu altem russischem Expansionsdrang zu entschärfen. Es ist schlicht das Gegenteil eingetreten. Dabei muss man der Fairness halber festhalten, dass keine nennenswerte deutsche Partei bis in die jüngste Vergangenheit hinein die fatalen Folgen dieser Energiepolitik korrigieren wollte. Das hat erst der russische Überfall auf die Ukraine bewirkt. 

 

Deutschland hat damit Putin in seinem Glauben gestärkt, seiner expansionistische Politik gegenüber seinen europäischen Nachbarn ungestraft folgen zu können, und trägt damit eine Mitverantwortung für den russischen Überfall auf die Ukraine. Das ist schlimm, und das müssen wir uns vorhalten lassen. Insbesondere vom ukrainischen Präsidenten und wohl auch vom ukrainischen Boschafter, obwohl der gerne eher als Polemiker denn als Diplomat durch die Lande zieht. 

 

Daneben hat Deutschland mit seiner Energie- und Russland-Politik aber auch den Zusammenhalt der Europäischen Union und der NATO einer schweren Belastungsprobe ausgesetzt. Natürlich ist das Verhalten der Polen oder der Ungarn, was deren Rechtsstaatlichkeit angeht unverzeihlich, aber die Frage ist doch erlaubt, ob Deutschland, das ja die führende Macht in der EU ist, mit seinem egoistischen und geopolitisch blindem Kurs den zentrifugalen Kräften in der EU nicht Vorschub geleistet hat. 

 

Jetzt tobt der Krieg in der Ukraine, und niemand weiß, wie lange er dauern wird. Es muss unser erstes Ziel sein, ihn nicht weiter eskalieren zu lassen. Aber in der Hand haben wir das nur z.T.. Und wir müssen der Ukraine als Staat und als Gesellschaft zur Seite stehen. Wir müssen das maximal mögliche leisten, um den Widerstandswillen der Ukrainer und der Ukraine selbst zu unterstützen. Das schließt selbstverständlich Waffenlieferungen mit ein. Bis wohin diese der Verteidigung der Ukraine dienen, oder ab wann sie eine Eskalierung des Krieges bedeuten, ist eine ganz schwere Frage, deren abschließende Beurteilung ich nicht leisten kann. 

 

Dabei besteht die Gefahr einer Eskalierung nur zum Teil in der Einbeziehung anderer Länder, wie Polen, Rumänien, oder Staaten des Baltikums. Schlimmer fast noch ist der Einsatz von Atomwaffen in diesem Krieg, denn das führt mindestens zur Vernichtung Europas selbstverständlich unter Einschluss Russlands. Und das ist auch der Grund für die früh erklärte Nichtteilnahme der USA, oder den anderen Ländern der NATO an diesem Krieg. Denn wenn das passiert, dann haben wir nicht nur den 3. Weltkrieg, wie Biden nicht müde wird, zu erklären. Vielmehr werden wir dann erleben, wie die militärische Logik, die nur Sieg oder Niederlage kennt, auch vor dem letzten militärischen Instrument, dem Einsatz von Atomwaffen nicht zurückschrecken kann. Und dann wird es nicht bei einem einmaligen Einsatz bleiben, dann gibt es einen Atomkrieg. Diese Einsicht in die militärische Logik war es, die uns zu Zeiten des Kalten Krieges vor einem heißen direkten Krieg der Supermächte bewahrt hat. Und diese Logik ist es, die die NATO und die USA vor einer direkten Teilnahme am Ukraine-Konflikt warnen lässt, und die sie bisher vor der von Selenskiy geforderten Sperrung des ukrainischen Luftraums hat zurückschrecken lassen. Das ist weise und vernünftig. 

 

Gleichzeitig hat niemand Einfluss auf die Wahl der militärischen Mittel, die Putin in seinem Feldzug gegen die Ukraine noch einzusetzen gedenkt. Terror gegen die ukrainische Bevölkerung kann er ohne Ende ausüben. Und dabei ist es durchaus möglich, dass er auf B und C – Waffen zurückgreifen wird. So hart das ist, und so schwer es sein wird, dabei zu sehen zu müssen. Der Einsatz von Atomwaffen seitens der russischen Armee wäre schlimmer. Denn dann hat die Zerstörung Europas begonnen, begonnen von Seiten Russlands. Dann sind alle Dämme gebrochen. Und dann würde ich nicht mehr die Hand dafür ins Feuer legen, dass die westeuropäischen Mächte sich weiter in militärischer Zurückhaltung üben werden. Besser wird dadurch nichts. Danach hätten wir dann eine neue Zeitrechnung, beginnend mit dem Jahr 1 nach dem ersten Atomkrieg. Wie das aussieht, will ich mir gar nicht ausmalen. 

 

Und das alles macht die Aggressivität des neu entfachten russischen Expansionsdranges unter Putin aus: das ist ja nicht nur ein Angriff auf den Freiheitswillen, und dem Wunsch nach Demokratie und Rechtsstaatlichkeit der Ukrainer, sondern aller Menschen die sich mit diesem Wunsch der Ukrainer einig fühlen, ganz gleich ob sie im westlicheren Europa leben, oder auf allen anderen Kontinenten dieser Welt, ganz gleich, ob sie bereits in rechtsstaatlichen Demokratien leben, oder derzeit noch davon träumen müssen. Wie sehr muss Putin diese unsere Lebensweise hassen müssen, dass er nicht mal vor der Gefahr eines Atomkriegs zurückschreckt, um die Menschen von der Idee der Demokratie abzubringen?

 

Doch das wird ihm nicht gelingen. Denn die Politik von Putin, wie aller Autokraten und Diktatoren steht gegen den Lauf der Geschichte. Unsere Welt, die Menschheit selbst hat keine andere Möglichkeit um sich ihre Zukunft zu gestalten, um den Frieden zu bewahren, als den Weg der Freiheit, der Selbstbestimmung, der Demokratie, der Kooperation und der Zusammenarbeit aller Länder und Völker zu gehen. Mit Unterdrückung, mit Unterjochung, mit Gewalt und Krieg lösen wir unsere Probleme nicht. Wir brauchen den Frieden und genau deshalb brauchen wir die Selbstbestimmung der Länder. Putins Krieg ist ein Anschlag auf uns alle. 

 

Und genau deshalb ist es gerechtfertigt, mit allen anderen Mitteln, die uns zur Verfügung stehen, Russland von der Fortsetzung seines militärischen Feldzuges gegen die Ukraine abzubringen. Direkt eingreifen können wir nicht. Aber wir können die russische Infrastruktur treffen, die diesen Krieg erst möglich gemacht hat, wir können die Finanzströme unterbrechen, die das russische Militär finanziert, und die die russische Aufrüstung ermöglicht hat, wir können bis dahin gehen, den russischen Staat bankrottgehen zu lassen, der diese aggressive Politik ersonnen und durchgesetzt hat. Wir können den Technologietransfer unterbrechen, der die teuflischen russischen Waffen ermöglicht hat. 

 

Putin hat diese westliche Sanktionspolitik einen wirtschaftlichen Blitzkrieg genannt. Damit knüpft er an die russischen Erfahrungen des deutschen Überfalls im 2. Weltkrieg an, den die damalige Sowjetunion siegreich beenden konnte. Doch Putin sollte nicht vergessen, dass es nicht die Sowjetunion allein war, die Hitlerdeutschland überwunden hat, sondern es war die Allianz der Alliierten selbst, das gemeinsame Zusammenstehen der Sowjetunion, den USA und Großbritannien gegen das aggressive Deutschland, das ganz alleine gegen diese alliierte Übermacht stand. Heute befindet sich Russland in der Rolle Hitlerdeutschlands. Das Menetekel des Blitzkrieges gilt nicht dem Westen oder der Ukraine, es gilt ihm, Putin selbst. Er wollte mit einem kurzen schnellen Feldzug die Ukraine erledigen. Er wird erleben, dass er wie seinerzeit Hitler mit diesem Überfall seinen eigenen Untergang eingeleitet hat. 

 

Und trotzdem ist es nicht die Sache des Westens Putin zu stürzen. Das werden andere machen. Die Sache des Westens ist es, Russland dem Boden für seine weiteren militärischen Bemühungen zu entziehen, und zwar so lange, bis sich Russland komplett aus der Ukraine zurückgezogen hat, einschließlich der Krim und des Donbass. Einem Aggressor wie Russland gegenüber darf man keine Zugeständnisse machen, auch nicht die einer Neutralität der Ukraine. 

Der letzte Punkt, den es zu bedenken gilt, das ist die künftige Erweiterung der europäischen Friedensordnung um Russland selbst, ohne Zugeständnisse, sondern einzig und allein auf dem Boden der Charta von Paris. Ein Russland, dass sich zu demokratischen Werten, zu den Prinzipien von Freiheit und Rechtsstaatlichkeit bekennt, ein solches Russland wird für seine Bürger und den Rest der Welt ein Segen sein. Mit einem solchen Russland wird der Westen wieder Frieden schließen können, und davor bräuchten Ländern wie Polen, das Baltikum oder die Ukraine dann auch keine Angst mehr zu haben. Ein solches Russland, das kann in die EU oder gegebenenfalls sogar in die NATO aufgenommen werden. Damit wäre das Kapitel des russischen Expansionsdranges beendet, und es könnte ein neues europäisches Kapitel aufgeschlagen werden. Aber bis dahin ist der Weg noch weit. Aber vorbereitet sein darauf, und es selber aktiv vorbereiten, das können und sollten wir jetzt schon.