Schröder aus der SPD ausschließen? Hoffentlich nicht!

Ich kann nur hoffen, dass die Schiedskommission der SPD weise mit den vielen Anträgen umgeht, ihren ehemaligen Vorsitzenden und Bundeskanzler Gerhard Schröder aus der Partei auszuschließen. 

 

Man legt ihm seine Tätigkeit für Gasprom, und seine Freundschaft zu Putin zur Last. Parteischädigend sei das, so heißt das in den Ausschlussanträgen. 

 

Schröder hat seine Tätigkeit für und bei russischen Ölkonzernen und seine Lobbydienste für Putin noch für vernünftig gehalten, da hatte letzterer schon die Krim annektiert, und im Donbass gezündelt, politische Morde im eigenen Land und im Ausland angeordnet, Kritiker vergiftet, die Opposition marginalisiert, die Justiz zum Handlanger des Kreml degradiert, sein mafia-ähnliches Patronatssystem mit vielen ehemaligen KGB-Kumpeln an den Schaltstellen des russischen Staates etabliert, kurz eine Diktatur im eigenen Land errichtet, und er war zu einer Quelle der Angst nicht nur im eigenen Land geworden, sondern vermehrt auch im osteuropäischen Ausland. Statt sich mit seiner Kanzler-a.D.-Autorität für eine neue konstruktiv-distanzierte Politik gegenüber dem sich immer aggressiver gebärdenden russischen Präsidenten Putin einzusetzen, sonnte sich Schröder in seinem Glanze, machte sich zu seinem verlängerten Arm in Sachen Energiepolitik für Deutschland, und unterstützte gegen den Rat der EU eine Energiepolitik für Deutschland, die dieses Land in die größte Abhängigkeit gegenüber Russland führte, die vielleicht je in der langen Geschichte der deutsch-russischen Beziehungen existiert hat. 

Deutschland hat diese Politik heute auszubaden, leider nicht nur Deutschland. Vor allem die Ukraine, die sich einem russischen Vernichtungsfeldzug ausgesetzt sieht, und die immer auf die Folgen dieser deutschen Energiepolitik für die eigene Sicherheit hingewiesen hat, für die wir heute mit Milliardenbeträgen und immensen Waffenlieferungen unterstützen müssen, leidet unter den Folgen einer falschen geostrategischen Einschätzung, für die Gerhard Schröder mitverantwortlich zeichnet. 

 

Das alles kann man Schröder zur Last legen, zu Recht. 

Doch ihn aus der eigenen Partei ausschließen zu wollen, hat etwas Kleinkariertes, etwas Kleinbürgerliches, ja Verbiestertes an sich. So etwas wollen vielleicht affektuöse Typen, die impulsgesteuert sind, wie dreijährige Kinder, die erst gerade dabei sind, ihren Verstand zu entwickeln, oder Testosteron-gesteuerte Erwachsene, die sich ihren Emotionen überlassen, ohne Rücksicht auf Konsequenzen. 

 

Es sieht so aus, als wolle man Schröder ganz allein für eine Politik verantwortlich machen, die doch in der SPD auf breite Zustimmung gestoßen ist. Hätten doch diejenigen, die ihn heute ausschließen wollen, beizeiten den Mund aufgemacht! Hätten sie vor allem reflektiert und thematisiert, in welchem Begründungszusammenhang Schröders Verhalten steht! Da hätten sie was lernen können, und würden sich nicht einfach nur an ihm persönlich abarbeiten. 

 

Das erste was mich an den Ausschluss-Anträgen stört, ist die extreme Einseitigkeit, mit der Schröders Wirken als Ex-Parteivorsitzender und Bundeskanzler a.D. bewertet wird. Man kann niemanden auf seine Fehler reduzieren, nicht mal dann, wenn diese schwer wiegen. 

 

Deshalb ist es wichtig, seine Verdienste zu benennen: Er war derjenige, der nach 16 Jahren die SPD auf der Bundesebene wieder zur führenden politischen Kraft gemacht hat, er war der dritte sozialdemokratische Bundeskanzler in der Geschichte der SPD und er hat die erste rot-grüne Bundesregierung gebildet.  

 

Er hat als Bundeskanzler Deutschland modernisiert, nicht nur in Sachen Staatsbürgerschaftsrecht, sondern auch in Sachen Globalisierung und Internationalisierung, auch in Sachen internationalen Kapitals, was frisches Kapital nach Deutschland brachte, womit der Wirtschaftsstandort Deutschland gestärkt wurde. 

Es ist richtig, er war verantwortlich für den ersten Kriegseinsatz der Bundeswehr nach dem 2. Weltkrieg, dem Kosovo-Krieg, gemeinsam mit den europäischen und atlantischen Partnern. Er verweigerte sich den deutschen Verpflichtungen gegenüber der NATO und EU nicht, wie es noch Helmut Kohl praktiziert hatte. Er beendete hiermit die deutsche Sonderrolle, und stellte sich vorbehaltlos in die transatlantische Partnerschaft. Und als unter anderem auch wegen dieser Politik sich der damalige SPD-Vorsitzende und Bundesfinanzminister Lafontaine bei Nacht und Nebel vom Acker machte und alle Ämter niederlegte, übernahm Schröder den Parteivorsitz und stabilisierte die von diesem Schritt Lafontaines verunsicherte Partei wieder. 

Aber Schröder war in Sachen Auslandseinsatz kein willfähriger Gefolgsmann der USA. Sein Nein zum Irak-Krieg gehört zu seinen Glanztaten. Es hat ihm in der Bundesrepublik, aber auch im Ausland viel Anerkennung eingebracht. Unter ihm war Deutschland in der Lage selbständig und souverän zu entscheiden. 

 

Und nicht zuletzt ist es Gerhard Schröder zu verdanken, dass der deutsche Arbeitsmarkt wieder flottgemacht werden konnte,

dass sein Dysfunktionalität überwunden werden konnte, und damit der Grundstein für das anschließende Jahrzehnt, in dem Deutschland faktisch die Vollbeschäftigung erreichen konnte, gelegt wurde. Damit überwand die Bundesrepublik ihre Schuldenfalle, und wenn wir heute den vielen Krisen unserer Tage, Corona, Energiekrise einigermaßen gefasst ins Auge sehen können, ist das auch einem gesunden Bundesfinanzhaushalt zu verdanken, der wiederum ohne die Hartz-Gesetze unerreichbar geblieben wäre. 

 

All das spielt bei den Ausschluss-Anträgen keine Rolle. Hier wird nicht abgewogen, hier wird einfach nur ein Sündenbock gejagt. 

 

Hatte denn Schröder denn keine Unterstützung für seine Politik? Stand seine SPD nicht hinter ihm, wenn auch zugegebenermaßen gelegentlich mit einigen Mühen und unter Wehklagen. 

 

Ja, Schröder hat ein gutes Verhältnis zu Russland angestrebt. Ja, Schröder hat der Bedeutung Russlands eine größere Bedeutung beigemessen als der antidemokratischen Entwicklung in diesem Land. Er hat Putin gefeiert und sich von ihm bezirzen lassen. 

Dabei hat er sich von Bismarck beeinflussen lassen, ausgerechnet Bismarck, dem stärksten Anwalt des kaiserlichen, deutschen Adelsstaates, dem Verfolger der Sozialdemokraten. Schröders Nachahmungsversuche der Bismarck‘schen Großmachtpolitik waren von Anfang an aus der Zeit gefallen. Europa war nicht mehr der Kontinent der überlebten absolutistischen Adelsreiche, Europa war demokratisch geworden, und die europäische Friedensordnung basierte auf der Demokratie der europäischen Staatengemeinschaft. Unser heutiges Europa braucht keine Russland-Politik mehr, wie sie Bismarck betrieben hat, die den russischen Expansionsdrang schlicht als gegeben hinnahm, was er wohl als Realpolitik verstand, und der ihm die Interessen der kleinen Nachbarstaaten zu opfern bereit war, wie damals bei Finnland, Polen oder dem Baltikum. 

 

Die anhaltende Rückwärtsentwicklung des demokratischen Rechtsstaates in Russland war von Anfang an eine Belastung nicht für die offene Gesellschaft in Russland selbst, sondern auch seiner Nachbarländer. Und der militärische Einsatz russischen Militärs in Tschetschenien war ein Sündenfall, der nicht nur mit dem wichtigsten Prinzip der Gorbatschow‘schen Außenpolitik brach, dem Gewaltverzicht, sondern er markierte auch den Wendepunkt der demokratischen Entwicklung in Russland. Das alles hat Schröder nicht angefochten. Diese Zusammenhänge interessierten ihn nicht. Er hielt einem Russlandbild die Treue, das aus der Zeit gefallen war, selbst in jenen Momenten, als selbst ihm, dem Juristen Schröder und Kenner des Völkerrechts klar war, wie sehr Putin zu einer Gefahr für den europäischen Frieden geworden war. 

 

Aber hat Schröder das allein getan? Und haben die Regierungen Merkel nicht diese Politik allesamt fortgesetzt bis zum bitteren Ende. Sogar die Scholz’sche Ampelregierung hat diese Politik noch weiterbetrieben bis zum Tag des Einmarschs der russischen Truppen in die Ukraine im letzten Februar. Und erst Scholz war es, der die Konsequenzen aus diesem Verhalten zog. 

 

Schröders Russland-Politik steht nicht für ihn allein, sie steht für den Mainstream der bundesdeutschen Russland Politik, die sehenden Auges in die Energieabhängigkeit von Russland führte, die die Sicherheitsbedenken der EU aber auch Polens, des Baltikums und vor allem der Ukraine ungerührt beiseiteschob. 

 

Wer heute Schröder aus der SPD ausschließen will, der will von eigener Verantwortung, und der Verantwortung der SPD als Gesamtpartei nichts wissen. Der zeigt mit dem Finger auf die Person Schröder, und er geißelt ihn im Stile der grassierenden Cancel culture. Was wäre denn gewonnen, mit einem Ausschluss Schröders aus der SPD? Wäre dann unsere Parteigeschichte eine andere? Wäre dann die Verantwortung der SPD für die blamable Lage Deutschlands in Sachen Russland und Energiepolitik eine andere? Wäre die Geschichte eine andere? 

 

Und würde man, wenn man die Fehler der deutschen Russland Politik mit dem Partei-Ausschluss Schröders entsorgen will, nicht auch seine Verdienste gleich mit entsorgen? Wie würde das denn aussehen, wenn man den Urheber der ersten Vollbeschäftigungsphase nach der Deutschen Einheit, aus der SPD ausschließen würde? Wollen wir uns auch gleich davon distanzieren, von der Verweigerung des Irakkrieges gleich mit. 

 

Man kann sich nicht mit einem Ausschluss von einem politischen Fehler befreien. Geschichte kann man nicht entsorgen. Man muss sie aufarbeiten. Man kann sich von eigener Verantwortung nicht dadurch befreien, indem sie einem Sündenbock aufhalst. Eine Partei, die Schröder ausschließt, macht sich lächerlich. Sie zeigt, dass sie die wichtigen Aspekte von Einzel- und Gesamtverantwortung nicht verstanden hat. Eine solche Partei dürfte in unserem Land nicht regieren. 

 

Deshalb kann die gesamte Parteispitze der SPD absolut kein Interesse an einem Ausschluss Schröders haben. 

 

Menschen haben nicht nur Verdienste. Und wenn sie sie haben, dann haben sie bestimmt auch immer Fehler. Und es ist wichtig, sowohl die Verdienste als auch die Fehler sachgerecht zu beleuchten, um zu verstehen, wie sie zustande kamen. Von beidem lässt sich lernen. 

 

Wir können zu unserer Geschichte stehen. Und wir müssen das auch. Zu ihren Erfolgen, und zu ihren Abgründen. Aber entsorgen können wir unsere Geschichte nicht. 

 

Deshalb: lasst Schröder in der SPD. Es kommen auch wieder andere Zeiten, da wird gerechter über ihn geurteilt als in der gegenwärtigen Hysterie.