Schlieben-Berga liegt auf einem kleinen Sandberg, wie er typisch für die Brandenburger Eiszeitlandschaft ist, etwa Luftlinie einen km von der Bundesstraße 87 zwischen Herzberg/Elster und Luckau entfernt, mitten im Wald. Vor und hinter Schlieben muss man mehrere km Auto fahren, ohne durch eine Ortschaft zu kommen. Idyllisch für die einen, schrecklich für die anderen.
Diesen Ort hatte die Reichskriegswirtschaft unter Minister und Architekten Albert Speer Anfang der 40er Jahre auserkoren, um hier, geschützt und relativ ungefährdet Panzerfäuste herstellen zu lassen. Mit dem Bau und Betrieb der Produktionsanlagen wurde die Hugo Schneider AG (HASAG) einem Leipziger Metallbauunternehmen, das seine Produktion schon im 1. Weltkrieg auf Munitionsfertigung umgestellt hatte, beauftragt. Es hatte mit der Herstellung von Panzerfäusten expandieren und sich eine führende Stellung in der deutschen Rüstungsindustrie erarbeiten können.
Arbeitskräfte gab es ja nicht. Das machte weder der HASAG noch der SS etwas aus, dafür hatten sie ja die KZ-Häftlinge, in diesem Fall aus Buchwald, die nach Schlieben-Berga überführt wurden. Das Stammlager richtete in Schlieben eines seiner vielen Außenlager ein. Fortan gab es unzählige Transporte nach und von Schlieben. Denn ausgehalten haben es die KZ-Häftlinge in Schlieben nicht lange. Die Produktion der Panzerfäuste war so giftig, dass die Lebenserwartung nicht selten nur wenige Wochen betrug. Viele der KZ-Häftlinge starben in Schlieben, die Kranken und Schwachen hingegen, die zur Produktion nicht mehr zu gebrauchen waren, wurde zurückgebracht nach Buchenwald, wo sie nicht mehr lange zu leben hatten.
Nur deshalb ist der Friedhof, der in Schlieben umgekommenen Häftlinge nicht so groß. Und die meisten Gräber stammen von den Opfern einer Explosion in der Gießerei, von der man nicht weiß, ob es sich dabei um Sabotage oder einen Unfall gehandelt hat.
Schlieben-Berga ist ein Friedhof, jüdische Opfer liegen hier neben Sinti und Roma, neben politischen Häftlingen, Frauen und Männer, alte und Junge, aus vielen Teilen Europas kommend. Selten hat Schlieben eine solche Internationalität erlebt, wie zu Zeiten der Rüstungsproduktion.
Die Schliebener haben profitiert von diesem Außenlager. Es war für die Gemeinde, die heute vielleicht knapp 2500 Einwohner zählt, in Zeiten des 2. Weltkrieges der größte Arbeitgeber. Das KZ-Außenlager Schlieben-Berga war damals allgegenwärtig, sichtbar, Quelle des Einkommens für die einen, Bedrohung, Alptraum und Ende ihres Lebens für die anderen.
Zum Ende des Krieges, als die Alliierten immer näher kamen, wurde das Lager aufgelöst und die meisten Häftlinge nach Theresienstadt abtransportiert. Der Rest von ihnen wurde durch die Rote Armee im April 1945 befreit.
Nach dem Krieg wurden die Baracken umfirmiert zu Wohnstätten für die vielen Umsiedler, die aus den ehemaligen Ostgebieten und dem tschechischen Sudetenland in die damalige Sowjetische Besatzungszone (SBZ) kamen. Sie richteten sich dort ein. Der Ortsteil von Schlieben, Berga wurde dort bis in die 90er hinein bewohnt. Die Bewohner und Anwohner wussten immer auf welchem Gelände sie hier wohnten. Erst mit dem Wegzug der meisten drängte sich die Frage auf, welche Zukunft dieser Ort haben sollte.
Es ist Uwe Dannhauer und seiner Familie zu verdanken, dass die Idee, hier eine Gedenkstätte einzurichten, sich im Ort Schlieben, im Kreis Elbe – Elster und dem Land Brandenburg durchsetzen konnte. Dannhauer gründete einen Förderverein, dem die gesamte künftige Gedenkstättenarbeit an diesem Ort bis in unsere Tage hinein zu verdanken ist. Zwar gab es befürwortende Unterstützung durch das Landesdenkmalamt und das archäologische Museum von Wünsdorf, die sicher wichtig war. Aber finanzielle Unterstützung ist rar, schwer und mühsam zu bekommen.
Kurz, es fehlt für eine angemessene Betreuung der Besucher und den Betrieb der Gedenkstätte. Der Förderverein lebt von seinem ehrenamtlichen Engagement. Und wohl auch zum Teil privaten Mitteln, die in die Gedenkstätte hineinfließen.
Dringend nötig ist eine finanzielle und inhaltliche Unterstützung des Vereins, damit er auch seine Öffnungszeiten erweitern kann, damit er die Betriebskosten für Strom und Heizung stemmen kann, damit er auf die vielen Kooperationsanfragen durch Schulen und Schülerprojekte vollständig erfüllen kann, damit hier das Gedenken an diesen schlimmen Ort weiterhin angemessen und professionell unterstützt und organisiert werden kann.
Schlieben-Berga ist ein Ort, an dem wir Gegenwärtige uns reiben. Und das ist auch gut so. Heute fast 80 Jahre nach Kriegsende, wenn wir dort stehen, merken wir, dass immer noch und immer wieder Fragen auftauchen, die sich nicht so leicht beantworten lassen. Was geht uns das an? Ist das nicht lange schon her? Unserem Kopf fallen die Antworten schwer. Das ist keine Angelegenheit der kognitiven Leichtigkeit. Man muss sich Mühe geben, um sein Verhältnis zu einem solchen Ort, zu unserer Geschichte, zu unserer Verantwortung zu klären. Man braucht Zeit dafür und Energie.
Das geht auch, und insbesondere den Einwohnern von Schlieben so. Persönlich lebt wohl kaum noch einer, der sich an das ehemalige KZ-Außenlager, als es noch in Betrieb war erinnern kann, aber in die Familiengeschichten der Einwohner ist es doch fest integriert. Doch nicht wenige Einwohner tun sich schwer damit. Und lieber vernichten sie noch existierenden Artefakte, also Fotos z.B., die ihre Großeltern im KZ-Außenlager zeigen, weil sie nicht wollen, dass sie in den Vitrinen der Gedenkstätte zur Schau gestellt werden, oder gar namentlich genannt.
Da ist Scham, sicher, da ist auch Verdrängung.
Wir kommen nicht drum herum, anzuerkennen, dass die Nazizeit mit all ihren Verbrechen Teil unserer deutschen Geschichte ist. Gerade weil sie uns belastet, gerade deshalb müssen wir sie anerkennen. Sie ruft danach. Und sie rächt sich, wenn wir sie verdrängen. Von denen, die sie persönlich erlebt haben, die persönlich schuldig geworden sind am Terrorsystem der Nazis lebt kaum noch jemand. Persönliche Schuld trifft uns Nachgeborene nicht. Aber die Schuld, die unser Volk, unsere Gesellschaft, unser Staat damit auf sich geladen hat, dazu müssen wir uns bekennen. Wir stehen in ihrer Nachfolge, und wir müssen uns damit auseinandersetzen: wie es hat dazu kommen können, warum so viele Deutsche mitgemacht und geschwiegen haben, warum sie sich haben von den Nazis zu Mittätern machen lassen, ja warum sie selber zu Nazis wurden, und es blieben über die Nachkriegszeit hinaus, und warum sie sich an den Verbrechen der Nazis beteiligt haben.
Das KZ-Außenlager Schlieben-Berga ist kein Einzelfall. Es gab nach einer Auflistung des Landesjugendrings über 50 dieser Lager allein auf dem Gebiet des heutigen Landes Brandenburg. Rechnet man das hoch, so sind es wohl über 300 Außenlager in Ostdeutschland gewesen, in der ganzen Bundesrepublik ist das locker eine vierstellige Zahl. Wir wissen gar nicht genau, wie viele dieser ehemaligen KZ-Außenlager heute eine Gedenkstätte haben, und wie daran erinnert wird. Es wird Zeit, eine Bestandsaufnahme davon vorzunehmen. Und dann wäre zu entscheiden, wie Bund und Länder das Gedenken vor Ort unterstützen können. Unterstützen müssen sie es. Eine Verdrängung dieser Geschichte, und der damit einhergehenden Gefahr einer Instrumentalisierung bspw. durch die AfD können wir uns nicht leisten. Dem sollten wir entgegentreten.
Im Land Brandenburg hat sich jetzt die Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten daran gemacht, Unterstützungsstrukturen für die ehemaligen Außenlager aufzubauen. Das ist wichtig. Aber das ist nur ein Schritt. Die nächsten müssen folgen. Wir stehen in der Pflicht dazu; und unsere Politik auch.
Nachtrag:
Gestern Abend hat sich die SPD des zuständigen Landkreises Elbe-Elster zu Wort gemeldet. Sie will sich dieses Themas annehmen. Das mag noch nicht viel sein. Aber er kann vielleicht einen kleinen Stein ins Rollen bringen, der dann viele andere mitreißt.