Über die Hintergründe des Wahlerfolgs der AfD in Ostdeutschland

Das AfD-Ergebnis hat auch viel mit den verlorenen und enttäuschten Hoffnungen in die Deutsche Einheit zu tun.

 

Die Erwartungen an die Bundesrepublik waren 1989 und 1990 groß. Sie betrafen nach Lage der Dinge in erster Linie die CDU und ihren Kanzler. Viele wollten glauben, auch wenn sie es kaum hoffen mochten, dass Westdeutschland das Ding mit der DDR schon schaukeln würde: Staatsaufbau, Wirtschaftsaufbau, also im Grunde die Rekonstruktion der DDR-Volkswirtschaft, die 1989 nahezu komplett am Boden lag. Sie wussten selbst, dass sie das allein nicht können. Und ihren ostdeutschen Eliten trauten sie nichts zu. Weder der Ost-CDU noch den oppositionellen Gruppierungen. Auch uns im Grunde kaum. Ausschlaggebend für den Erfolg waren die Verbindungen nach Westdeutschland, und die Erwartungen, dass die jeweiligen westlichen Partner, die Federführung für die Rekonstruktion von Staat und Wirtschaft, letztlich auch der Gesellschaft übernehmen würden.

 

Nicht alle dachten im Übrigen so, vielen war die Herkulesaufgabe dieser Rekonstruktion durchaus bewusst. Und einige anerkannten durchaus den Mut und die Entschlossenheit einiger neuer ostdeutscher Eliten, die das in eigener Regie wahrnehmen wollten. Ihnen mag auch bewusst gewesen sein, dass Westdeutschland allein das nicht richten wird, sondern dass es eben wichtig ist, dass da auch einige Ostdeutsche antraten, die schuften wollten für diesen Neuaufbau, der in Ostdeutschland nötig war.

 

Doch die Realitäten der Rekonstruktion unter den damaligen Bedingungen waren grauenhaft: Eine zeitweilige Reduzierung der Industriearbeitsplätze der ehemaligen DDR auf unter 10% von 1989. Das Schicksal der Arbeitslosigkeit und der Arbeitslosenhilfe. Der Verlust von Wohnung, weil die Häuser Westdeutschen gehörten. Das Abarbeiten an der Treuhand, die den undankbaren Auftrag hatte, den Insolvenzverwalter der bankrotten DDR-Volkswirtschaft zu geben. Für viele der ehemaligen Ost-Eliten, selbst da, wo sie nicht systemtreu waren, war es ein Verlust von Führungspositionen, verbunden mit dem Verlust ihrer sozialen Stellung und vergleichsweise höherem Einkommen. Der drohende Verlust von Wohnung, weil eine immense Mieterhöhung drohte, die dann, allerdings erheblich moderater als befürchtet, ja auch kam. Und dann gibt es noch eine ganze Reihe an Nebenkriegsschauplätzen, von denen nicht alle betroffen waren, sondern nur bestimmte Gruppen, wie bspw. der alte wissenschaftliche Mittelbau, der in den Neuen Ländern kaum noch eine Perspektive hatte, bzw. lange zu haben schien. Also da kommt vieles zusammen. Und überall diese Westdeutschen, die nun das Sagen hatten. Das war zwar ursprünglich so gewollt von vielen Ostbürgern, aber als es dann so kam, waren sie entsetzt.

 

Erstaunlicherweise haben die Ostdeutschen 1994 noch einmal Helmut Kohl gewählt. Den Ostdeutschen gaben ihm noch einmal eine Chance. Sie dachten, dass der Neuaufbau Ostdeutschlands auch eine Zeitfrage ist, vier Jahre sind dafür eben zu kurz. Dafür braucht man länger. 

 

1998 gaben sie dann Gerhard Schröder den Auftrag für den weiteren Aufbau Ost. Doch Schröder hat nichts anders gemacht als Helmut Kohl vor ihm. An den politischen Vorgaben für die Rekonstruktion der ostdeutschen Volkswirtschaft hatte sich nichts geändert. Wahrscheinlich war das auch gar nicht möglich. Jetzt 8 Jahre nach dem Vollzug der Deutschen Einheit schon gar nicht. Also ging alles weiter seinen Gang. Es ging aufwärts inzwischen, aber doch sehr langsam. Derweil neigten sich die Arbeitsbiografien vieler, die 1989/90 auf der Straße gestanden hatten, ihrem Ende zu. Die Ernüchterung, Resignation, das Hinnehmen waren mit Händen zu greifen. Das hat die Larmoyanz in den ostdeutschen Regionen damals ausgemacht.

 

Und nun gaben die Ostdeutschen bald gar nichts mehr auf die Westdeutschen Eliten. Das war auch ein Teil ungerecht. Aber "die Wessis!" wurde zum geflügelten Schimpfwort.

 

Ich beschreibe hier diese Jahre nicht aus der Perspektive eines Wirtschaftswissenschaftlers, sondern eher aus der politischen Perspektive, und zwar aus meiner, sozusagen küchensoziologischen.

 

Bereits 1992 war erkennbar, dass die Ostdeutschen zum Protest neigen würden. Da nämlich begann der Aufstieg der PDS, deren Mutter doch den ganzen Bankrott, ja den Niedergang der DDR-Gesellschaft zu verantworten hatte. Der Aufstieg der PDS hielt lange an. Aber zurück zum politischen Geschehen.

 

Nicht nur, dass durch Schröder der Wiederaufbau der ostdeutschen Wirtschaft keine neue Dynamik bekam, sondern im alten Trott weiterlief, während die Arbeitslosenzahlen auf über 5 Millionen kletterten, hat dann Schröder, haben wir, Rot-Grün, auch noch den Sozialstaat, das System der Arbeitslosen, Sozialhilfe, und Arbeitslosenhilfe komplett umgebaut. Damit aber haben wir denen, die sich sowieso am unteren Rand der Gesellschaft befanden, das letzte genommen, was sie noch zu haben glaubten. Das Vertrauen in die SPD im Osten war schon vorher nicht eben hoch gewesen. Nun aber kriegte es noch mal einen gewaltigen Dämpfer.

 

Dass die Agende 2010 dennoch die Wirtschaft überhaupt wieder ankurbelte, dass sie ein wichtiges Problem des Arbeitsmarktes tatsächlich löste, wie viele das in Ostdeutschland zu würdigen verstanden, das weiß ich nicht. Es werden mit Sicherheit einige gewesen sein.

 

Aber der Preis für diese Reform, der politische Preis, der war hoch. Erst die WASG, dann die LINKE, mit ihrer erfolgreichen Westausdehnung. Und zum Schluss der erste LINKE Ministerpräsident, Ramelow. Doch das erklärt den Erfolg der AfD noch nicht.

 

Der kommt von einer anderen Ecke. Vieles muss man dazu nicht sagen, normalerweise wäre die AfD gegangen, wie sie gekommen ist. Dieser neunmalkluge Wirtschaftswissenschaftler mit der smarten Stimme, Lucke, ..... Naivität gepaart mit politischer Romantik. Lassen wir das. Wichtig sind ihre rechtsextremen Folgen.

 

Denn unabhängig von Lucke hatten inzwischen Rechtsextreme, NPD, Kubitschek, Höcke, etc.  den Osten zum Aufmarschgebiet für ihren Weg in die Mitte der Gesellschaft gemacht. Und sie scheinen beschlossen zu haben, die AfD zum Omnibus ihrer rechtsextremen, völkischen Politik zu machen.

 

Und sie fanden etliche Andockpunkte:

 

1. rechtsextreme Traditionen, die in der DDR überwintert hatten, die im Vergleich zur westdeutschen Gesellschaft doppelt so stark waren, gemessen an der Bevölkerungszahl.

 

2. den Hass auf die damalige SED, der in den 80er Jahren in Ostdeutschland zu einem Aufschwung dieser rechtsextremen Szene führte.

 

3. die gewaltigen Frustrationen über den Verlauf der Deutschen Einheit in den zurückliegenden beiden Jahrzehnten, und damit über die Eliten, die diesen Verlauf zu verantworten hatten.

 

4. Und nun kamen noch die Ausländer hinzu, die in gewaltigen Strömen ins Land kamen, und denen man es - anscheinend - hinten und vorne reinsteckte. Das stimmte nicht, aber es wurde so wahrgenommen. Das führte zu Pegida. Und das machten sich die Rechtsextremen in der AfD ebenfalls zu nutze.

 

Ich will jetzt nichts weiter zur AfD sagen. Das ist ein eigenes Thema. Mit geht es mehr um das Wählerverhalten, das zum Hype der AfD geführt hat.

 

Die AfD mit ihrem rechtsextremen Kurs konnte bei den beiden letzten Landtagswahlen ca. 1/3 der Wähler für sich mobilisieren. Damit hat sie ihr Wählerpotential vermutlich ausgeschöpft. Genau weiß ich das nicht. Aber der Umstand, dass Höcke seiner Wahlkreis, trotz Wechsel dieses Wahlkreises, und angesichts des Hochs seiner Partei in Thüringen dennoch nicht gewonnen hat, zeigt mir an, dass er eine Grenze erreicht hat.

 

5. Es gibt auch eine ostdeutsche, konservative, ja national-patriotische Linie von 1990 und vorher zur AfD.

 

Die Deutsche Einheit hat Deutschland stärker gemacht. Normalerweise profitieren die Menschen davon, wenn ihr Land stärker wird. Ein großer Teil der Ostdeutschen Gesellschaft aber hat die Folgen der Deutschen Einheit als eine Demütigung empfunden. Das hat an ihren nationalen Einstellungen nichts geändert, an ihrer Bindung an die CDU allerdings schon. Und das ist der 5. Punkt. Der ist wahrscheinlich der wichtigste. Nach den Enttäuschungen über die CDU haben sie sich eine nationalistische Alternative zur CDU gesucht. Und das ist die AfD.

 

6. Warum hat die SPD nicht von der Enttäuschung über die CDU profitiert? Die Sympathien für die SPD waren in Thüringen nicht immer so niedrig wie 1990 und später. Immerhin skandierten die Thüringer 1972 noch in Erfurt "Willy Brandt regier Du unser Land!". Die Abkehr von der SPD hängt m.E. auch mit der 2. Phase der Entspannungspolitik zusammen, als die Granden der SPD sich anschickten, der SED den Hof zu machen. Die SED, das wollten die Ostdeutschen nicht. Die Hintergründe dieser sozialdemokratischen Politik der 80er Jahre haben sie nicht verstanden. Wie sollten sie? Der Hass auf die SED hat in den 80ern nicht abgenommen. Nun bekam die SPD ihren Teil davon ab.

 

Und so erkläre ich mir, wie die AfD von den Enttäuschungen über die CDU, über die Deutsche Einheit, von den anhaltenden nationalen, konservativen bis hin zu den nationalistischen Einstellungen der Ostdeutschen und den ostdeutschen vergleichsweise stärkeren und verhärteten rechtsextremen Traditionen profitiert.

 

Um dagegen etwas zu mache, muss eine andere Geschichte erzählt werden: 

Wir wollen ein starkes Deutschland. Stärke heißt heute aber nicht Nationalismus, sondern Freiheit und Demokratie, und damit Anerkennung der Folgen der Moderne, mit ihrer Individualisierung und ihrer inzwischen Kontinente übergreifenden Mobilität. Deutschland zu bewahren und stark zu machen, bedeutet, sich das zu Nutze zu machen. Es heißt nicht Kriminalität, Islamismus oder Terror zu dulden. Wir brauchen einen starken Staat, der die Menschen vor diesen Ausartungen schützt.

 

Und was unsere, spezifisch ostdeutsche Geschichte der Deutschen Einheit betrifft, die sich schon lange in der Phase ihrer Historisierung befindet, sollte man den Legenden, die den Westdeutschen den Schwarzen Peter zuschiebt, etwas entgegensetzen. Das kann man über die Aufklärung über den Bankrott der SED und der DDR. Man kann auch Linien vom 2. Weltkrieg, der ja von den Nazis begonnen wurden, über die Zerstörung des deutschen Nationalstaates bis zur Überwindung der Teilung ziehen.

 

Und man muss etwas dazu sagen, wie groß die Aufgabe der Rekonstruktion der ostdeutschen Volkswirtschaft war. Das wird an den Erfahrungen nichts ändern, aber man hat doch eine Erklärung dafür.

 

Nicht die Ostdeutschen waren am Bankrott der DDR schuld, sondern die SED, Moskau und der 2. Weltkrieg. Dass die Ostdeutschen die SED hinwegfegen konnten, hat etwas mit der Gorbatschow’schen Friedenspolitik zu tun, und dem Mut und der Entschlossenheit der Ostdeutschen. Daran ist heute anzuknüpfen, wenn es um die Verbesserung der Lebenssituation in Ostdeutschland geht. Denn da ist noch viel zu tun. In Westdeutschland übrigens auch.