Hilfe ist möglich

Karl-Heinz Bomberg

 

„Heilende Wunden, Wege der Aufarbeitung politischer Traumatisierung in der DDR“,

 

2018,

 

Psychosozial-Verlag

 

 

 

 

 

 

 

In Zeiten der Infragestellung der Aufarbeitung der SED-Diktatur wegen politischer Verwicklungen einiger ihrer – sicher selbsternannten – Aktivisten, ist es wohltuend, ein Werk zu registrieren, das erneut ihre Notwendigkeit und förderliche Wirkung unterstreicht. 

 

Der Autor, Karl-Heinz Bomberg, Arzt, Psychologe, aber auch Dichter und Liedermacher, hat sich seit einiger Zeit aufgemacht, sein publizistisches Wirken um den Aspekt der Heilung politisch bedingter Traumata zu bereichern. 28 Jahre nach der Deutschen Einheit, dem Ende der DDR, ist ein Buch entstanden, das deutlich macht, wie sehr die Opfer harter politischer Verfolgung durch die SED-Diktatur immer noch leiden können, und dass die Zeit selber eben nicht alles heilen kann. Auch hier gilt der schöne Satz von William Faulkner: "Das Vergangene ist nicht tot; es ist nicht einmal vergangen." Und das wird es auch in Zukunft nicht. Es gibt genügend Dinge, die man nicht verdrängen kann, so sehr man sich auch darum bemüht. Die Leidenszeit in den Gefängnissen, bei den Verhören, die Verletzungen aus dieser Zeit haben ihre Spuren in der Seele hinterlassen. Die Spuren verschwinden nicht. Unser Gedächtnis arbeitet gut. Es speichert alles ab, und behält es ein Leben lang. Vieles mag in den Archiven ruhen. Aber einiges ruft immer wieder, offen oder verdeckt, erkannt oder unbewusst. Die Leidenszeit vieler Opfer war eben mit dem Tag der Entlassung, der Ausreise, dem Freikauf, dem Mauerfall oder dem Ende der DDR nicht zu Ende. Viele Opfer der politischen Repression haben nicht nur das Gefühl, sondern sind tatsächlich nicht wirklich gesund zu sein. Immer wieder haben sie mit psychotischen Zuständen zu tun, verlieren ihr inneres Gleichgewicht, können nicht leben wie andere. Die Zeit der Verfolgung hat Wunden geschlagen, die heute noch bluten. 

 

Und Bomberg spricht nun in seinem neuen Buch mit dem gleichnamigen Titel von „Heilenden Wunden“. Seine Botschaft lautet: Heilung ist möglich. Auch heute, 28 Jahre später. Die Betroffenen können sich auf den Weg machen, Hilfe suchen und Hilfe bekommen. Er selbst führt vor, dass und wie das möglich ist. 

 

Natürlich kann er auf einen reichen Erfahrungsschatz als praktizierender Psychologe, einst selbst verfolgt und in der DDR inhaftiert, zurückgreifen. Er kann inzwischen auch auf wissenschaftliche Arbeiten anderer zurückgreifen, nicht nur in Deutschland. Er steht nicht alleine da. Aber doch, unter den Psychologen selbst gibt es nur ganz wenige, die sich, wie er im besonderen Masse um die politisch traumatisierten Mitbürger kümmern, und die wie er inzwischen auf einen großen Erfahrungsschatz zurückgreifen können. 

 

Im ersten Teil beschäftigt sich das Buch mit einigen theoretischen Grundlagen der Traumabewältigung. Dabei legt Bomberg seinen Schwerpunkt auf das Thema Resilienz, also die Widerstandsfähigkeit der Menschen gegenüber seelischen Verletzungen. Er weist daraufhin, dass die Erforschung der Resilienz, ein relativ junges Thema, eine ganze Reihe von menschlichen Fähigkeiten in den Focus der psychologischen Wissenschaft gerückt hat, mit deren Hilfe sich die Betroffenen wieder ins Leben zurückarbeiten können, wieder mehr vom Leben haben. Auf einzelne Aspekte geht Bomberg dann genauer ein, wie die Rolle der Kreativität, insbesondere die künstlerische, aber auch den Humor, Religion und Spiritualität und nicht zuletzt Versöhnung. Und gerade hier gelingen im Buch beeindruckende Darstellungen. 

 

Bomberg selbst thematisiert die Schuldgefühle, die auch oder vielleicht gerade auch denjenigen kommen, die unschuldig ins Gefängnis kommen. Er berichtet über die eigenen. Als Nichthäftling fehlt einem dafür erst mal das Verständnis. Denn was soll es? Verantwortlich für die politische Verfolgung war nicht der Häftling, sondern der Staat, das System, die Diktatur der SED. Vorwürfe kann man bei ihm Abladen, aber doch bitte nicht bei sich selber. Spätestens aber beim Lesen der beeindruckenden Berichte seiner Kinder, die ja von der politischen Verfolgung ihres Vaters auch betroffen waren, wird klar, was er mit Schuldgefühlen meint. Denn für die Kinder war diese Verfolgungssituation extrem bedrohlich. Da wird die eigene Welt beschädigt, die Familie, die Halt und Sicherheit gibt. Unter der politischen Verfolgung durch die SED haben eben nicht nur die Opfer selbst gelitten, sondern auch ihre Angehörigen. Das wird hier erlebbar, und man versteht, weshalb die Auseinandersetzung mit diesem Umstand in den Häftlingen Schuldgefühle entstehen lässt. 

 

Auch die angehängten Fallbespiele, die einige von Bombergs Patienten dem Buch beigesteuert haben, sind beeindruckend. Sie sind, bis auf ein, zwei Ausnahmen auch selbst von ihnen verfasst worden. Nur ganz wenige zeichnen sie mit ihrem vollständigen Namen. So Gino Kuhn, ein in der Opferszene bekannter und anerkannter Bildender Künstler, dessen Atelier sich unmittelbar am ehemaligen Stasi-Knast, der heutigen Gedenkstätte Hohenschönhausen befindet. . Seine Bilder illustrieren und schmücken das Buch. Gino Kuhns Bericht  über seine Haft und deren Folgen wirkt geradezu abgeklärt. Man fragt sich, ob jemand wie er denn auch eine Therapie braucht. Doch man guckt als Leser nicht in die innere Verfassung der Betroffenen. Man liest nur die Selbstzeugnisse. Und es ist davon auszugehen, dass niemand eine Therapie sucht, der sie nicht auch braucht.

 

Bei anderen kann man auf Grund der Umstände erkennen, um wen es sich dabei handelt. Bei einem bin ich sogar sehr sicher. Aber es ist nicht meine Rolle, die Anonymität der Patienten zu zerstören. Sie ist gerade in einer Therapie wichtig. Es ist überhaupt erstaunlich, dass sie sich zu diesem Schritt in die Öffentlichkeit bereitfanden. Nicht für jeden ist das hilfreich, auch wenn Bomberg natürlich zu Recht darauf hinweist, dass der Schritt in die Öffentlichkeit für die Heilung politischer Traumata wichtig sein kann. 

Die Fallbeispiele zeigen Unterschiedliches auf. Die meisten Patienten kauen heute noch an ihrer Verfolgungszeit. Sie dokumentieren, dass diese eben in der Tat im Sinne von Faulkner nicht vorbei ist. Sie erfordert eine permanente Auseinandersetzung. Immer wieder kommen die Erlebnisse hoch, wollen benannt, erinnert werden. Und der Anlass derartiger Rückblenden, des Wundschmerzes ist nicht immer vorhersagbar. Einen sogenannten Normalzustand gibt es da kaum, auch wenn Bomberg schon zu Recht darauf hinweisen kann, dass Linderung möglich ist. Und es ist nicht nur die Kreativität, der Aufbau von Bindungen, das Hineingehen in die Öffentlichkeit, die hilft, es ist auch die Versöhnungsbereitschaft, das alte christliche Thema, dessen Bedeutung eben keineswegs rein religiöser Natur ist, sondern im Gegenteil unsere eigene Natur widerspiegelt. Man liest so etwas gerne. In einem dieser Berichte ist von permanenter Versöhnungsbereitschaft die Rede, also einer Haltung, die man bewusst wählen kann. Nicht nur Opfer bräuchten das. 

 

Ein anderer hingegen, und auch hier bin ich der Meinung, zu wissen, um wen es sich da handelt, flüchtet sich in Hass. Nicht nur auf die eigentlichen Urheber der politischen Verfolgung, auf das kommunistische System, auf die SED, sondern auch auf jene, die damit sympathisierten und das Unrecht bis heute verharmlosen. Der Hass richtet sich auch gegen die,  die sich in seinen Augen mit dem Unrechtscharakter der SED-Diktatur nicht auseinandergesetzt, sondern ausgeblendet haben und ausblenden. 

 

Man muss, ja darf diese Haltung nicht übernehmen, aber man kann sie verstehen. Aus der Perspektive der politischen Verfolgung ist die Leugnung der Kriminalität der SED selber ein Verbrechen. Aber es ist ein Unterschied, ob jemand mit dem Kommunismus, selbst in den Farben der SED geliebäugelt hat, oder ob er persönlich aktiv zu diesem Unrecht beigetragen hat. Doch ein ausgewogenes Urteil über die SED-Diktatur, gerade auch ihre historische oder ideengeschichtliche Einordnung ist das nicht. Kurz, lernen kann man nichts davon. Man lernt zu verstehen, zu was diese Diktatur geführt hat. Auch dieser Hass ist ihre Folge. Aber ob er hilfreich ist, halte ich für fraglich. 

 

28 Jahre nach dem Ende der SED-Diktatur, laboriert unsere Gesellschaft noch immer an ihren Folgen. Einige Mitmenschen unter uns sind noch immer schwer davon betroffen. Hilfe, und das ist die Botschaft dieses Buches ist möglich. Aber den Schritt dahin, den Schritt zum Therapeuten, zum Gespräch, zum Benennen, diesen Schritt müssen die Betroffenen selber tun. Sei es, weil sie in Hoheneck saßen, oder in einem der unsäglichen Spezialheime der DDR untergebracht waren, sei es, dass ihnen die Kinder weggenommen wurden, oder in Pflegefamilien kamen. Manche von ihnen verfügen über eigene Widerstandsfähigkeit, andere wiederum brauchen Hilfe. Diese anzunehmen ist keine Schande. Im Gegenteil es ist der notwendige Schritt um aus der inneren Dunkelheit wieder ins Licht zu kommen. Und Bücher, wie Bombergs „Heilende Wunden“ erleichtern ihn.