Camille Claudel
Regie: Bruno Nuytten
Frankreich 1988
Mit Gerard Depardieu, Isabelle Adjani und weiteren
Camille Claudel ist ein schöner, verstörender Film über das Leben der Bildhauerin Camille Claudel. Er ist verstörend, weil das Leben dieser großen Künstlerin verstörend ist.
Ich habe ihn erst jetzt gesehen, weil ich 1989, als er in Berlin vorgestellt wurde, als die Mauer ja noch stand, etwas anderes zu tun hatte. Und da gibt es sicher noch viele Entdeckungen zu machen. Gerade in der Filmbranche, viel mehr noch als in der Literatur, zählen nur die aktuellen Filme. Sie werden gezeigt, solange sie die Zuschauer in die Kinos bringen und Geld einspielen. Danach verschwinden sie von der Bildfläche, ganz gleich wie gut oder schlecht sie waren. Überhaupt kommen ja nicht alle interessanten Filme in die großen Kinos. So sehen wir in unseren Kinos nur einen Ausschnitt der Filmwelt, jenen, der die Regeln des Kommerz beherrscht. Doch die Welt dahinter ist auch groß, häufig größer, als jene Welt des Kommerz, doch sie ist schwer zu erreichen.
Camille Claudel ist eher ein Zufallsfund von mir gewesen. 1988 gedreht ist er ein Film ungebrochener Aktualität, daneben voller schöner Bilder, großer Leidenschaften und zu Herzen gehender Geschichten.
Die beeindruckendste dieser Geschichten ist die von Camille Claudel selbst. Der Film beginnt mit jenem Moment, da ist sie bereits eine ausgebildete Künstlerin, Bildhauerin, allerdings eine, die sich ihrer Fähigkeiten und ihrer künstlerischen Bedeutung noch nicht bewusst ist. Die erste Szene spielt in ihrem kleinen Atelier, wo sie Auguste Rodin, den großen und verehrten Bildhauer Rodin erwartet. Sie will bei ihm und von ihm lernen. Doch er, und das ist vielleicht Selbstschutz, kommt nur ganz kurz. Und er lässt sich überhaupt nicht anmerken, dass er von ihren Skulpturen beeindruckt ist.
Immerhin erhält ein Claudel eine Einladung in die Werkstatt von Rodin. Und im weiteren Verlaufe verspricht er, sie zur Schülerin zu nehmen. Tatsächlich aber will er ihre Zuarbeit. Unterricht gibt er ihr nicht. Einem seiner Mitarbeiter, der ihn deshalb zur Rede stellt, sagt er kurz und bündig: „Die braucht keine Anleitung. Die geht ihren Weg.“ In diesen Worten steckt sehr viel Anerkennung, aber auch eine gewisse Scheu.
Das heißt, der Film beginnt zu einem Zeitpunkt, da ist Camille Claudel bereits eine fertige Künstlerin. Wie sie das geworden ist, interessiert diesen Film viel zu wenig. Er beschäftigt sich viel mehr mit dem Verhältnis der Claudel und Rodins. Und damit bleibt er im mainstream der Beschäftigung mit Camille Claudel. Immer wird sie nur in ihrem intensiven Verhältnis zu Auguste Rodin dargestellt, obwohl sie eine selbständige Künstlerin gewesen ist. Doch sie selbst ist von Rodin nicht losgekommen.
Denn Rodin findet in ihr eine kongeniale Partnerin, für seine Arbeit und für sein Leben. Sie wird seine Muse, und sie wird seine Geliebte. Die Geschichte ist verwickelt. Sogar hoch verwickelt, so sehr, dass Claudel sich in ihr verirrt und nicht mehr herausfindet.
Von Rodin berichtet der Film, dass diese Begegnung mit Camille Claudel seine nahezu zum Erliegen gekommene Produktivität wieder anfacht. Von Claudel hingegen, dass sie in den Hilfsarbeiten für die Werkstatt Rodins, und für ihn persönlich, denn sie merkt sehr wohl, was sie Rodin bedeutet, nahezu aufgeht.
Erst später wird sie wieder selber arbeiten. Doch da hat die Liebesgeschichte beider bereits eine dramatische Wendung bekommen.
Camille wird schwanger, will ihn heiraten, aber er weist sie ab. Er erfährt nichts von der Schwangerschaft (Leider erzählt der Film die Geschichte dieser Schwangerschaft nicht weiter.). Rodin aber ist verheiratet. Er führt eine bürgerliche Existenz. Die setzt er nicht aufs Spiel. Er gibt nicht alles. Das ist bei Camille anders. Sie hat ja zu diesem Zeitpunkt noch gar keine bürgerliche Existenz. Sie lebt von der Unterstützung ihres Vaters. Sie hat ihre eigene Kunst vernachlässigt. Sie hat sich zu wenig um sich selbst gekümmert.
Doch dann tut sie es. Und sie tut es wieder nicht. Nach dem Bruch mit Rodin beginnt sie zwar zu arbeiten, aber sie wird den Schatten von Rodin nicht los. Sie sieht sich verfolgt von ihm, sie meidet die Gesellschaft. Sie sucht keine Kontakte. Sie existiert in der Kunstwelt nur als Legende. Sie entwickelt eine Phobie gegen die Menschen im Allgemeinen, und sieht sich von Rodin verfolgt.
Es gibt noch einmal eine Begegnung in ihrem eigenen Atelier, die bringt diese ganze Dramatik auf den Punkt. Denn diesmal zollt Rodin ihr die Anerkennung, die sie verdient, aber er unterstellt ihr auch, das alles, ihre Formen- und Bildersprache, ihren Ausdruck und Expressionismus von ihm zu haben. Das ist eine Kränkung und steht im Widerspruch zu seinen eigenen Worten.
Und er verletzt sie damit tief. Diese Anekdote hätte zur Versöhnung führen können, ein weiteres Kapitel in der Beziehung beider aufschlagen können, vielleicht auch in die fällige Anerkennung von Camille münden können. Doch sie endet in einer Katastrophe für Camille.
Danach schließt sie sich völlig ab. Sie arbeitet, aber sie zeigt sich niemanden.
Trotzdem schafft es ein Galerist noch einmal ihren Panzer zu durchbrechen. Er organisiert eine Gesamtausstellung. Doch die Kunstwelt zeigt sich zwar interessiert, aber niemand kauft. Nicht ein einziges Werk kann Camille unterbringen. Und das wird zu ihrem Untergang.
Von da an beginnt sie ihre Werke zu vernichten, zu zerschlagen und die Torsen zu vergraben. Sie mauert sich buchstäblich ein. Ihre Familie weist sie in eine Heilanstalt ein, wo sie noch etwas mehr als 20 Jahre lebt, aber nichts mehr produziert.
Der Film handelt nicht nur von Rodin und Claudel, sondern auch von ihrem Camilles Bruder, Paul, dem erfolgreichen Dichter. Das Verhältnis beider ist anfangs sehr eng und liebevoll. Doch Paul steht im Schatten seiner Schwester. Und auch der eigentliche Förderer von Camille, ihr Vater unterschätzt das Talent seines Sohnes, ist viel zu sehr auf seine Tochter fixiert. Paul Claudel reist durch die Welt, während Camille in Paris und in der Nähe von Rodin bleibt. Auf der großen Ausstellung von Camille hält ihr Bruder eine Rede, faktisch eine Liebeserklärung an seine Schwester und eine Abrechnung mit Rodin. Fraglich, ob das eine gute Vermarktungsstrategie unter den obwaltenden Umständen ist. Doch eigentlich ist das auch egal. Denn Camille beachtet ihren Bruder gar nicht. Sie ist betrunken, als sie verspätet zu ihrer eigenen Ausstellung geht. Sie schmeißt sie. Ihr Bruder geht wortlos, ohne sich zu verabschieden. Der Film zeigt keine weitere Begegnung dieser einst sich liebenden Geschwister.
Er zeigt Paul Claudel noch einmal, als er gemeinsam mit der Mutter Camilles Wohnung aufbrechen lässt, um sie in die Klinik einweisen zu lassen. Da aber registriert Camille, die völlig verwahrlost ist, ihren Bruder gar nicht mehr. Da ist sie kaputt.
Sie hatte das Zeug zu einer großen Künstlerin. Die Werke, die von ihr hinterlassen sind, zeigen ihre Meisterschaft, ihr Können und ihr Talent. Aber in der bürgerlichen Welt der Kunst hat sie sich nicht durchsetzen können. Sie hat sie gemieden. Überall war ihr der Schatten von Rodin präsent, den sie geliebt und gehasst hat.
Doch ihr Leben steht für mehr.
Camille Claudel hat Neuland betreten. Sie war eine Frau, die versucht hat sich in einer Männerdomäne zu emanzipieren. Wer waren ihre Vorbilder? Es gab keine. Sie war ganz alleine in ihrem Versuch, sich als Künstlerin und Frau durchzusetzen. Sie hat Hilfe gehabt. Trotzdem war die Aufgabe zu groß. Sie hat sie nicht gemeistert. Hätte sie sie meistern können?
Ich musste kurz in Wikipedia nachschauen, ob die biographischen Angaben des Films denn einigermaßen stimmen. Ich kannte ihren Lebensweg gar nicht. Doch Wikipedia hat das alles bestätigt.
Das Scheitern von Camille Claudel bedeutet eben kein Scheitern ihrer Kunst. Sondern es ist die Überlagerung von mindestens drei Geschichten zusammen, die zu diesem Scheitern führen. Da ist die künstlerische Beziehung, die aus einem Lehrer- Schüler-Verhältnis in eine gleichwertige Partnerschaft führt, da ist die Liebesbeziehung, die scheitert, und da ist die sich emanzipierende Frau Camille Claudel, die sich durchsetzen muss gegen die Vorstellungswelt ihrer bürgerlichen Gesellschaft. Das Ende der Geschichte macht traurig. Wahrscheinlich hat Camille keine Ahnung gehabt, als sie als selbstbewusste und stolze junge Frau in diese Welt hineintritt. Aber sie hatte keine Spuren, denen sie folgen konnte. Sie musste sich ihren Weg selber bahnen. Sie ist nicht die einzige, die auf dem Weg ihrer Emanzipation scheitert. Denn dieser Weg ist mit Opfern und Irrtümern gepflastert. Heute ist das nicht viel anders, wenn es wirklich um Neuland geht. Heute ist die Emanzipation der Frau etwas selbstverständliches geworden. Doch abgeschlossen ist dieser gesellschaftliche Prozess noch lange nicht. Nicht wenig haben es noch immer schwer. Und das macht die Aktualität dieses Films aus.
Ironie, dass Gerald Depardieu seinen Rodin beeindruckender spielt als Isabelle Adjani die Claudel. Letztere ist immer viel zu schön. Das ist Rodin nicht. Aber auch so dringt dieser Film in die Herzen seiner Zuschauer. Er soll seinerzeit sehr erfolgreich gewesen sein. Das kann ich verstehen. Er gehört in die Bibliothek unseres Lebens.