Weiter auf dem unverbrüchlichem Weg zum Sozialismus
Beitrag zum Extremismus Jahrbuch 2014
Christian Lannert: „Vorwärts und nicht vergessen“? Die Vergangenheitspolitik der Partei DIE LINKE und ihrer Vorgängerin PDS; Band 8 der Reihe: „Diktaturen und ihre Überwindung im 20. und 21. Jahrhundert“ herausgegeben von Carola Sachse und Edgar Wolfram, Wallstein Verlag, Göttingen 2012, ISBN 978-3-8353-1115-2, broschiert, 292 Seiten
„Wenn die ‚Geschichtswissenschaft als Kampffeld von Politik und Ideologie‘ Gefahr läuft gegen die Demokratie verwendet zu werden, ist es die Aufgabe des Historikers zu ihrer Verteidigung beizutragen, indem er geschichtsklitternden Argumenten durch Aufklärung ihre Wirkung nimmt.“. Dieser Satz des Autors auf der letzten Seite beschreibt Ethos und Grenze von „Vorwärts und nicht Vergessen.“. Der Gewinn seiner Lektüre besteht im profund belegten Nachweis der geschichtspolitischen Kontinuität von alter PDS zur heutigen Linkspartei. Das bedeutet nichts weniger als, salopp gesagt, dass die Partei DIE LINKE die alte PDS ist. Die wiederum war die alte SED. Und damit ist DIE LINKE schlicht die alte die Diktatur in der DDR schaffende und tragende Staatspartei SED, bzw. das was von ihr heute weiterlebt. Die Haltungen, Werte und Selbstverständnisse innerhalb dieser Partei, die unmittelbar zu den geschichtsklitternden Argumente führen, beschreibt er hingegen nicht.
Das erste große Kapitel seines Buches widmet Lannert den verschiedenen geschichtspolitischen innerparteilichen Akteuren der Partei, der historischen Kommission, der Kommunistischen Plattform, dem Marxistischen Forum, der Rosa-Luxemburg-Stiftung, dem Ältestenrat, den sogenannten Reformern und dem orthodoxen Block der alten kommunistischen Kader. Diese agieren zwar selbständig, insofern agiert DIE LINKE innerparteilich pluralistisch, doch weist Lannert nach, dass insbesondere die kommunistische Plattform über so etwas wie eine Vetomacht im parteiinternen Kampf um die Geschichtspolitik verfügt. Und die Parteiführung weiß genau, was sie an den alten Kadern hat, die diese Partei erst stark machen. Schon die Umbenennung der alten SED 89 in die Nachfolgepartei PDS stand unter dem Vorzeichen der Mitnahme der alten Kader, um die sich Gregor Gysi explizit bemühte. Diese alten Kader waren zwar bereit, den Stalinismus zu verdammen, doch eine weitergehende kritische Debatte zum Versagen der DDR und damit der SED ließen sie nicht zu. Weder wurde der Sozialismus als legitimer Versuch aufgegeben, noch die Überwindung des Kapitalismus, und damit in ideologischer Kontinuität die bundesdeutsche Demokratie.
Geschichtspolitik hat in Der LINKEn allerobersten Rang. Noch immer ist es so, dass letztlich die Parteiführung über die geschichtspolitische Linie entscheidet, wie schon in der ehemaligen SED. Unter Voraussetzung der Geltungsansprüche der systematischen Überwindung des Kapitalismus, durch den die Partei sich bis heute legitimiert sieht, entwickelt sie ihre Strategie und politischen Ziele weiter. Und jede Debatte, die die Folgen dieser Geltungsansprüche bis hin zum kalten Krieg, den verlogenen Seiten des Antifaschismus der SED, ihren antidemokratischen und menschenrechtsverletzender Zügen, ja letztlich dem Scheitern des DDR-Sozialismus aus ihren innerkommunistischen Gründen heraus beginnt kritisch zu durchleuchten, wird zu einer Gefahr für ihre heutige Strategie. DIE LINKE ist eben nicht einfach eine Interessenpartei modernen Typs, etwa für die Ostdeutschen, oder des Prekariats. Vielmehr werden deren Interessen instrumentalisiert, um in der alltäglichen realpolitischen Auseinandersetzung Vorteile für sich zu erzielen.
Und so weist Lannert nach, dass diese Partei nicht mal einen wertvollen Beitrag zur Bekämpfung der Fremdenfeindlichkeit oder des Rechtsextremismus in Ostdeutschland leistet. Sie blendet die „Selbstbetroffenheit“ (Lannert) aus, und meint damit das Denken und Fühlen der Menschen selbst, die zu Rechtsextremismus und Rassismus neigen. Damit aber können diese Haltungen selbst nicht aufgearbeitet werden. Der Kampf gegen rechts trägt in Der LINKEn auch antidemokratische Züge. Lannert zitiert Bisky: „Wir stellen die Systemfrage!“, oder Lafontaine, der stolz darauf ist, dass seine Partei DIE LINKE diese „Systemfrage“ stellt. Ein Bekenntnis zur Demokratie sieht anders aus. Für Lannert ist die Demokratie das Maß aller Dinge. Für die DIE LINKE aber vor allem Ausdruck eines modernisierten Kapitalismus, der nach wie vor überwunden werden muss. Und das macht diese Partei so unangenehm und widerlich. Was soll ich mir für einen Reim darauf machen, dass DIE LINKE sich weigert, das Versagen der SED, der kommunistischen Ideologie, ja ihrer Sozialismusvorstellungen einzuräumen, und gleichzeitig aber in unserer Demokratie die eigentlichen Gründe unserer aktuellen, innergesellschaftlichen Probleme sieht?
Lannert weist sehr gut nach, dass DIE LINKE nicht mal auf einem ihrer Hauptfelder einen nennenswerten politischen Beitrag geleistet hat, nämlich der Überwindung der Unterschiede zwischen Ost und Westdeutschland auf Grund der über 40-jährigen Teilung und ihrer Überwindung im Rahmen der Deutschen Einheit. Vielmehr sieht er in ihr eine der Quellen der antidemokratischen Ressentiments die in Ostdeutschland, weit über die westdeutschen Erscheinungen hinaus, Gang und gäbe sind.
Lannert öffnet jedem, der an einer fundierten, sachlichen, persönlich nicht verletzenden Auseinandersetzung mit der LINKEn gelegen ist, einen großen Karteikasten mit Argumenten. Doch diese Auseinandersetzung findet nicht statt. Das ist ein eigenes Thema, auf das Lannert nicht eingeht. Seine Hinweise auf die Reflexe bei SPD und Grünen greifen zu kurz, weil sie das Versagen der sogenannten bürgerlichen Kräfte in der demokratischen Auseinandersetzung mit der LINKEn nicht mal ansatzweise thematisieren. Aber im Grunde ist das auch nicht Lannerts Thema.
Und doch ist sein Hinweis auf die taktische Nutzung der LINKEn vom „Unrechtsstaat“ ausgesprochen wertvoll. Im Abschnitt „Argumentationsmuster und sprachliche Taktiken“, zeigt Lannert, wie DIE LINKE Kampfbegriffe entwickelt, mit denen sie Gefühle der Menschen zwar aufnimmt, nicht um ihnen eine adäquate Antwort zu geben, sondern um sie in ihre eigene Geschichtsideologie einzubauen. Damit werden für DIE LINKE positive Begriffe erzeugt, wie bspw. Sozialismus, aber auch negative Begriffe wie „Kolonialismus“, „Fremdbestimmung“, „Siegerjustiz“ oder eben auch „Unrechtsstaat“. Und beim Unrechtsstaat geht es um das untergründige Gefühl vieler Ostdeutscher, die die Rechtsprechung in der DDR eben nur z.T. als Exekution von Unrecht wahrgenommen haben, und die sich deshalb mit dem Begriff vom Unrechtsstaat diffus diskreditiert sehen. Das kann man ja noch nachvollziehen. Doch damit ist die Existenz vom politischen Strafrecht der DDR, ihren Morden an der Mauer noch nicht bestritten. Und wahr ist eben auch, dass es keinen Rechtsstaat und keine Gewaltenteilung in der DDR gab, und dass, wenn es drauf an kam, die SED jederzeit in der Lage war, Richtersprüche zu dekretieren, dass also die Macht das Recht diktierte. Das machte exakt den Charakter des nationalsozialistischen Unrechtsstaats aus. Anders war es in der DDR auch nicht. Doch die Denkverbote, zu deren Aufrichtung die LINKE bis heute in der Lage ist, bewirken, dass hochrangige Spitzenpolitiker, die nicht Mitglieder Der LINKEn sind, heute empfehlen, auf die Verwendung des Begriffs Unrechtsstaat zu verzichten.
Und auch hieran können wir sehen, dass die Auseinandersetzung um die Wirkung der Geschichtspolitik Der LINKEn eben nicht akademischer Natur ist, sondern tief in unsere Gesellschaft hineinragt.
Lannert sieht in der Geschichtspolitik Der LINKEn eine Gefahr für unsere Demokratie. Um sie wirklich zu verstehen, wäre ein Blick in die geschichtsmetaphysischen Hintergründe ihrer Sozialismusvorstellungen nützlich gewesen. Wir haben es in dieser Partei mit einem Glauben zu tun, der so kräftig ist, dass er in Landesregierungen hineinragt, und parlamentarische Mehrheitsfindungen beeinflusst. Damit mag man pragmatisch umgehen wollen, aber man muss doch wissen, mit welchen Kräften man es zu tun hat, sonst gelingt die Auseinandersetzung mit diesem Phänomen, und das ist in erster Linie Aufklärung nicht. Man darf sich nichts gefallen lassen, muß die politischen Linien und Argumentationsmuster der LINKEn entschlüsseln, muß aufklären, die Diskreditierungen Der LINKEn zurückweisen. Ja, im Politikerjargon gesprochen heißt das, man muß angreifen.
Wer Ostdeutschland moderner machen will, lebensfähiger und einladender, wer gegen seinen Rechtsextremismus erfolgreich Zeichen setzen will, kommt um die Auseinandersetzung mit der Partei DIE LINKE nicht herum.
Und Bücher wie die von Lannert sind dafür ausgesprochen hilfreich. Eine Entzauberung Der LINKEn ist nicht nur nötig, sondern auch möglich, ohne falsche Verallgemeinerung auf eine sachliche, moderne, nicht verletzende aufklärerische Weise. Dass sich dabei jene verletzt fühlen, die glauben, in der DDR glücklich gewesen zu sein, mag sein. Damit muss man leben. Doch dass auch jene, die in ihrem privaten Leben in der DDR auch glücklich waren, glauben, in einem Angriff auf die DDR einen Angriff auf ihr privates Leben zu sehen, dass muss man nicht akzeptieren. Dagegen kann man was machen. Inzwischen aber geht es gar nicht mehr nur um jene, die sich verletzt fühlen, wenn es gegen die LINKE geht, sondern um ganze Altersjahrgänge, wo der Sozialismus der DDR wieder verklärt ist.
Demokratische Politik heute bedeutet zweierlei: ernsthafte Wahrnahme von Interessen und das Beharren auf Aufklärung gegenüber jeden antidemokratischen Strategien, auch den der Partei DIE LINKE.