Winston Churchill
Der zweite Weltkrieg (zusammengefasste Ausgabe der Einzelbände)
Gedanken beim Lesen
Churchill hat für dieses Werk den Nobelpreis bekommen. Das Buch ist gut geschrieben. Es ist tatsächlich Literatur. Und doch glaube ich, dass er den Nobelpreis mehr für sein Lebenswerk, als für sein literarisches erhalten hat. Einen Nobelpreis fürs Kriegsführen gibt es nicht. Da hat er eben den für Literatur bekommen.
Churchill war ein Falke. Nie hat er sich von dem Charakter Hitlers blenden lassen. Ihm war klar, dass Krieg auf Europa zukommt. Er hat England versucht darauf einzustimmen. Er hat unter der Appeasement-Politik der 30-ger Jahre gelitten wie ein Hund. Er war in dieser Zeit einfacher Unterhaus-Abgeordneter. Doch wirklichen Einfluss hat er erst bekommen, als seine düsteren Prophezeiungen Wirklichkeit wurden.
Churchill war ein Krieger. Es drängte ihn zum Kampf. Truppen ohne Feindberührung duldete er nur zu Ausbildungs- und Auffrischungszwecken. Als Krieger war er bereit höhere Risiken einzugehen als die Amerikaner. Das führte zu dem Abenteuer des Italien-Feldzuges, den er den Amerikanern abgerungen hat, und das um Jahre länger dauerte als geplant. Ein weiteres Abenteuer, nämlich von Italien einen Vorstoß über den Balkan nach Österreich zu machen, um hier Stalin zuvorzukommen, gestatteten ihm dann folgerichtig die Amerikaner nicht mehr, die es für besser hielten ihre Kräfte auf die Landung in der Normandie zu konzentrieren.
Churchill war als Falke Realist. Er schätzt nicht nur Hitler richtig ein, auch die fatalen Folgen der britischen Friedenspolitik, die Unzulänglichkeiten der französischen Verteidigungsbemühungen, die Bedeutung der USA für den Kriegsausgang, und die kalte Imperialpolitik Stalins.
Churchill hat den zweiten Weltkrieg als unnötig angesehen. Er nennt ihn überflüssig. Es war die Untätigkeit Frankreichs und Englands, das den Aufstieg Hitlerdeutschlands erst ermöglicht hat. Er beschreibt die Blindheit der beiden ehemaligen Entente-Länder gegenüber Deutschlands als Folge ihrer Friedenssehnsucht. Deutschland habe unter Hitler niemals einen Hehl aus seinen kriegerischen Absichten gemacht. Es habe klar gegen den Versailler Vertrag und gegen die Beschlüsse des Völkerbunds gehandelt. Es sei leicht gewesen in den Dreißiger Jahren Deutschland an der weiteren Wiederaufrüstung zu hindern. Damals seien Frankreich und Großbritannien militärisch überlegen gewesen. Deutschlands Kriegsbemühungen seien im Keime zu ersticken gewesen. Gemessen an der Katastrophe des zweiten Weltkriegs erscheint in der Tat ein solcher Präventivschlag, wie er Churchill vorgeschwebt hat, erwägenswert gewesen zu sein.
Churchills Warnungen, seine Rufe nach rechtzeitiger Vorbereitung, sein zutreffenden Analysen, seine Ablehnung der Appeasement-Politik Chamberlains führen ihn an die Spitze der britischen Regierung, erst als Flottenminister nach dem Überfall Hitlerdeutschlands auf Polen und dann zum Chef der britischen Regierung.
Es wird immer behauptet, Großbritannien sei zu einem Separat-Frieden mit Hitler bereit gewesen. Das stimmt auf keinen Fall gegenüber Polen. Die Britten waren die wichtigsten Verbündeten Polens. Chamberlain hatte gehofft, den Überfall auf Polen durch seine Großzügigkeit auf der Münchner Konferenz verhindern zu können. Erst mit diesem Überfall erweist sich für ihn die Appeasement-Politik als gescheitert. Nichts hat er erreicht. Er hat sich von Hitler am Nasenring durch die Manege führen lassen. Er ist tief enttäuscht. Und er ist es, der Deutschland den Krieg erklärt, obwohl er Polen nicht helfen kann. Großbritannien tritt unvorbereitet in den Krieg ein. Das ist die eigentliche Verantwortung Chamberlains. Seine Staffelstabübergabe an Churchill hat etwas folgerichtiges.
Mit Churchill kommt ein neuer Ton an die Spitze der englischen Politik; eine Mischung von Realismus, Unbeugsamkeit, Verteidigungs- und Siegesbewußtsein. England geht damals durch ein tiefes Tal. Ohne diesen neuen Ton erscheint mir fraglich, ob es das geschafft hätte.
Durch den Hitler-Stalin-Pakt, und der Niederlage Frankreichs steht England ganz alleine in Europa gegen Hitler. Damals Siegesgewissheit auszustrahlen, war eine große Leistung. Sie fand ihre Grundlage nach Churchill im Charakter des englischen Volkes, welches sich Hitler gegenüber nicht zu beugen bereit war.
Hitlers Blitzkrieg-Sieg über Frankreich ist ein Sieg der deutschen Panzerarmeen. Das deutsche Militär hatte als einziges die neuen taktischen Möglichkeiten des Panzereinsatzes in seine strategischen Planungen mit aufgenommen. Das deutsche Militär ist tüchtig gewesen, gewissermaßen modern. Frankreich hatte es unterlassen, sich auf diese neue Strategie einzustellen. Nur dadurch war es so schnell unterlegen.
Churchill empfiehlt der französischen Regierung angesichts der nahenden Niederlage eine Art Partisanenkrieg hinter den feindlichen Linien im besetzten Gebiet auszurufen. Es wird nicht klar, ob Frankreich dem Rat folgt und ob es diesen Rat überhaupt nötig hatte. Aber die Vermutung steht im Raum, dass die französische Résistance keineswegs nur eine Art Graswurzelbewegung war, sondern auch eine Folge staatlichen Handelns.
Eine der großen, vorausschauenden Leistungen Churchills zu dieser Zeit ist es, Charles de Gaulle in England eine Heimstatt zu geben, und ihm zu ermöglichen zum Oberhaupt des französischen Widerstands gegen Deutschland zu avancieren. Dies ist eine Weichenstellung für das sich gegen Hitler behauptende Europa, gerade auch angesichts der französischen Vichy-Regierung und für das Nachkriegseuropa gleich mit.
Entschlossen und skrupellos lässt Churchill nach dem französischen Separatfrieden die französische Flotte in ihren Häfen versenken, Kriegsschiffe einer Macht, die noch wenige Tage vorher die wichtigste Verbündete Englands war. Wenn einer am Siegeswillen Englands noch gezweifelt hatte, nach diesem Akt konnte es keine Zweifel mehr geben.
England war in den ersten Kriegsjahren rüstungsmäßig im Nachteil gegenüber Hitlerdeutschland. Es muss sich auf seine Verteidigung konzentrieren. Eine Invasion Deutschlands auf England steht im Raum, und war auch tatsächlich von Hitler geplant. Churchill meint, England hätte diesen Angriff abwehren können. Aber es operiert an seinen Grenzen. Görings vorbereitender Luftkampf gegen England hätte nach Meinung Churchills erfolgreich sein können, wenn er sich konsequenter den Angriffen auf die englischen Flughäfen gewidmet hätte. Görings Luftkriegsführung ist sprunghaft. Hitler verzeiht Göring diese Niederlage nicht.
Auch ein anderer Kriegsschauplatz ist für Churchill existenzgefährdend. Das ist der deutsche U-Boot-Krieg gegen die zivile, englische Schiffahrt auf dem Atlantik. Churchill weist nach, dass diese U-Boot-Schläge den Transportraum der britischen Handelsmarine verkleinern, weil der Neubau von Schiffen nicht mit deren Zerstörung Schritt halten kann.
Beides, U-Boot-Krieg und Luftkrieg sind Merkmale eines totalen Krieges, der geführt wird bevor er ausgerufen wurde. Es geht nicht mehr um militärische Erfolge alleine, es geht um die Schwächung der militärischen Kapazitäten als solche, und damit um einen Krieg gegen das ganze Land. Transportwege, kriegswichtige Industrien, zum Schluss die Moral der Bevölkerung sollen empfindlich getroffen werden. Ein solches Kriegsverständnis, das von Anfang an bei allen kriegführenden Parteien vorhanden ist, nimmt keine Rücksicht mehr auf Zivilisten.
Dies und das Bemühen Churchills die Deutschen zu bekämpfen, wo immer er kann, sind auch die Grundlagen des britischen Luftkrieges gegen Deutschlands. Man kann sagen, dass die Deutschen ja damit angefangen hätten. Das stimmt. Aber es ist keine Frage der Rache, dass die Briten diesen Luftkrieg führen. Sondern es sind militärische Überlegungen, die die deutschen Städte in Schutt und Asche legen. Churchill belegt selber, dass die militärischen Ziele der Bombenangriffe nicht erreicht werden. Die deutsche Kriegsindustrie arbeitet ungebrochen weiter. Churchill aber führt Krieg, und er führt ihn mit allen Mitteln.[1] Er distanziert sich auch von den Bombardements an keiner Stelle. Er hält sie für einen Erfolg der britischen Kriegführung.
Die Achtung Churchills für Deutschland ist groß. Er bewundert dieses Land. Er ist in der Lage, seine Stärken richtig einzuschätzen. Manchmal wirkt Churchill regelrecht ritterlich; etwa wenn er im Londoner Unterhaus, Rommels Fähigkeiten als Heerführer namentlich hervorhebt.
Churchill arbeitet heraus, wie wichtig die Rolle dieser Heerführer auch in Zeiten industrieller Kriegsführung ist. Nach wie vor spielen Persönlichkeiten eine entscheidende Rolle.
Churchill bedauert die Zusagen an seinen griechischen Verbündeten. Er hält die griechischen Verteidigungsbemühungen für verloren, bevor sie begonnen sind. Aber er steht zu seinen Bündnispflichten und geht in eine für ihn sichere Niederlage. Doch er sichert Griechenland auch die Demokratie nach der Befreiung von Hitlerdeutschland, in dem er mit Stalin einen Deal aushandelt; Stalin bekommt das vom ihm besetzte Rumänien, und zieht im Gegenzug seine Unterstützung für die kommunistischen Partisanen in Griechenland zurück.
Churchill schildert den Aufstieg Titos im jugoslawischen Partisanenkrieg. Er bemüht sich, ihn zum Verbündeten zu gewinnen, was ihm teilweise gelingt, und was letztlich mit dazu führt, dass in Jugoslawien zwar ein kommunistisches Land nach dem Kriege entsteht, aber keines von Stalins Gnaden.
Nur ganz selten schimmert bei Churchill durch, dass auch eine Niederlage Englands möglich gewesen sei, etwa beim U-Boot-Krieg und Görings Luftkrieg. Aber er jubiliert, als Japan mit Pearl Harbor die USA in den Krieg mit hinein zieht. Bis dahin hatte Roosevelt vor allem mit Waffen geholfen; für England und die Sowjetunion. Sein direkter Kriegseintritt ist für Churchill der Garant schlechthin für den Sieg über Deutschland. Das zeigt, dass es in Churchill vorher düster ausgesehen haben muss.
Ein besonderes Kapitel ist Stalin. Für Churchill ist Stalin egoistisch und verlogen. Gleichwohl wollte er ihn frühzeitig in ein Bündnis gegen Hitlerdeutschland einbeziehen. Er nimmt Stalin seinen Pakt mit Hitler übel. Aber er steht zu Stalin seit dem deutschen Überfall auf Russland. Auch hier ist Churchill ganz Stratege. Denn der gemeinsame Gegner führt zu einer intensiven Zusammenarbeit, trotz unterschiedlicher Werte.
Nach dem Ende des Krieges wird Churchill abgewählt. Er nimmt die Niederlage ritterlich, aber verbittert. Um Verständnis bemüht er sich nicht. Ich vermute, die Briten wollten Frieden. Doch für Churchill geht die Auseinandersetzung um Europa weiter. Die Ausdehnung des Stalin’schen Reiches nach Westen schmerzt. Churchill sieht den Kalten Krieg lange vor den Amerikanern. Aber er sieht auch die Notwendigkeit der Zusammenarbeit unter den ehemaligen Todfeinden Europas. Sein Ziel waren immer die Vereinigten Staaten von Europa. Es wäre schön, wenn wir das hätten. Vielleicht sollte man das mal den Briten unter Cameron heute sagen.
Churchill betont die besondere Bedeutung einer deutsch-französischen Freundschaft. Das ist deshalb bemerkenswert, weil damit Großbritannien, dass doch kriegsentscheidend war, in seiner politischen Bedeutung für das Nachkriegseuropa nachrangig wird.
Kurz vor der Potsdamer Konferenz besucht Churchill das kaputte Deutschland. Er geht zu Hitlers Reichskanzlei. Dort wird er erkannt. Und er bekommt Beifall von den anwesenden, die ja nur zufällig hier gewesen sein können, Zivilisten. So wie Churchill das schreibt, waren es deutsche Zivilisten. Welche Stimmung mag da den Deutschen die Hände geführt haben; Dankbarkeit über das Ende des Krieges, über die Niederlage Hitlers, Anerkennung der britischen Stärke? Es ist eine jener Anekdoten, in welchen die Weltgeschichte aufscheint.
Churchill war eine ihrer großen Persönlichkeiten. Ich denke, wir können dankbar dafür sein, dass er zur richtigen Zeit an der Spitze der britischen Regierung stand.
[1] Eine Analyse, warum Englands Luftkrieg gegen Deutschland nicht die erhoffte destabilisierende Wirkung hatte, findet sich in Friedrichs „Brandkrieg“