Die DDR lebt nach

Besprechung dreier Bücher für das 

Jahrbuch für Extremismus & Demokratie 33. Ausgabe 2021

 

Die Lektüre dieser drei Bücher war durchaus erhellend, manchmal sogar mitreissend, passagenweise langweilig, gelegentlich aber auch wegen haarsträubender Positionen von provozierender Wirkung. Aber eines waren sie nicht, Ausdruck extremistischer Ansichten, erst recht waren sie keine Erörterung von derlei Haltungen oder Positionen. Und deshalb frage ich mich, welchen Mehrwert eine Besprechung dieser drei Bücher für ein Extremismusjahrbuch, das sich doch dem Forschungsstand über dieses für die Stabilität einer demokratischen und offenen Gesellschaft widmen will, ergeben könnte. 

 

Allenfalls kann man das von Ines Geipel „Generation Mauer“, einem Kaleidoskop der Darstellung unterschiedlichster Biographien, die sie der Mauergeneration zurechnet, noch sagen. Denn sie weisst auf die fatalen Folgen einer spezifischen Politik für die Ostdeutschen hin, der die Aufklärung der Folgen von Diktatur und Bankrott der SED unwichtig war, hingegen die Artikulation der Benachteiligungen für die Ostdeutschen im Einigungsprozess alles. „Sie (die PDS) spielte den Kümmerer, und blockierte den Ostdeutschen den Weg in die Demokratie.“. Das kann man, meine ich in Teilen auch von der Politik der Ost-CDU und auch der Ost-SPD sagen. Und dass dies der AfD in die Hände spielte, braucht nicht näher erläutert zu werden. Allerdings sind diese Gedanken von Ines Geipel nicht neu, wenn leider aktuell. Und wer im Osten der AfD das Wasser abgraben will, der muss auf Aufklärung setzen. 

 

Gleichwohl hat das Buch von Ines Geipel auch Schwächen, die vor allem in ihrem permanenten Rückgriff auf sozial-psychologische Erklärungsmuster bestehen. Sie grenzen nicht selten an Spekulationen, und erreichen die Menschen, die es eigentlich betrifft in keiner Weise. Gleichwohl gelingen Ines Geipel packende Darstellungen individueller Persönlichkeiten, die jene Lügen strafen, die den Osten generell als langweilig und trist empfinden. Im Gegenteil, da geht manchmal richtig die Post ab. 

 

Geht trotz seines essayistischen Grundcharakters „Generation Mauer“ noch in biographische Einzelheiten, ist das verschriftete Gespräch zwischen der Journalistin Jana Hensel und der Soziologieprofessorin Naika Foroutan, eine rein soziologische Bestandsaufnahme des Konflikts der ostdeutschen Gesellschaft mit den Ansichten der westdeutschen Mehrheitsgesellschaft einerseits, und dem Konflikt des Anteils der bundesdeutschen Gesellschaft mit Migrationshintergrund mit der bundesdeutschen Mehrheitsgesellschaft andererseits. Es ging wohl vor allem Jana Hensel darum, die Verletzungen aufzuzeigen, die der jeweiligen Minderheit durch die Mehrheitsgesellschaft zugefügt habe. Und es ging ihr um die Parallelen zwischen beiden Konflikten. 

 

Obwohl auch dieses Buch, und hier vor allem die wunderbar präzisen und kenntnisreichen Gesprächsbeiträge von Naika Foroutan, seine lesenswerten Seiten hat, stellt es eine etwaige Alltagstauglichkeit nicht unter Beweis. Denn je mehr die Ostdeutschen zu Opfern der westdeutschen Ignoranz und Überheblichkeit gemacht werden, was man insbesondere Jana Hensel anlasten muss, desto stärker wird ausgeblendet, dass die Ostdeutschen ja auch Individuen sind, die ihre eigenen Möglichkeiten haben, ihre Vergangenheit und die Auseinandersetzungen mit den westdeutschen Haltungen differenziert zu betrachten. Die Ostdeutschen sind ja nicht kollektiv in die Schmollecke gegangen, manche aber schon. Natürlich sind mit der Deutschen Einheit ganz unterschiedliche Erfahrungshintergründe und soziale Prägungen aufeinandergeprallt. Die Verantwortung aber für die Haltungen, die im Osten die AfD gestärkt haben, haben die Betreffenden schon noch selber. Der Konflikt mit den Westdeutschen entlastet sie hier nicht. Er taugt allenfalls als ein Erklärungsaspekt. 

 

Von ganz anderer Couleur ist das Buch von Gunnar Decker: „Zwischen den Zeiten, die späten Jahre der DDR“. Eigentlich sind es zwei Bücher. Vorgeblich will Decker die DDR-Literaturszene dieser Zeit, nach der Biermann-Ausbürgerung 76 vorstellen. Vorangestellt hat der Autor aber einen langen Abschnitt, in der seinen eigenen Weltschmerz mit der untergehenden DDR präsentiert. Und da kommt er schon mal für einen studierten Philosophen zu erstaunlichen Feststellungen, zum Beispiel in der Behauptung, dass die europäische Freiheitsgeschichte von den Paradieserwartungen der mosaischen und christlichen Religion über die griechische Philosophie, die Aufklärung und den deutschen Idealismus unmittelbar und direkt bei Marx und Lenin geendet hätte. Meine Güte! Diese Haltung ist so furchtbar, die muss man nicht mal widerlegen, weil sei einfach ignorant ist. 

 

Es nimmt dann auch nicht Wunder, wenn er, und damit steht er allerdings nicht allein, den westlichen Parlamentarismus schlicht mit dem Kapitalismus gleichsetzt. Diesen Fehler macht er ja nicht alleine. So hat ja bereits Marx die westliche Demokratie, die zu seinen Zeiten ja nur in Ansätzen vorhanden war, diskreditiert. Und so argumentiert eine fundamentalistische Kritik gegen die Demokratie bis heute. Übrigens nicht nur von links. 

Allerdings: belesen ist Gunnar Decker. Seine Schilderungen der Literatur und der Literaten in den späten Jahren der DDR sind von grosser Einfühlsamkeit und einem breiten Detailwissen gekennzeichnet. Wer eine Einführung in diese Literatur haben will, einen Stichwortgeber für die eigene Leseliste, der kann bei Decker fündig werden. Und wer wissen will, welchen Weltschmerz die untergegangene DDR bis heute bei manch einem ehemaligen DDR-Intellektuellen produziert, allerdings auch.

 

Diese gemeinsame Rezension der drei Bücher ist eine Auftragsarbeit für die 33. Ausgabe des Jahrbuches "Extremismus & Demokratie", das Ende 2021 erscheint.