Hinter der Eitelkeit versteckte Sorgen

(Zu Gaucks Schrift: Freiheit – Ein Plädoyer; Kösel 2012)

 

Passend zu seiner Nominierung für das Amt des Bundespräsidenten hat Joachim Gauck ein schmales Bändchen mit seinem Credo vorgelegt. Es trägt den Titel „Freiheit – ein Plädoyer“, ist aber vom Duktus her eher eine Predigt. Das braucht man ihm, dem Pfarrer nicht übelzunehmen. Ein wahrhaft christliches Selbstverständnis hat in unserem Land noch jedem zur Ehre gereicht. Und dem protestantischen Theologen Gauck kann man abnehmen, dass seine Repliken auf die biblische Schöpfungsgeschichte und die christliche Dogmatik keine bloßen Attitüden sind.

Doch etwas ganz anderes sind seine Botschaften.

Im vorgelegten Band versucht er für seine Vorstellungen von Freiheit, Verantwortung und Toleranz zu werben. Gauck leitet sein politisch - freiheitliches Selbstverständnis aus dem Motto der friedlichen Revolution schlechthin ab. „Wir sind das Volk!“ skandierten die Demonstranten 1989. Gauck kommentiert:

„Dieser Satz hat uns gelehrt, dass wir, wenn wir unserer Sehnsucht glauben, und ihr vertrauen, unsere Angst verlieren.“

Ein solcher Satz stimmt immer, denn er beschreibt die Kraft, die wir Menschen bekommen, wenn wir beginnen bei uns selbst zu sein, und unsere eigenen Visionen zu verwirklichen.

Für Gauck beginnt dieser Zustand aber erst mit der Erlangung der politischen Freiheit während der Wende. Er schreibt:

„Wir, die wir die Bürgerrechte nicht hatten, waren zwar auch wertvoll - aber Bürger waren wir nicht.“

An dieser Stelle ist Gauck ganz bei Angela Merkel, die glaubt, dass man als Ostdeutscher seine Leistungsfähigkeit in der DDR nicht austesten konnte. Das aber ist ein grundsätzlicher Irrtum, weil das Selbstverständnis eines die Freiheit liebenden Menschen nicht von der Diktatur abhängt, in der er gezwungen ist zu leben. Wer seine Freiheit liebt, und sie als unveräußerlich betrachtet, der kämpft um sie, ganz egal, wie widrig die Zeitumstände sind, die der eigenen Freiheit entgegenstehen. Und wer sich zu dieser Freiheit durchringen kann, der wird auch seine zwischenmenschlichen Beziehungen als freier Mensch gestalten, was in der Tat in einer Diktatur ungleich schwieriger ist, als in einer Demokratie. Schade, dass diese Erkenntnis in Deutschland mit seinen beiden überwundenden Diktaturen nicht zum Allgemeingut gehört. Gauck vermittelt sie leider auch nicht.

 

Seine Vorstellungen von Verantwortung gehören da schon eher zum Allgemeingut, aber mit einem Tick ins konservative hinein, und tunlichst zu hinterfragen. Auch hier ist er wieder sehr theologisch, indem er das berühmte Bibelzitat, „Gott erschuf den Menschen zu seinem Bilde….“, ergänzt durch den Halbsatz:

„mit der wunderbaren Fähigkeit, Verantwortung zu übernehmen.“

Am Schluß seiner Schrift spricht er sogar davon, dass

„die Freiheit der Erwachsenen Verantwortung heißt.“

Abgesehen von der merkwürdigen Einschränkung auf die Erwachsenenwelt – als wenn die Jugend keine Verantwortung zu tragen hätte - ist dieser Gedanke keineswegs zwingend. Freiheit ist mehr als Verantwortung, erst recht im öffentlichen Bereich. Freiheit beinhaltet das Recht dem eigenen Lebensentwurf zu folgen, seine eigene Identität zu finden und zu bestimmen. Genau das hatte die SED den Ostdeutschen verweigert. Und deshalb ist diese Partei auch verantwortlich für die Folgen dieser Diktatur in der Gesellschaft, angefangen bei den geknickten oder gar zerstörten Biographien, über die Deformationserscheinungen bis hin zur Deindustrialisierung Ostdeutschlands 1990. Letztlich ist sie auch für die Spätfolgen mitverantwortlich, wozu die Aber-Milliarden gehören, die uns der Wiederaufbau Ostdeutschlands bisher gekostet hat. Hier ist man mit dem Begriff der Verantwortung an der richtigen Adresse. In diesem Sinne sind wir alle für die Folgen unseres Handelns verantwortlich. Wo aber, wie bei Gauck, Verantwortung zum Selbstzweck wird, finden Menschen ihre Befriedigung erst in Leitungspositionen. Und das hat nichts modernes mehr an sich.

 

An anderer Stelle in seiner Schrift taucht plötzlich der Begriff der Bezogenheit auf.

„Es ist freilich so, dass Verantwortung und Bezogenheit nicht nur von Glaubenden … oder anderen Gläubigen gelebt werden können. Für mich ist die religiöse Wertsetzung … stark …“.

Dazu muß man wissen, dass die Bezogenheit durch die Psychologie ihren spezifischen Sinn bekommen hat. Erich Fromm hat damit versucht zu erklären, wie erst in ihrer Bezogenheit auf andere, Menschen sich selbst erfahren und entwickeln können. Gauck entkleidet nun diese Bezogenheit ihres psychologischen Inhalts und verwendet dieses Wort in trivialer Weise als seine eigene persönliche Bezogenheit auf seinen Glauben. Dabei bleibt er seiner Zunft treu, die nicht selten die Herausforderungen modernen Denkens zu meistern sucht, indem sie, um bei der Bibel zu bleiben, alten Wein in neue Schläuche gießt.  

Diese Art zu argumentieren, hat in einem Internet-Blog zu dem interessanten Kommentar geführt, dass Gauck Debatten anregt, an denen er selbst nicht mehr beteiligt sein wird.

Zur Gauck‘schen Persönlichkeit gehören übrigens auch die Sorgen, die er sich um die bundesdeutsche Demokratie macht, wenn er sie auch geschickt in seinem Appell an den Stolz der Demokraten versteckt hält. Aber auch damit steht er nicht alleine, wenn man bspw. an die entsprechenden Sorgen seines hanseatischen Landsmanns Helmut Schmidt denkt. Und natürlich kann die Demokratie keinen Ewigkeitsanspruch haben. Aber sie ist so zum Allgemeingut geworden, daß sie nicht mit Samthandschuhen angefasst werden muß. Und wir werden uns dabei von dem künftigen Bundespräsidenten Joachim Gauck, der in seiner Schrift vor der

„Tradition unserer antikapitalistischen Selbstgeißelung“

warnt, nicht hindern lassen, unsere offene Gesellschaft auch weiterhin dort zu kritisieren wo das nötig ist, und sie damit stärken.

Gauck ist ja viel herumgereist in unserem Land, hat viel geredet, und dabei viel Ergriffenheit produziert. Diese ist sicher nicht seiner Sprache alleine zu verdanken, sondern auch seiner Persönlichkeit, sowie der Sehnsucht der Menschen nach Werten, und ihrer glaubhaften Verkörperung. Gauck scheint die Menschen, die ihm zuhören zu verzücken, wahrscheinlich braucht er das. Das dürfte seine eitle, narzistische Seite sein. Seine Art zu reden wird ihn nun an die Spitze unseres Staates führen. Keine Frage, besser als sein Vorgänger ist er allemal. Er verkörpert viele gute Seiten, aber vor Überhöhung sollte man ihn schützen.