Klaus Schroeder widerlegt das Klischee von einer angeblich „sozialen“ DDR. Das ist einerseits gelungen. Doch mit pauschalen Urteilen über die Ostdeutschen bedient der Politologe genau die Nostalgie, die er eigentlich bekämpfen will.
Es gibt Passagen in dem neuen Buch von Klaus Schroeder, die lesen sich spannend, sind informativ und vor allem erhellend. Darin geht es um das soziale Image, das die DDR heute genießt. Zu Unrecht, wie Schroeder wohl zu Recht meint. Denn die Fakten widersprechen dem Bild einer einst so sozialen, gerechten, auf Gleichheit bedachten und vor allem in Sachen Gleichberechtigung der Frauen so fortschrittlichen DDR. Denn das war sie nicht.
Die Zahlen entkräften das Klischeebild einer „sozialen DDR“
Schaut man genauer hin, wie Schroeder es anhand von Fakten belegen kann, dann war zwar beispielsweise die Frauenarbeitsquote deutlich höher als im Westen, sie lag bei über 90 Prozent, aber der Verdienst der weiblichen Arbeitnehmerschaft war doch erheblich geringer als der der Männer, abgesehen davon, dass den Frauen auch in der DDR der Weg in die Chefetagen versperrt blieb.
Ähnlich verhält es sich mit der Einkommensgerechtigkeit: Die Einkommen und die Vermögen der DDR-Bevölkerung waren deutlich gespreizt. So besaß das obere Viertel der Sparguthabenbesitzer nahezu 70 Prozent des Vermögens, fast genauso viel wie in der alten Bundesrepublik. Auch in Sachen Armutsquote war die DDR nicht gerade ein Vorzeigestaat: Nach der heutigen Definition, nach der die Armutsschwelle bei der Hälfte des Nettodurchschnittseinkommen liegt, wären das in der DDR über ein Viertel der Bevölkerung gewesen. Dazu zählten beileibe nicht nur die Rentner, die im Durchschnitt weniger als ein Fünftel des Durchschnittseinkommens erhielten.
Ohne Deutsche Einheit hätte es noch schlimmer kommen können
Nimmt man die Korruption und den Amtsmissbrauch der SED-Führung mit hinzu – die Fakten hierzu hat noch die letzte SED-Volkskammer vorgelegt, – dann wird das Ausmaß an Ungerechtigkeit in der DDR erschreckend. Und fügt man sogar die wirtschaftliche Schlussbilanz der DDR-Volkswirtschaft hinzu – Schroeder hat hierzu eine Delikatesse anzubieten, nämlich einen Vortrag eines Stasi-Generals, der für die Wirtschaft zuständig war, – dann wird auch der Bankrott der SED-Wirtschaft offenbar.
Den DDR-Bürgern hätten weit schlimmere Zeiten ins Haus gestanden, wäre es nicht zur Deutschen Einheit gekommen. Auch die Arbeit der Treuhand rückt Schroeder zurecht, in deren Schlussbilanz den zwei Dritteln privatisierten Betrieben circa 30 Prozent liquidierte gegenüber gestanden hätten. Doch das habe in etwa den Erwartungen einer bereits von Modrow eingesetzten Expertenkommission entsprochen.
Und zum Schluss räumt Schroeder auch noch mit der These des „Gebärstreiks“ junger Mütter infolge der „Hoffnungslosigkeit nach der Wiedervereinigung“ auf: Denn inzwischen hat sich die Geburtenrate wieder erholt. Sie ist heute im Osten wieder höher als auf dem Gebiet der alten Bundesrepublik.
Woher kommt die „Wiederauferstehung der DDR“?
Warum also diese Verklärung der DDR heute und zum Teil bei Leuten, die sie gar nicht mehr erlebt haben? Schroeder zeichnet den Prozess der „Wiederauferstehung“ der DDR nach, wie er diesen von ihm diagnostizierten Verklärungsprozess nennt. Erfreulicherweise verzichtet er dabei auf sozialpsychologische Theorien und Spekulationen, geht aber selber leider nicht sehr in die Tiefe. Den Beginn sieht er unmittelbar in der Zeit nach dem Mauerfall, wo den Ostdeutschen ihre eigene soziale Bedürftigkeit gegenüber den reichen Westdeutschen und Westberlinern bewusst geworden sei, die sich letztlich in Trotzreaktionen niedergeschlagen habe.
Unfreiwillig liefert Schroeder selber einige Gründe für die in Ostdeutschland herrschende Verklärung der DDR, in dem er gelegentlich doch sehr platte Urteile über die Ostdeutschen fällt, etwa, wenn er von den „angepassten“ Ostdeutschen redet, die ihr berufliches Fortkommen der „SED verdanken“. Das wird der komplizierten Lebenswirklichkeit der ehemaligen DDR-Bürger unter den Bedingungen einer totalitären Diktatur nicht gerecht, deren Herausforderung ja darin bestanden hat, trotz der omnipräsenten Staatspartei für sich und die Familie eine halbwegs vernünftige Lebensperspektive hinzukriegen.
Zu einseitig, um Nostalgie zu bekämpfen
Solche Sätze haben die ehemaligen DDR-Bürger ja nun nicht nur von Wissenschaftlern wie Klaus Schroeder zu hören bekommen, sondern auch von vielen ihrer westdeutschen Mitbürger – vor allem in den ersten Jahren nach dem Ende der DDR. Solche Sätze waren nicht nur ahnungslos, sondern häufig auch kränkend. Komischerweise wussten sich viele Ostdeutsche dieser Auffassungen nicht zu erwehren. Sie nahmen das nicht locker oder gelassen, sie waren gekränkt, eingeschnappt, zogen sich zurück und gifteten zurück.
Das mag man als Mangel von Selbstbewusstsein oder Stolz auffassen. Vor allem aber fehlte es an politischen Stimmen in der damaligen Zeit, die so was mal geradegerückt hätten. Vielmehr sind ihre Stimmungen instrumentalisiert worden – vor allem von der ehemaligen SED, also PDS, und es gab so ein Schwarz-Weiß-Denken, dass Zwischentöne, die erst das Bild vollständig gemacht hätten, keine Chance hatten. Das alles hat die Nostalgie befördert.
Nostalgie ist natürlich noch mal etwas anderes als nur das Gekränktsein von den Sprüchen ahnungsloser „Wessis“. Doch klar ist, dass solche Sprüche erheblich zur Abwehrhaltung beigetragen haben. Insofern, und das ist das Interessante bei Schroeder: Er beschäftigt sich mit der Nostalgie, der „Wiederauferstehung“, aber er bedient sie auch.
Im Grunde hat er nicht verstanden, dass seine eigenen Plattheiten die Nostalgie befördern. Warum er das macht, wissen wir nicht, aber es macht ein Wesenszug seiner Arbeit aus. Und so kann er sich noch so abmühen mit dem Benennen von Fakten über die untergegangene DDR – solange seine Urteile einseitig sind, wird er der Nostalgie nicht das Wasser abdrehen können.
Eine Darstellung mit Schlagseite
Auch in anderer Hinsicht argumentiert Schroeder etwas einseitig. Dass er augenscheinlich viel Sympathie für den Wiedervereinigungskurs von Helmut Kohl empfindet, ist sicher für viele nachvollziehbar. Doch dessen mangelnde Bereitschaft, seinerzeit ehrlich über die absehbaren Probleme und Herausforderungen des Transformationsprozesses nach der Deutschen Einheit zu sprechen, die ja ihren Anteil an der damals entstehenden Nostalgie hat, schiebt er der „Politischen Klasse“ allgemein in die Schuhe, ohne Helmut Kohls eigenen Anteil an der Erzeugung von Illusionen über die bevorstehenden harten Jahre nach der Deutschen Einheit zu benennen.
Überhaupt hat sein Buch Schlagseite: Für Schroeder waren die USA maßgebend für die Herstellung der Deutschen Einheit, über Gorbatschow spricht er nur am Rande. Doch waren es nicht die Reformen von Gorbatschow, die überhaupt erst den Freiraum für die Demokratisierungsprozesse in Ungarn und Polen ermöglichten und in der DDR die friedliche Revolution? War es nicht die Abrüstung, die erst unter Gorbatschow wirklich zu nennenswerten Ergebnissen kam? War es nicht Gorbatschow, der den Klassenkampf mit dem Westen beendete und damit den Kalten Krieg?
Teilung schmerzhafter als Wiedervereinigung
Für Schroeder, so lautet ja auch der Titel des Buches, ging es bei der Deutschen Teilung um den Kampf der Systeme von Ost und West, den der Westen für sich als gewonnen betrachten könne. Das ist eine konservative These, die diesen Erfolg westlicher, vor allem US-amerikanischer Machtpolitik zuschreibt.
Natürlich ist die Überwindung der deutschen Teilung 1989/90 eine schöne Geschichte. Doch man darf nicht vergessen, dass Deutschland selbst der Urheber dieser Teilung war. Dass sie überwunden werden konnte, das verdanken wir zuerst dem Bruch Gorbatschows mit dem imperialen Weltmachtstreben Russlands und der Sowjetunion und einem neuen Vertrauen unserer Nachbarn in die Friedenspolitik eines modernen, demokratischen und deshalb wiedervereinigten Deutschlands.
Dass dieser Prozess des Zusammenwachsens beider Teile Deutschlands auch Schmerzen verursacht hat, steht außer Frage. Aber sie sind kein Vergleich zu jenen Schmerzen, die die Menschen in der Zeit seiner Teilung auszuhalten hatten.
Auftragsarbeit für Deutschlandfunk Kultur, gesendet heute, 22.8.20