Heimat von Thomas Medicus

Lesart „Kurz & kritisch“ Kurzrezension für Deutschlandradio 14. Mai 2014

Thomas Medicus

Heimat - Eine Suche

Rowohlt Berlin, 7.3.2014

272 Seiten, € 19,95 (D), auch als E-Book erhältlich

 

Thomas Medicus, Jahrgang 1953, geboren im oberfränkischen Gunzenhausen, ein in Berlin lebender Feuilletonist, hat sich mit „Heimat“ auf die Suche nach seiner Heimat begeben. Er ist, wie viele Jugendliche früh aus seiner Heimat ausgerissen, und kehrt nur ungerne dorthin zurück. Sicher, auch ihn prägen zärtliche Kindheitserinnerungen. Doch seine geliebte Großmutter macht vage Andeutungen über jüdische Familien, die nicht mehr existierten, und sein Vater stirbt früh, unter rätselhaften Begleitumständen. Da ist der Sohn 17. Dieser ist schon groß, und hält seinen Geburtsort schlicht für trist und provinziell, als er plötzlich von dem Pogrom 1934 erfährt, dass dort die SA gegen die Juden inszenierte, dem ersten dieser Art in Hitlers Deutschland. Er mutmaßt einen familiären Zusammenhang. Medicus arbeitet dieses Pogrom auf, und spürt wie tief es in die Gesellschaft der Kleinstadt hineinführte. Trotz dieser fürchterlichen Geschehnisse lernt er seine Stadt, seine Familie besser kennen. Noch näher wird sie ihm, als bekannt wird, dass Jerome D. Salinger, einer der erfolgreichsten, allerdings auch geheimnisumwobenen Schriftsteller des 20.Jahrhunderts in Gunzenhausen als Angehöriger der amerikanischen Besatzungstruppen stationiert war, um nach Nazis zu suchen, und sie schadlos zu machen. Hier wird die Lektüre von Heimat spannend, und verlässt den Rahmen von Gunzenhausen. Gunzenhausen ist plötzlich nicht mehr nur Provinz und Einzelfall, sondern Teil unserer, ganz persönlich betroffenen machenden Geschichte. Der Leser erfährt viel über Salinger, erfährt wenig bekanntes über die USA, und über die Verstrickungen solcher Kleinstädte wie Gunzenhausen. Medicus versteht, was seine Eltern, und Großeltern ihm verschwiegen. Fremdheit wird überwunden, und Nähe entsteht. Noch mehr allerdings in jenem Abschnitt von Heimat, wo Medicus über die Aufarbeitungsarbeit in Gunzenhausen selbst erzählt. Am Schluss ist er mit seiner Stadt wieder verbunden, sie ist ihm Heimat geworden. Besser kann man die Notwendigkeit und Möglichkeit von Aufarbeitung kaum darstellen, als dies Medicus gelungen ist.