Filmrezension: Nur Gott kann mich richten

Ein Film von Özgür Yildirim

 

mit Moritz Bleibtreu sowie unter anderem Khida Khodre Ramadan, Edin Hasanovic, Birgit Minichmayr, Franziska Wulf und Peter Simonischek.

 

 

DE · 2017 · Laufzeit 100 Minuten · FSK 16 · Thriller, Drama · Kinostart 25.01.2018

 

 

VORBEMERKUNG

Dieser Actionfilm, der im extrem kriminellen Milieu von Frankfurt am Main und Offenbach spielt, hat einen sehr religiösen Titel. Das passt eigentlich nicht zusammen, meint man. Andererseits legt sich jeder Verbrecher eine Moral zurecht, mit der er sich und sein Handeln legitimiert. Der Filmtitel scheint hier kriminelles Handeln sogar religiös zu verbrämen. Doch steckt nicht auch eine kleine Ironie dahinter, eine Verstellung? Man braucht eine Weile bis man den furchtbaren Ernst dieses Titels erfasst. Seine Aussage entspricht in der Tat dem Selbstverständnis nicht nur des Haupthelden, Ricky (Moritz Bleibtreu). Er lebt und handelt so, als ob über ihn nur Gott zu Gericht sitzen könne.

Alle anderen mögen ihn strafen, quälen oder richten wollen, wirklich richten kann ihn nur Gott, nur sein Urteil ist relevant. Und so setzt sich Ricky bedenkenlos über jedes moralische Gebot, über jede vernünftige und rationale Grenze hinweg. Er setzt dabei das eigene Leben und das seiner Angehörigen und Freunde mit aufs Spiel. Am Ende sind sie alle tot. Und selbstredend verhält nicht nur er sich so. Der Filmtitel ist die Lebensmaxime eines ganzen Milieus. Es gibt hier niemanden, der sich im moralischen Sinne positiv abhebt, niemanden, der als Held gelten kann, von dem man lernen kann. Es gibt viele, deren Handeln im emotionalen Sinn nachvollziehbar ist, deren Reaktionen und Affekte verständlich sind, ja an denen der Zuschauer Anteil nimmt, auch wenn das im Film erzählte Drama in vielem vorausschaubar wirkt. Der Film ist kein Hollywood-Schinken, es gibt hier kein Happy End, es gibt keinen Märtyrer und es gibt keinen Sieger. Andererseits wird viel geknallt und geballert, es wird überfallen, gehauen und massakriert, aber es wird auch geliebt, und zwar nicht nur zwischen Mann und Frau, also sexuell, sondern auch in der Familie, zwischen Sohn und Vater, zwischen Bruder und Bruder. Die Akteure sind Menschen, sie sind keine Monster, sie haben ihre Bindungen, die ihrem Leben Halt und Sinn gegeben haben; hatten, bis zu dem Moment wo sie sich selbst vernichtet haben.

HANDLUNG

Im Vordergrund des Films stehen vier Personen in ihren sozialen und familiären Netzwerken, die mit einander schicksalhaft verbunden sind oder verbunden werden. Das sind in der Hauptrolle Ricky (Moritz Bleibtreu), sein Bruder Rafael (Edin Hasanovic), sein Freund Latif (Ramadan) und die Polizistin Diana Dunker (Birgit Minichmayr). Während sich die Männer bereits vor der Filmhandlung schon lange kannten, kreuzt sich ihr Weg mit der Polizistin erst im Film.

Er beginnt mit einem gewaltigen Schusswechsel in einem alten Fabrikgebäude. Wir sehen das Ende eines misslungenen Überfalls, wobei es Ricky gelingt, Latif und Rafael zu schützen, während er sich selbst der Polizei ergibt. Die nächste Szene spielt dann bereits im Gefängnis an Rickys Entlassungstag.

Sein erster Weg führt ihn zu seinem Vater, meisterhaft von Peter Simonischek gespielt, dem Ricky etwas vormacht. Der Vater wirkt etwas dement und verloren in seiner Frankfurter Wohnung. Ricky will Geld von ihm. Der Vater weiß offenbar nichts vom kriminellen Hintergrund seines Sohnes, zumindest spielt das überhaupt keine Rolle. Aber der Vater fragt nach seinem anderen Sohn Rafael, und zwar so, dass der Zuschauer merkt, wem die Liebe des Vaters eigentlich wirklich zu gelten scheint. Unter dieser Vorliebe seines Vaters für den Bruder Rafael leidet Ricky offenkundig. Dennoch deckt er ihn, entschuldigt sein Fehlen, seinen Mangel an Fürsorge für den Vater. Das nützt alles nichts, dem Vater fehlt Rafael.

Ricky hat im Gefängnis dem Verbrechen nicht abgeschworen, auch wenn er leichte Skrupel hat, seine kriminelle Karriere fortzusetzen. Gross scheint die Sorge zu sein, wieder gefasst zu werden und erneut ins Gefängnis zu müssen. Aber Latif, der einen Komplizen für seinen neuen Coup braucht, überzeugt ihn mit der in Aussicht gestellten Belohnung von 25000 €. Ricky möchte das Geld in ein utopisches Restaurantprojekt auf irgendeiner südländischen Insel für einen Neuanfang investieren. Er träumt offenbar von eine anderen Leben, einem zivilen und erfolgreichen Leben ausserhalb des kriminellen Milieus. Auch das ist eine Selbstlegendierung der eigenen Kriminalität. Er steht damit im Film nicht alleine.

Für den Erfolg dieses neuerlichen Coups mobilisiert Ricky kurzerhand Bruder Rafael, der in der Zwisschenzeit wegen eines anderen Verbrechens auch eingesessen hatte. Auch er sträubt sich dagegen, aber ein ernsthafter Wille, sich zu ändern, ist auch bei ihm nicht zu erkennen. Zumal auch er nach seiner letzten Haft an seinem kriminellen Handeln festhält. So spürt man, dass ihm Ricky nicht wegen dessen Kriminalität an sich suspekt ist, sondern weil er ihm nach aller Erfahrung Unglück bedeutet. Der hellste ist Rafael nicht. Zudem inkonsequent, leicht verführbar und aufbrausend. Eine schwierige Mischung, die ihn eigentlich mehr im Kleinganovenmilieu verortet. Ricky wird immer mehr zur Führungsfigur. Der Film dreht sich um ihn.

Der neue Coup ist ein Auftragsraub. Eine andere kriminelle Gang will ihre eigenen Partner ausstechen. Dafür lassen sie sich von dritten – Rickys Leuten - 2,5 kg Heroin klauen. Zuerst gelingt das, dann aber kommt die Polizei, eher zufällig, ins Spiel. Verbrecherjagd, Schusswechsel. Ricky und Rafael gelingt die Flucht, aber die Beute, das Heroin landet in den Fängen einer Polizistin, Diana Dunker (Minichmayr). Sie sieht in diesem für sie völlig unverhofften Fund eine Lösung für die fatale Erkrankung ihrer kleinen Tochter, die einen Herzfehler hat. Sie braucht dringend ein Spenderherz. Legal ist das nicht machbar. Die Kinderärztin hatte ihr klargemacht, dass dafür zusätzliche finanzielle Mittel nötig seien. 30000 € für das Leben ihrer Tochter. Da kommt der Polizistin der unverhoffte Beutel mit Heroin gerade recht.

Man merkt die Handlung ist flott. Wie realistisch das alles ist steht auf einem anderen Blatt. Aber weil alles so schnell geht und durchaus auch spannend gedreht ist, geht man einfach mal mit.

Doch jetzt sucht die Polizistin einen Käufer für ihr Heroin. Und bei ihren nun folgenden Aktionen wirkt die Polizistin geradezu dumm. Das nimmt man dem Film nicht ab. Seis drum. Naiv mag die Polizistin ja sein, aber prügeln kann sie sich auch. Und unterbuttern von diesem Milieu lässt sie sich schon lange nicht. Im Gegenteil, sie hält mit und wird im Film zu einem gleichwertigen Player im diesem Frankfurter Verbrechermilieu, das sie in ihrem normalen Leben in Schach hält. Nach einigen Abenteuern passiert, was passieren muss. Frankfurt und Offenbach sind ja klein, die Szene ist überschaubar; die Polizistin und Rickys Leute stossen wieder aufeinander. Die Polizistin will ihr Heroin verkaufen, Ricky will das Heroin wieder haben, denn sonst gibt es keine Belohnung, und seine kriminellen Auftraggeber drohen bereits.

Ricky will die Polizistin erschiessen. Er hat Angst, dass er auffliegt. Anders, meint er, könne er sich nicht schützen. Rafael kriegt kalte Füße. Er will nur das Heroin, keinen Mord. Weil er seinen Bruder kennt, organisiert er ein separates Treffen mit der Polizistin, bei dem er von ihr erschossen wird. Damit beginnt der Todesreigen. Zur Rache will Ricky die Polizistin erschiessen, trifft aber deren kleine, herzkranke Tochter. Kollateralschaden. Die Polizistin ist am Ende.

Ricky ist mit seiner Rache noch nicht am Ende. Der Tod seines Bruders hat ihn so tief getroffen, dass er zum Amokläufer wird. Er erschiesst seine kriminellen Auftraggeber, seinen Freund Latif gleich mit. Doch als er damit fertig ist, wird er selbst erschossen, und zwar von der Polizistin, quasi gerichtet für den Mord an ihrer Tochter.

NACHBETRACHTUNG

›Nur Gott kann mich richten‹ ist ein typischer Bleibtreufilm. Voll Action, voll Sentiment, Drama und Trauer, aber auch ein wenig platt, nicht wirklich stringent in seiner Handlung. Das vermag auch die Brutalität nicht zu kaschieren. Aber flott ist der Film. Man kann ihn sich ansehen und mal einen schönen Abend machen.

Am interessantesten ist sein Titel: ›Nur Gott kann mich richten‹. Ricky sagt das nicht. Eine Geliebte von ihm, ehemalige Schülerin einer katholischen Mädchenschule, zitiert ihn. Aber auch das wirkt etwas bemüht.

Der aus einer türkischstämmigen Gastarbeiterfamilie stammende Autor und Regisseur Özgür Yildirem spielte bereits in einem seiner vorherigen Tatorte: ›Der Zorn Gottes‹, mit einem religiösen Titel. Erst dieser Titel lädt den Film so auf. Er gibt ihm einen Rahmen, und er schafft damit seine ganz eigene Atmosphäre.

Der Film spielt nicht zufällig im Verbrechermilieu von Frankfurt, das schon lange nicht mehr ›nur‹ deutsch ist, sondern auch türkisch, und vor allem arabisch. Sogar die Polizistin hat einen arabischen Hintergrund, ihr Vater war Marokkaner. Es ist auffällig wie stark das Verbrechermilieu islamisiert dargestellt wird. Das merkt man auch an der Besetzung. Dieser Zusammenhang ist wahrscheinlich sehr an der Wirklichkeit orientiert, und er spielt in den Gottesbezug mit hinein.

Man muss nicht gläubig sein, um zu verstehen, dass überall da, wo von einem Gott die Rede ist, immer auch ein Wesen gemeint ist, das über Macht zu richten verfügt; mehr auf jeden Fall, als wir Menschen haben. Aber natürlich können auch wir Menschen richten. Der Film beleuchtet und lebt von diesem Paradox.

Er lebt von einem kriminellen Selbstverständnis, das glaubt, jeden Mord, jedes Kapitalverbrechen begehen zu dürfen, zu denen sich der Täter aus welchem Impuls auch immer jeweils hingerissen fühlt. Eine Gegenreaktion in Form von Rache oder Strafe seitens des Staates oder auch aus dem eigenen kriminellen Milieu heraus wird zumindest nicht als Gericht gefürchtet. Man fürchtet den Tod, den Knast, den Schmerz, den Verlust. Aber nicht als moralisches Gericht. Denn das kriminelle Milieu und letztlich auch die Polizei sind schließlich nicht Gott. Aber nur er kann richten. Vor ihm muss man bestehen, nicht vor den Mitmenschen, der Polizei oder anderen staatlichen Behörden. So wird dieses Gottesverständnis zum Freibrief jeglichen Verbrechens. Und so erheben sich die kriminellen Akteure selbst zum Richter, letztlich zu einer Art Gott. Sie töten, rauben, schlagen und stehlen. Nichts ist ihnen heilig, nirgendwo erscheint ihnen eine Grenze.

 

Gott selbst bleibt im Hintergrund. Wollte er wirklich richten, bräuchte er hier in Wirklichkeit gar nichts zu tun. Denn diese Selbstzuschreibung des richtenden Gottes, wie sie hier im kriminellen Milieu erscheint, richtet sich zum Schluss selbst. In diesem Milieu gibt es keine Milde. Wer zur Kriminalität greift, kommt durch sie um. Und eine Welt, die nur noch aus Richtern besteht, richtet sich zum Schluss selbst.

Diese Besprechung ist am 10.2.18 auf globkult.de erschienen.