Zwei Zeitzeugen: Erinnerungen an und anlässlich Willy Brandts

Besprechung für das neue Extremismusjahrbuch von Jesse 2015

Peter Brandt
Mit anderen Augen
Versuch über den Politiker und Privatmann Willy Brandt
Verlag J.H.W. Dietz Nachf. GmbH
2.Auflage 2014   
ISBN 978-3-9012-0441-9
Leinen gebunden, 279 Seiten

 

Egon Bahr
„Das mußt Du erzählen“
Erinnerungen an Willy Brandt
Propyläen Verlag
6.Auflage 2013
ISBN 978-3-549-07422-0
Leinen gebunden, 239 Seiten

Peter Brandt ist der älteste Sohn von Willy Brandt. In „Mit anderen Augen“ erinnert er sich an seinen Vater. Für den Moment der Lektüre wird die Beziehung des Sohnes zu seinem Vater lebendig und der Leser kommt über die Reflexionen des Sohnes in den Genuss Willy Brandt noch einmal zu erleben. Behutsam geht Peter Brandt hier vor, aber nicht andächtig, nicht verklärend, und bei aller Intellektualität, die Peter Brandt eigen ist – das hat er wohl auch von seinem Vater - liebevoll. Und so wird der Leser Zeuge einer toleranten, offenen, gleichzeitig über die, auch politischen Unterschiede beider hinweg, nahen und sehr persönlichen Beziehung. Willy Brandt war nicht nur Politiker: Bürgermeister, Bundeskanzler, SPD-Vorsitzender, sondern auch Vater. Und bei Peter Brandt kommt auch nicht Versteckesten der Vorwurf, das letztere hätte unter dem ersten gelitten. Dieses Gefühl, um nur so viel zu den einige Jahre älteren, poetischen Erinnerungen seines jüngeren Bruders Lars zu sagen, hat er mit ihm gemeinsam.

Viele Kapitel wären herauszuheben. In Familie und Freunde tauchen Menschen auf, die heute kaum jemand kennt, die Brandt aber wichtig waren, und die um Brandt zu kennen wichtig bleiben, deshalb schon. Unter Brandts bekannten, teils engen Weggefährten hebt Peter Brandt Egon Bahr, Herbert Wehner und Helmut Schmidt heraus. Dabei fällt auf, wie tief die Freundschaft mit Bahr gewesen sein muß – trotz aller Legendierung die Bahr heutzutage betreibt, gleichzeitig aber, dass Willy Brandt seine eigenen politischen Einschätzungen nicht von seiner Freundschaft zu Bahr abhängig gemacht hat. Unabhängigkeit war eines von Willy Brandts hervorstechenden Merkmalen. Wehners und Brandts Beziehung, die freundschaftlich zu nennen, eine Unterstellung ist, zerbrach an Wehners öffentlicher Herabwürdigung des Kanzlers. Doch zurückgetreten hat letzterer nicht, und ist er auch nicht Wehners wegen, auch nicht wegen des MfS-Hintergrunds von Guillaume. Das meint übrigens auch in glaubwürdiger Weise Egon Bahr in seinen Erinnerungen. Enttäuschung und Verantwortung spielen hier wohl eine bedeutendere Rolle. Und die Beziehung Willy Brandts zu Schmidt ? Spannungsreich, und voller Rivalität. Beide hielten sich wohl, so meint Peter Brandt, innerlich für die höchsten Aufgaben prädestiniert. Und beiden gelang es, zum Wohle der SPD aber auch im Sinne der eigenen Erfolgsstrategie vernünftig, ihre Rivalität in einen gemeinsamen Erfolg einzuordnen.

Größte Aufmerksamkeit müssen die beiden Kapitel, die sich mit dem Begriff des demokratischen Sozialismus und der Arbeiterbewegung beschäftigen, bei jedem, den die Zukunft der Sozialdemokratie bewegt, auslösen. Was der Sohn Peter hier über seinen Vater zu sagen hat, geht über den Tag hinaus. Reflexionen über brandts Sozialismusbegriff vermögen Geschichte und Visionen der SPD zu erhellen. Das wird auch deutlich, als er in einem knappen Statement auf die Bedeutung der SPD in der DDR zu sprechen kommt, deren Bedeutung für Brandt darin bestanden hat, gerade noch rechtzeitig einen Kurswechsel weg von der SED, hin zur Deutschen Nation eingeleitet zu haben. In den anschließenden Wahlkampf zur ersten frei gewählten Volkskammer bringt sich Willy voll ein. Und so ist die – bei aller Vorsicht so zu nennenden - Niederlage der ostdeutschen Sozialdemokraten, auch die persönliche Niederlage von Willy Brandt selbst. Doch hier irrt der Sohn Brandt. Dieser, letzte Wahlkampf Willys mag gemessen an den Wahlergebnissen verloren zu nennen sein, richtig war er doch. Und richtig bleibt es für die Sozialdemokratie in Deutschland zu kämpfen. Und zwar wegen jener Themen, die Peter Brandt in seinen Erinnerungen an Willy anklingen läßt.

Im Gegensatz zu Peter Brandt versteht sich Egon als Apologet von Willy Brandt. Und wird dabei zum Apologeten in eigener Sache. Vor diesem Hintergrund ist das Buch wieder spannend. Denn es zeigt die Folgen auf, die durch Selbstüberschätzung entstehen können. Seitenweise ist von Willy Brandt gar nicht die Rede. Er taucht immer wieder nur am Rande auf. Dabei will ich Egon Bahr nicht unterstellen, Willy Brandt für sein eigenes Denkmal instrumentalisieren zu wollen. Doch am Ende kommt genau das dabei heraus.

Das ist noch interessant, solange es über an Erinnerungen an Fakten und tatsächlich Geschehenes also unsere Geschichte geht. Es wird fad, wenn Egon sein Zukunftsbild einer Sozialdemokratie entwirft, die immer noch in den Klassenkämpfen von 1918 und der Weimarer Republik verhaftet bleibt. Und so predigt er als Überwindung der Spaltung der Arbeiterklasse permanent Versöhnung mit den Erben der SED. Hier stellt Bahr sich als Ideologe heraus. Interessant, denn im Gegensatz zu Willy Brandt kommt Egon Bahr gar nicht aus der Arbeiterbewegung. Aber ideologisch bleibt er in ihren Fallen, aus denen Willy sich befreit hat. Niemals hätte er andernfalls seine große Bedeutung für Deutschland entwickeln können. Die Freundschaft zwischen Willy Brandt und Egon Bahr hat unter den ideologischen Fehlgriffen Bahrs nicht gelitten. Das spricht wohl auch vor allem für Brandt, aber letztlich auch für den Wert einer Freundschaft an sich, die mehr sein kann ein politisches Zweckbündnis.