Kurzbesprechung Jahrbuch Extremismus & Demokratie 2015


Vogel, Hans-Jochen / Eppler, Erhard / Thierse, Wolfgang, Was zusammengehört, Die SPD und die deutsche Einheit 1989/90, Verlag Herder Freiburg 2014,  288 S.

Peter Gohle, Von der SDP-Gründung zur gesamtdeutschen SPD, Die Sozialdemokratie in der DDR und die Deutsche Einheit 1989/90; Dietz-Verlag 2014 Bonn, 481 S.

 

Beide Bücher behandeln die deutsche Sozialdemokratie zur Zeit der friedlichen Revolution 1989/90 in der DDR und der Herbeiführung der Deutschen Einheit. Doch während Vogel, Thierse und Eppler als damals handelnde sozialdemokratische Spitzenpolitiker vor allem die Bedeutung der SPD für die Deutsche Einheit selbst herausstellen, also rückblickende Reflexionen als damalige Akteure und heutige Zeitzeugen liefern, denen darüber hinaus an einer Verteidigung ihrer Verdienste gelegen ist, bemüht sich Peter Gohle als Historiker vor allem um eine dokumentengestütze Geschichte der damaligen SDP; der späteren Ost-SPD.


Lesenswert ist der Beitrag von Hans-Jochen Vogel, der hier zusammenfassend darstellt, welche Leistungen die SPD insgesamt für die Gestaltung der Deutschen Einheit beigesteuert hat. Und das vor dem Hintergrund etlicher Querschüsse aus den eigenen Reihen und einem Kanzlerkandidaten Lafontaine, dessen Ego, postnationalem Selbstverständnis und Kampf um die Kanzlerschaft, die SPD in schweres Fahrwasser brachte, und die SPD-Anhängerschaft vor den Kopf stieß. Unabhängig davon, dass die SPD die Einheit zu nutzen versuchte, um Deutschland insgesamt sozialer zu gestalten, ihre Demokratie weiterzuentwickeln, und ein Zusammenwachsen beider Teile Deutschlands auf gleicher Augenhöhe zum Ziel ihrer Politik machte, war sie sich in vielen durchaus auch zentralen Punkten doch mit Kohl einig. Das betrifft sowohl den 10 Punkte-Plan vom November 1989, als auch die Währungs- und Wirtschaftsunion. Besondere Verdienste erwarb sie sich um die Schaffung der Sozial- und Umweltunion. Vogels Beitrag dient vor allem einer Rehabilitierung der sozialdemokratischen Politik in der alten Bundesrepublik. Aber es erlaubt auch seltene Einsichten in die Gefühlslage des eher nüchternen Vogel, der mit einer gewaltigen Kraftanstrengung seine Partei in ihrer damaligen schwierigen Lage zusammengehalten hat.


Ohne die sozialdemokratischen Neugründung in der DDR, der SDP, wäre das wohl nicht möglich gewesen. Über deren Zustandekommen gab es bisher keine nennenswerte Monographie. Peter Gohle versucht diese Lücke  zu füllen. Dafür hat er bislang einmalige umfangreiche Quellenstudien betrieben. Leider verzichtet er auf jede Form von Gesprächen mit den damaligen Akteuren, die ja fast alle noch leben, und lässt sich statt dessen über die Nachteile der oral history aus. Doch schwerer wiegt, dass er in seiner insgesamt sehr kritischen Würdigung der Ost-SPD die Motivlage und die Analyse der politischen Ausgangslage, die zur Gründung der SDP führten, gänzlich unter den Tisch fallen lässt. Das kann nicht daran liegen, dass es darüber etwa keine Dokumente gäbe.


Es wäre schon wichtig gewesen, zu berücksichtigen, dass die Gründer nicht nur aus dem oppositionellen Lager der DDR kamen und natürlich einen stark protestantischen Hintergrund hatten, sondern dass es ihnen um die Beseitigung der SED-Diktatur, die Ermöglichung der Selbstbestimmung der Ostdeutschen und das Nutzen der Chance des Rückzugs Gorbatschows von der Breschnew-Doktrin gegangen ist. Es ist nicht ihr Fehler, dass es in der SED keine entsprechenden Reformansätze gab, und dass die West-SPD allzu sehr und zu lange an diese Reformfähigkeit geglaubt hat. An ihren ursprünglichen Zielen gemessen hat die Ost-SPD trotz verlorener Volkskammerwahl und ihrer mangelhaften Verankerung im Arbeitermilieu, was angesichts der 40-jährigen Repressionspolitik der SED wohl auch eher eine Illusion war, viel erreicht. Die Gründung der Ost-SPD war keine protestantische Anmaßung sondern wohl eher ein Beitrag zu ihrer Modernisierung in Zeiten einer sich stark wandelnden Gesellschaft, dem Verschwinden des alten Arbeitermilieus, und des demokratischen Neubeginns einer posttotalitären Epoche. 


Nur wer in der Lage ist, darüber hinwegzusehen, wird weite Passagen des Buches als lesenswert empfinden, besonders die Analysen des Volkskammerwahlergebnisses, die Schilderung des Zustandekommens und der Konflikte der Großen Koalition vor dem Hintergrund des Versuchs einen gesamtdeutschen Ansatzes sozialdemokratischer Politik im Wahljahr 1990.


15.4.2015