Vergleiche erhellen

 

Franz Müntefering (Hrsg.)

 

Der Aufbau Ost im Europäischen Vergleich – Eine Bilanz nach 25 Jahren

 

Mitteldeutscher Verlag,  Halle, 2016, Broschüre, 223 S. 

 

Andreas H. Apelt, Hanns Schneider (Hrsg.)

 

Alte Länder – Neue Länder Gemeinsame Perspektiven und Herausforderungen

 

Mitteldeutscher Verlag, Halle (Saale), 2016, 230 S.

Dass Vergleiche durchaus etwas erhellen können, belegen die beiden Broschüren, die sich anlässlich des 25. Jahrestages des Epochenwechsel von 1989/90 mit dem Entwicklungsstand der ehemals kommunistisch regierten Länder in Ost- und Mitteleuropa inclusive der ehemaligen DDR beschäftigen. Beiden Bänden gemeinsam ist das hierfür gewählte Verfahren, die Protokollierung von einer Reihe von Podiumsdiskussionen, die hierzu 2014 und 15 von der Deutschen Gesellschaft e.V. durchgeführt wurden. Dabei widmet sich Müntefering dem europäischen Vergleich, während Apelt und Schneider die deutsche Binnensicht beleuchten, sprich den Stand des Aufbaus im Osten Deutschlands an den westdeutschen Standards messen. 

 

Jede der absolut klassisch gestalteten Podiumsdiskussion; Einleitungsvortrag und moderiertes Expertengespräch, widmet sich dabei klar umrissenen Themen. Bei Müntefering sind das Systemtransformation, Vergangenheitsaufarbeitung, Aufbau der Zivilgesellschaft und wirtschaftlicher Wiederaufbau. Apelt und Schneider  betrachten zusätzlich den Demographischen Wandel, die Jugend in Ost und West, die Unterschiede in der Arbeitswelt, die ostdeutschen Medien, und Probleme des Länderfinanzausgleichs. 

 

Die Lektüre beider Bände ist etwas trocken und setzt ein spezifisches Interesse voraus. Nicht jeder der Vortragenden trifft sein Thema, und manch eine Debatte hätte so auch vor 15 Jahren geführt werden können. So ist es fast beängstigend, dass die Podiumsdiskussion zum Thema des wirtschaftlichen Wiederaufbau Ostdeutschlands noch immer an einer viel zu starken Staatsorientierung krankt. Es scheint, dass es den ostdeutschen Ländern an politischer Phantasie für das Beschreiten neuer Wege mangelt. Dass wirtschaftliches Niveau etwas mit Lebensqualität zu tun hat, und zwar sowohl der Beschäftigten wie vor allem der Unternehmer scheint ihnen nicht bewusst zu sein. Erhellend übrigens auch der Vorwurf an die Adresse Ostdeutschlands von einem Hamburger Spitzenbeamten, der die Frage stellt, warum denn einige der Ostdeutschen Länder die gewaltigen Unterstützungsleistungen für den Wiederaufbau ihrer Wirtschaft lieber in ausgeglichene Haushalte gesteckt haben als damit Investitionen anzukurbeln. Die zu konstatierende Stagnation des wirtschaftlichen Aufholprozesses gibt ihm Recht. 

 

Bei den von Franz Müntefering vorgestellten Podiumsdiskussionen fällt zweierlei auf:

 

Die gewählte Strategie zur Einführung der Marktwirtschaft, also die ökonomische Umgestaltung der ursprünglichen Staats- und Planwirtschaft sei im Wesentlichen richtig gewesen, wenn die Staaten und Gesellschaften in der Lage waren, die notwendigen gesetzlichen Rahmenbedingungen zu schaffen und zu stabilisieren, auch gegen den Protest der Bevölkerung. Das scheint umso leichter gewesen zu sein, je stärker die Westanbindung durch NATO und EU aus nachvollziehbaren Gründen gelockt hat, die also für die Stabilisierung der Demokratie wichtige Rolle gespielt hat und spielt.

 

Zum anderen aber fehlt es an einer gemeinsamen europäischen Erzählung, die unsere ost- und mitteleuropäischen Nachbarn stärker einbezieht. Dafür reicht die Gründungsgeschichte der EU, die deutsch-französische Aussöhnung nicht aus. In der Tat hat es Kriege in allen Teilen Europas, nicht nur zwischen den „Erbfeinden“ Deutschland und Frankreich gegeben, zu deren Überwindung der Interessensausgleich innerhalb der EU unverzichtbar ist. Und damit kommt auch die Langfristperspektive der EU in den Blick, die Aufnahme eines irgendwann einmal demokratisierten und sich westlichen Werten anschließenden Russlands, das erst der Schlusspunkt der EU-Osterweiterung sein wird. 

 

Diese Besprechung ist im Auftrag der Herausgeber des neuen Jahrbuch für Extremismus 2017 erstellt worden.