Versuchte Ehrenrettung
Langfassung der Rezension zu:
Vogel, Hans-Jochen / Eppler, Erhard / Thierse, Wolfgang
Was zusammengehört
Die SPD und die deutsche Einheit 1989/90
Verlag Herder
Format: 13,5 x 21,5 cm, ca. 288 Seiten, Gebunden
ISBN 978-3-451-33381-1
€[D] 19,99/
sFr 28.90
1. Auflage: September 2014
Wie groß müssen wohl die Sorgen sein, die sich Hans-Jochen Vogel um die historische Rolle der SPD, deren Vorsitzender er ja von 1987 bis 1993 selber war, bei der Deutschen Einheit macht, dass er einem Buch geschrieben hat mit dem selbsterklärten Ziel
….dazu beitragen, dass meiner Partei …………….. künftig Gerechtigkeit widerfährt.[1]
In der Tat hat sich in der Öffentlichkeit ein kritisches Bild von der SPD verfestigt, wonach sie bei der Deutschen Einheit versagt hätte. Das ist sicher auch der CDU-Propaganda zu verdanken, die Vogel zu Recht beklagt:
Kohl ließ sich leider auch[2] zu zugespitzter parteipolitischer Polemik gegen uns hinreißen. So warf er uns vor, wir seien mit den alten Kräften der DDR »verbrüdert« gewesen, …….[3]
Kohl konnte, wenn er es für richtig hielt, gnadenlos zuschlagen. Leider traf er die SPD damit an einer wunden Stelle. Viel zu spät erkannte diese, dass die Zeichen der Zeit sich geändert hatten, dass der Kalte Krieg zu Ende ging, und mit ihm eine Logik, die die SPD glauben ließ, Frieden und Reformen in der DDR nur durch eine Sicherheitspartnerschaft mit der SED erreichen zu können. Die Zerfallserscheinungen des sozialistischen Staatenverbundes in Ost-Mittel-Europa und in der DDR wurden schon sichtbar, als sich am 11. September 89 Hans –Jochen Vogel noch immer mit den Ansichten des damals führenden Deutschlandpolitikers in der SPD auseinandersetzen mußte:
Nach einer lebhaften Diskussion widersprach ich als Parteivorsitzender einer Äußerung von Egon Bahr, dass die deutsche Frage nicht auf der Tagesordnung stehe.[4]
Und das war nicht das einzige Problem des Parteivorsitzenden:
Ja – ich bestreite nicht: Die SPD hat in den 16 Monaten, von denen hier die Rede ist, in der Öffentlichkeit immer wieder ein widersprüchliches, ja mitunter ein zerrissenes Bild geboten.[5]
An Vogel hat das nicht gelegen. Wenn man ihm persönlich einen Vorwurf machen wollte, dann höchstens den, dass er seine Partei nicht auf seinen Kurs gezwungen hat, wie wir das später bei Lafontaine oder Gerhard Schröder erlebt haben. Dafür ist Vogel zu sehr Demokrat. Den Methoden von Schröder und Lafontaine setzte er, nachvollziehbar erfolgreich, Debatten und Entscheidungsprozesse in den Leitungsgremien der Partei entgegen. Dort hat er sich in allen wichtigen Fragen immer durchgesetzt. Und da Vogel bekanntermaßen neben andern auch über die Fähigkeiten eines Buchhalters verfügt, liest sich sein Beitrag als ein Kompendium der Geschichte eines anerkennenswerten Beitrages der West-SPD zum Zustandekommen der Deutschen Einheit. So hat die SPD unter seinem Vorsitz beiden Staatsverträgen zugestimmt. Sie hat die Deutsche Einheit sozialer und umweltfreundlicher gemacht. Sie hat Frauenrechte durchgesetzt, und das Grundgesetz verbessern können. Ferner weißt Vogel nach, dass auch etliche Ideen, wie z.B. die einer Wirtschafts- und Währungsunion in den Reihen der SPD entstanden sind. Vor diesem Hintergrund machte es eigentlich keinen Sinn, dass Lafontaine seine Ablehnung der Deutschen Einheit mit den Kosten begründete. Vogel löste dieses Problem auf die bekannte Weise über die Gremien, und ließ gleichzeitig in der Bundestagsdebatte auch seine Kritiker zu Wort kommen.
Später begründete Peter Glotz die Ablehnung des Staatsvertrages im Namen von 25 SPD-Abgeordneten. Sein Hauptargument war in Übereinstimmung mit Oskar Lafontaine, dass der Vertrag »die wirtschaftliche Krise in der DDR nicht nur für ein paar Monate, sondern für einige Jahre verstärken wird«. Davon, was statt des Vertrages befürwortet werde, war allerdings nicht die Rede.[6]
Für Vogel ist das eine harsche Kritik. Keine Alternativen benennen zu können, ist nichts anderes als eingestandene Politikunfähigkeit. Unausgesprochen unterstellt Vogel das auch Lafontaine. Wie muß es innerlich in dem redlichen Vogel aussehen, wenn er heute noch zur Kanzlerkandidatur von Lafontaine bemerkt:
Eine gute Entscheidung war es jedenfalls nicht.[7]
An anderer Stelle läßt Vogel eine kleine, aber sehr erhellende Bemerkung fallen:
Deshalb war ich auch gegen den Beitritt Berghofers.[8]
Dazu muß man wissen, dass Berghofer damals der Stellvertreter Gysis in der SED – Nachfolgepartei SED/PDS war, und dass er sich im Januar 1990 unterstützt von Egon Bahr versucht hat mit einer sechsstelligen Zahl an SED-Mitgliedern die Ost-SPD zu übernehmen, was für die ostdeutschen Sozialdemokraten das Ende bedeutet hätte. Bis heute hält sich hartnäckig die Legende, dass die Verweigerung der Ost-SPD gegenüber den SED-Mitgliedern der Grund ihrer Mitgliederschwäche sei. Vogel zumindest sieht das etwas klarer.
Für Historiker ist sein Beitrag in den schwierigen Zeiten der Deutschen Einheit, seine Partei die SPD geschlossen und auf Kurs zu halten, unbestritten. Dafür hätte es seines Buches nicht bedurft. Aber Vogel wäre nicht Vogel, wenn er als Parteisoldat nicht auch jene in Schutz nimmt, die an den Irrtümern der SPD beteiligt waren. Einer davon ist Mitautor Erhard Eppler, der als Vorsitzender der SPD-Grundwertekommission für das bis heute umstrittene SED/SPD-Papier verantwortlich zeichnet.
Epplers Stärke ist sein Gespür für politische Entwicklungen. Er hat feine Sensoren entwickelt, die ihm die Veränderungen im Denken und Empfinden der Menschen mitteilen. Sie haben ihm vermittelt, dass sich in der DDR die Menschen auf den Weg machten, der Macht der SED ein Ende zu bereiten. Und so konnte Eppler zu jenem führenden SPD-Politiker der 80-ger Jahre werden, der als erster die Reformunfähigkeit der SED erkannt hat, und den Untergang der DDR vorhersagte, so geschehen am 17.Juni im Bonner Bundestag, ein unbestreitbares Verdienst. Doch auch Eppler wäre nicht Eppler, wenn er nicht seinem politischen Denken treu bliebe, und bis heute zu seinen Erkenntnisprozessen steht, die ihn in das Abenteuer mit den SED-Intellektuellen getrieben haben. Das macht ihn authentisch aber auch angreifbar. Es wundert einen schon, wenn Eppler heute, 25 Jahre nach dem Untergang der DDR immer noch am Topos vom
Streit der Ideologien und die gemeinsame Sicherheit[9]
festhält, was auch Titel der gemeinsamen Schrift war. Eppler müßte doch bewußt sein, dass die SPD spätestens seit ihrem Godesberger Programm 1959 eben nicht mehr als weltanschauliche Partei definiert, sondern als Volkspartei. Ihre Politik beruht auf Werten aber nicht auf einer Ideologie. Welche Ideologie meint Eppler also? Ferner bemerkt er :
Mein Gesamteindruck war schon damals, dass die marxistisch-leninistische Ideologie, wonach die Völker des Ostblocks sozialistische Brudervölker waren, kaum noch Bindungskraft hatte.
Und zur SED bemerkt er:
Schließlich beruhte ihre Macht auf dem Wahrheitsmonopol.
Auch das sind unhaltbare Annahmen Epplers, die viel über ihn verraten, aber wenig über die gesellschaftliche Wirklichkeit in der damaligen DDR. Es hat hier zwar zu allen Lebzeiten der verblichenen DDR Kommunisten gegeben, die gläubig von ihrer Weltanschauung überzeugt waren, doch die Masse der Bevölkerung war es nicht. Sonst hätte es keinen Aufstand 1953 gegeben, und nicht die Millionen Flüchtlinge. Die Macht der SED beruhte auf der Anwesenheit der 3 bis 400000 sowjetischen Soldaten im Land. Der Glaube an die Reformierbarkeit der SED durch die SPD der alten Bundesrepublik war ein Fehler, der bis heute nicht eingesehen wird und sich daher bis in unsere Tage auswirken konnte. Das Festhalten an diesem Ansatz hat den SED-Nachfolgern sehr genützt, wie man in Sachsen oder Thüringen studieren kann, wo die SPD in die Bedeutungslosigkeit abzudriften droht.
Epplers Beitrag beleuchtet daher zwielichtig Verdienst und Schwäche der SPD im Vorfeld der Deutschen Einheit 1989/90.
Bleibt der letzte im Bunde der Autoren, der ostdeutsche Wolfgang Thierse, der bezogen auf sein Leben in der DDR von sich schreibt:
Mein Lebensmotto wurde ein Rilke-Vers: »Wer spricht von Siegen – Überstehen ist alles.«
Diesen Rilke-Satz mögen sich all jene auf der Zunge zergehen lassen, die immer noch wissen wollen, was es denn bedeutet, in einer Diktatur leben zu müssen.
Thierse erzählt von seinem ganz persönlichem Lebensgefühl in der DDR, als ob es das der ganzen DDR-Bevölkerung gewesen wäre. Das führt zu Unschärfen und provoziert Widerspruch, bspw. wenn er die Leipziger Demos beleuchtet:
Die Helden von Leipzig, die Montagsdemonstranten, waren Helden aus Verzweiflung, aus Hoffnungslosigkeit. An dieser Hoffnungslosigkeit hat die SED vier Jahrzehnte gearbeitet.[10]
Ist in Thierse hier nur die Eitelkeit des Schriftsteller durchgebrochen, der sich an seinen eigenen Wort berauscht, und zu Schlußfolgerungen verleiten läßt, die der beginnenden friedlichen Revolution falsche Motive unterschiebt? Es stimmt zwar, dass die SED vier Jahre an der Hoffnungslosigkeit der DDR-Bürger gearbeitet hat. Und doch hat sie ihren Untergang damit nicht verhindern können. Vor allem aber waren die Montagsdemonstranten keine Helden aus Verzweiflung, sondern des Mutes und der Überzeugung. Sie hatten die Schwäche der SED erkannt, und sahen die Chance politisch wirksam zu werden. Das ist das Gegenteil von Verzweiflung. Widerspruch erzeugt allerdings auch die Einschätzung von scheinbarer sozialer Sicherheit in der DDR:
Ich will nichts beschönigen, aber auch nichts dramatisieren. Es gab in der DDR keinen Hunger, sondern mehr als genug zu essen und zu trinken; es gab ein hohes Maß an sozialer Sicherheit und keine materielle Zukunftsangst; es gab im allgegenwärtigen Mangel die grimmige Idylle der Notgemeinschaft: Solidarität, Hilfsbereitschaft und auch die wechselseitige Verpflichtung informeller Beziehungen zur Beschaffung von Wasserhähnen, Handwerkerleistungen, von attraktiven Arbeitsplätzen und von Lehrstellen für die Kinder.[11]
Das ist Ostalgie. Was ist denn die anscheinende Sicherheit der DDR wert gewesen, wenn sie mit Stalinismus, Mauer, politischem Strafrecht, Vertreibung und vor allem niedrigen Lebensstandard und zum Schluß Staatsbankrott erkauft war? Von hier ist es nicht weit weg zur Beschönigung des Nationalismus mit dem Hinweis auf die Vollbeschäftigung im Dritten Reich, und Hitlers Autobahnen.
Thierse, der letzte Vorsitzende der Ost-SPD und danach über ein Jahrzehnt stellvertretender Bundesvorsitzender seiner Partei hat in früheren Zeiten immer wieder mal die Gründung der ostdeutschen sozialdemokratischen Partei als „zu früh“ kritisiert. Diesen Vorwurf wiederholt er seinem Beitrag nicht mehr. Leider erklärt er ihn auch nicht, was interessant gewesen wäre. Die Gründer seiner Partei kamen aus dem Herzen der Opposition in der DDR, aus dem Kampf gegen SED-Unrecht und Diktatur, und Thierse lobt sie dafür. Andererseits scheint er der Meinung zu sein, dass eigenständiges politisches Handeln in der DDR unmöglich gewesen sei:
Willy Brandt stand für jene im Westen, die Politik machten für uns eingemauerte Ostdeutsche, die für sich selbst keine Politik machen konnten.[12]
Thierse übernimmt hier die Haltung der alten Bundesrepublik, die genau diese Auffassung ins Grundgesetz geschrieben hatte. Dies führte die alte Bundesrepublik in eine Falle, welche dazu führte, den Ostdeutschen ihre politische Handlungsfähigkeit abzusprechen, und die nach dem Vollzug der Deutschen Einheit, die Verdienste darum mehr der westdeutschen Politik zuordnete, als dem ostdeutschen Aufbäumen.
Diesem Aufbäumen, erst durch die wenigen Oppositionellen in der DDR, dann übernommen von den Montagsdemonstranten in Leipzig und andernorts, haben wir die friedliche Revolution zu verdanken. Natürlich konnte man in der DDR Politik machen, es war nur sehr schwierig, es gab keine Vorbilder, und man mußte seinen Grips anstrengen. Doch DDR-Bürgern Politikfähigkeit abzusprechen, heißt nachträglich die ehemaligen DDR-Oppositionellen trotz ihres offenkundigen Erfolgs Lügen zu strafen, und befördert die Politikmüdigkeit heute.
Mehr Gerechtigkeit für die SPD wollten die Autoren für die SPD mit ihrem Buch erreichen. Es ist ein Spiegel ihrer Brüche geworden.