Die Angst vorm Neuanfang
(gesendet Deutschlandradio Juni 2011)
Worum geht es beim Streit um die Enquete-Kommission im Brandenburger Landtag? Vordergründig um ein Gutachten und die nachträgliche Bewertung der Stasi-Kontakte von Manfred Stolpe und einigen
anderen IM’s und eines ehemaligen SED-Funktionärs. Tatsächlich aber versuchen einige wichtige Brandenburger SPD-Politiker die Risse, die ihr Denkmal Stolpe bereits bekommen hat, wieder zu kitten,
also schlicht ungeschehen zu machen.
Diese Enquete-Kommission lag nicht im Interesse der Brandenburger Regierung. Aber sie konnte sie nicht verhindern, als plötzlich zum Beginn der Rot-roten Koalition so viele Stasi-Leute in der
Linkspartei auftauchten. Vergleichbare Erscheinungen gab es zu diesem Zeitpunkt in den anderen ostdeutschen Ländern nicht mehr. Und so stand plötzlich der naheliegende Verdacht im Raum, dass die
bis dahin konsensuale Politik des Brandenburger Weges die eigentlich notwendige Aufarbeitung der SED-Vergangenheit eher behindert hatte. Und weil die unterlassene Aufarbeitung zu einer Belastung
für die Zukunft des Landes zu werden drohte, fiel die Idee einer Enquete-Kommission, die sich mit den Folgen der Nachwendepolitik in Brandenburg beschäftigen sollte, auf so fruchtbaren Boden. Es
ist kein Zufall, dass diese Idee in einer für Brandenburg neuen politischen Situation auftauchte. Das erste Mal seit 1990 gab es eine echte Opposition im Landtag, einerseits weil mit den Grünen
eine neue Partei in den Landtag eingezogen war, andererseits, weil Platzeck mit seiner völlig überraschend eingegangenen rot-roten Koalition die CDU so vor den Kopf gestoßen hatte, dass diese auf
Vergeltung sann.
Gewiss, Platzeck hatte sich den Beginn seiner neuen Koalition anders vorgestellt. Er war wohl tatsächlich über diese vielen Stasi-Fälle bei seinem Partner entsetzt. Doch das spricht nicht für
ihn. Ahnungslosigkeit ist noch nie ein politisches Qualitätsmerkmal gewesen.
Die SPD musste sich auf diese Enquete einlassen, weil die anderen Parteien sie wollten. Doch wenn ich Entwicklungen nicht verhindern kann, so lautet eine häufig zitierte Machiavellistische
Weisheit, muss ich mich an ihre Spitze stellen. Das tat die SPD hier, und hoffte gleichzeitig durch ihr parlamentarisches Recht, den Vorsitz dieser Kommission zu stellen, dieser Kommission die
Spitze zu nehmen. Das schien anfangs zu funktionieren. Doch inzwischen hat die Vergangenheit die Brandenburger Regierungspartei auf breiter Front eingeholt. Nun wissen wir alle, dass es im
Vergleich zu den anderen ostdeutschen Ländern tatsächlich zu wenig Überprüfungen im öffentlichen Dienst, in den Schulen, bei den Gerichten, und in der Polizei gab.
Und als jetzt auch noch ein Gutachten dem Brandenburger Landtag bescheinigte, dass er sich bei der Stasi-Überprüfung seiner eigenen Mitglieder, nicht mal an die eigenen Kriterien gehalten hat,
dass eine zweistellige Zahl an IM’s nicht zum Mandatsverzicht aufgefordert wurden, und dass der damalige Ministerpräsident Manfred Stolpe, nicht hätte Mitglied des Landtags sein dürfen, da hat
der Fraktionsvorsitzende der Brandenburger SPD, Ralf Holzschuher schlicht die Nerven verloren. Das könnte man übergehen, wenn nicht zu vermuten wäre, dass die SPD nun versucht, ihre alte Politik
der Tabuisierung unliebsamer Themen wieder aufzunehmen. Das aber ist so verhängnisvoll wie traurig.
Denn die jetzt bestehende gute Gelegenheit, die Schatten der Vergangenheit abzuwerfen, kommt so schnell nicht wieder. Man darf das, sagen, dass man sich geirrt hat: in der Bewertung der
Stasi-Kontakte von Manfred Stolpe, und dass es ein Fehler war, die Aufarbeitung im öffentlichen Dienst zu stoppen. Ein solches Zugeständnis bedeutet ja nicht, die gesamte, im Wesentlichen
ordentliche Aufbauarbeit der neunziger Jahre über Bord zu werfen. Es ist aber auch richtig, dass die SPD um Stolpe zu schützen, in Sachen Aufarbeitung einen Sonderweg gegangen ist, der zum
Scheitern verurteilt war. Von diesem Sonderweg haben anfangs nicht nur die SPD profitiert, sondern auch CDU und Linkspartei. Es ist deshalb wohlfeil, wenn heute die CDU so tut, als hätte sie mit
dieser Vergangenheit nichts zu tun. Denn einen Fehler einzuräumen ist immer eine quälende Angelegenheit. Da nützt es nichts mit dem Finger auf andere zu zeigen, deren Lebenswandel auch nicht
tadellos ist. Doch es sieht so aus, als sei in der Brandenburger SPD Manfred Stolpe immer noch so mächtig, dass er diesen Schlussstrich verhindern kann. Woran mag das liegen? Das hat zum
einen mit dem ehemaligen Vorbild Stolpe zu tun, dem viele in der SPD versucht haben nachzueifern. Es hat mit dem von Stolpe praktizierten Politikmodell zu tun, das hier viele Nachahmer gefunden
hat, obwohl es vordemokratisch ist. Und es hat mit der Angst vorm Erwachsensein zu tun. Denn Politik, erst recht demokratische, bedeutet immer auch, sich einzulassen auf die eigene Unsicherheit,
bedeutet Mut zu eigenen Entscheidungen, weil es andere Autoritäten nicht mehr gibt. Es ist die Angst vor einem Neuanfang, die die SPD so an ihrer glorreichen Stolpe Vergangenheit hängen lässt.
Und wenn sie die nicht abschüttelt, wird sie zu einer leichten Beute ihrer Konkurrenten werden.