Eine Niederlage für die Aufarbeitung
Zur Überführung der Stasi-Hinterlassenschaft ins Bundesarchiv am 17.Juni
Die Überführung der Stasi-Akten ins Bundesarchiv war zum Schluss unabänderlich, aber sie war nicht zwangsläufig, sie lag nicht in der Natur der Sache, weder der Deutschen Einheit noch des Parlamentarischen Gesetzgebers von Volkskammer oder Bundestag. Sie war ein Ergebnis unerledigter Aufgaben des BStU selbst, und zwar aller drei, Joachim Gauck, Marianne Birthler und zuletzt Roland Jahn.
Zum Schluss stritt fast niemand mehr für die Selbständigkeit der Behörde. Ein großer Teil der Zunft der Aufarbeiter selbst empfand die Überführung dieser Akten in das Bundesarchiv als die einzige Lösung für die Bedürfnisse professioneller Archivarbeit und der historischen Quellenforschung in den ehemaligen Stasi-Akten.
Und das mag auch alles so stimmen.
Trotzdem ist die Überführung der Akten ins Bundesarchiv eine Niederlage für die Aufarbeitung der friedlichen Revolution 1989/90. Denn mit ihr verschwindet das Symbol eines ihrer größten Erfolge, nämlich der siegreiche Kampf gegen die verhasste Staatssicherheit, diesen Festungen der SED-Diktatur, von denen einst Angst und Schrecken in der DDR ausging, und die deshalb zu Recht zum Ziel der Demonstranten wurden. In einer konzertierten Aktion haben Runder Tisch und die Erstürmung ihrer Archive den Schlapphüten in der DDR das Handwerk gelegt, und damit das letzte Kapitel der Entmachtung der SED abgeschlossen.
Einmalig war dieser Vorgang in der Welt. Noch nie hatte es eine Revolution geschafft, die Archive der eigenen Staatspolizei zu öffnen und sie den Opfern von Bespitzelung und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.
Was sie da fanden, das hat nicht nur die Augen geöffnet über die eigenen Biographien, und über manch einen Spitzel im Freundes- oder auch Familienkreis, es hat auch zum inneren Frieden in der ehemaligen DDR beigetragen. Es ist die Dekonspiration, die der Konspiration den Schrecken nimmt. Das Öffentlichmachen eines Skandals mag zu Anfang Schrecken auslösen, auf längere Sicht befriedet sie ihn.
Und die Hinterlassenschaft der Stasi, trotz der von ihr 1989 angeworfenen Reißwölfe und ihrer Verbrennungsaktionen ist immer noch so gewaltig, dass die ehemaligen Archive, die dem BStU noch bis zum kommenden 17.Juni anvertraut sind, trotz Stasi-Blick und Täterperspektive immer noch das größte DDR-Museum schlechthin darstellen. Ein besseres Mittel gegen Nostalgie gibt es nicht.
Das alles wandert jetzt ins Bundesarchiv. Das Stasi-Archiv verliert seine Selbständigkeit. Es kriegt eine neue Verwaltung – und ob man das Bundesarchiv dazu beglückwünschen kann, das will ich mal dahingestellt sein lassen. Denn der neue Aktenbestand, den es nun zu pflegen gilt, ist nicht ganz doppelt so gross, wie der alte, den sie schon haben, inclusive der Akten zum Nationalsozialismus.
Und viele der Probleme sind unerledigt, die muss das Bundesarchiv jetzt lösen.
Und die Folgen der Fehler, die den BStU in den letzten 30 Jahren unterlaufen sind, werden jetzt dem Bundesarchiv übergeholfen. Die werden weiter aufzuarbeiten sein.
Warum hat der BStU an den alten Stasi-Offizieren festgehalten? Warum durften sie an den Gutachten für die parlamentarischen Untersuchungsausschüsse gegen Gysi und Stolpe mitschreiben. Warum ist es nicht gelungen, ein modernes Archiv-Findungsmittel aufzubauen? Warum blieben die Archiv-Erhaltungsmassnahmen auf der Strecke? Warum kam die Entschlüsselung der Aktenschnipsel nie wirklich in Gang? Warum fühlte sich die Historiker-Zunft so bevormundet? Und wie ist die Geschichte mit den Lastwagen, die zu Zeiten von Gauck und Geiger in den frühen 90er Jahren bei Nacht und Nebel Aktenbestände aus der Behörde rausgeholt haben wirklich gelaufen? Was hat Joachim Gauck 1990 in Bonn versprochen? Warum hat jemand wie Jürgen Fuchs 1997 die BStU im Zorn und Streit verlassen?
Die Geschichte der BStU ist auf den ersten Blick sicher eine Erfolgsgeschichte. Die bleibt, darauf können wir stolz sein, die muss verteidigt werden. Auf den zweiten Blick aber tauchen Fragen auf, die dringend einer Klärung, einer Aufarbeitung bedürfen. Das muß jetzt das Bundesarchiv leisten.
Herzlichen Glückwunsch!
Text erscheint anläßlich der Überführung der BStU ins Bundesarchiv bei H-und-G.info bzw. Bürgerkomitee1501berlin.de