Ostdeutschland braucht neuen Schub

23.1.2015

Wer sich als Ostdeutscher über die Karte mit den Wachstumspolen und Strukturschwächen Deutschlands beugt, prallt entsetzt zurück. Wie ein Geist aus der Vergangenheit blakt einen hier die untergegangene DDR plötzlich wieder an. Bis auf ein paar helle Flecken – einzig nennenswert eigentlich nur Berlin, ein bisschen Leipzig, Dresden, Jena. Das war’s mit den Wachstumspolen Ostdeutschlands. Es ist abgehängt. 25 Jahre nach der Deutschen Einheit herrscht hier wirtschaftliche Wüste. Nichts ist bspw. von dem einstigen industriellen Wachstumsmotor Sachsen übrig geblieben. In  Sachsen/Anhalt –Wiege deutscher Staatlichkeit – herrscht wirtschaftliche Tristesse.  Geld wird woanders verdient. Hier ist man schon über einen Arbeitsplatz froh. Wieviel Geld der bringt, nicht so wichtig. Ostdeutschland ist zu einem Wegzugsgebiet geworden. Leben wollen hier nur die Übriggebliebenen, manchmal ein paar verrückte Raumpioniere, denen die Landschaft, die Umwelt gefällt, die von menschenleeren Gebieten wie der Uckermark fasziniert sind.

 

Die Politiker sind mit Rückbau beschäftigt. Schulen werden geschlossen, Altersheime gebaut, Krankenhäuser werden zurückgefahren. Ärztemangel herrscht. Frauenmangel sowieso, denn die machen sich vom Acker, angesichts der hier grassierenden Chancenlosigkeit ihres Geschlechtes.

 

Die Kanzlerin ist eine Ostdeutsche. Doch sie lebt ganz gut mit dieser Misere, wie die ostdeutschen Landesregierungen auch. Nur nicht dran rühren, und die ostdeutsche Seele wecken. Das tut die im Übrigen ganz gut alleine. Pegida, Legida und wie sie alle heißen mögen lassen grüßen. Dort kommt die ganze Suppe zusammen. Enttäuschung, Frustration gepaart mit Unwissen, Unwillen, und das verbunden mit vordemokratischen Einstellungen. Wer will schon gerne in dieses Land? Und wer will schon gerne hier bleiben von den Jugendlichen, die hier aufwachsen, und die die Welt kennenlernen wollen. Nicht mal die Flüchtlinge und Asylbewerber bleiben gerne hier. Verdenken kann man es ihnen nicht, angesichts der hier herrschenden Ignoranz und latenten Feindlichkeit ihnen gegenüber. Dabei wäre gerade Ostdeutschland auf solche Leute angewiesen, auf ihre Tatkraft, ihren Mut, ihre Durchsetzungsfähigkeit. Auch die Flüchtlinge gehen nach Westdeutschland und bessern dort die Steuereinnahmen auf.

Verstehen kann man das. Bis auf Berlin haftet Ostdeutschland nun wirklich nicht der Geruch von Welt an. Provinz ist es geworden, nicht mal als Alterssitz attraktiv. Ostdeutschland hat eine großartige Vergangenheit; eine große Zukunft hat es nicht.

Nach Jahren der Fürsorge in den 90-gern kümmert sich niemand mehr um dieses Land, außer der Linkspartei vielleicht, die sich hier nach ihrer diktatorischen Epoche ihre Machtbasis geschaffen hat. Sie beherrscht die Szene auch intellektuell. Wer sich als Linker versteht lässt sich nicht lumpen, seine Sympathie mit dieser Partei der Ostdeutschen, und der Linkssozialisten zu erklären.

 

Die Deutsche Einheit hat Ostdeutschland viel gebracht. Ein dichtes, gut ausgestattetes soziales Netz, neue Straßen, herrliche Innenstädte, sanierte Rathäuser, neue Schulen, aufpolierte Universitäten und schöne Landschaften. Wirtschaftliche Stärke hat sie nicht vermittelt. Blühende Landschaften hatte Kohl versprochen, und damit eine tiefsitzende Sehnsucht angesprochen. Doch das Wirtschaftswunder blieb aus.

Der Mensch, insbesondere der moderne lebt nicht von Kultur, Umwelt, Infrastruktur von alleine. Er will Wahlmöglichkeiten, will Perspektiven sehen, Innovationen, Wachstum, Chancen – für sich, seine Familie, seinen Betrieb, seinen Arbeitsplatz. Er liebt keine Langeweile und Bescheidenheit, besonders keine aufgezwungene. Er will Leben in der Bude. Doch das findet er in Ostdeutschland nur in Spurenelementen.

 

Ostdeutschland braucht einen Modernisierungsimpuls. Hier ist viel zu wenig experimentiert worden. Viel zu wenig gewagt, und ausprobiert worden. Ostdeutschland braucht sogar einen gewaltigen Modernisierungsimpuls, wenn es den Trend als Wegzugs- und Rückzugsgebiet aufbrechen will.

 

Das dürfte nicht ganz einfach sein, angesichts der niederschmetternden Erfahrungen mit der Schockmodernisierung, die die Treuhand bei der Privatisierung der ostdeutschen Staatsbetriebe den Ostdeutschen vermittelt hat. Vielleicht ist das ja auch der Grund, dass Modernisierung in Ostdeutschland so negativ besetzt ist.

 

Doch es gibt keine Alternative dazu. Der Staatssozialismus hat abgedankt. Den will keiner mehr. Gott sei Dank. Es gibt nur den Kapitalismus als Wirtschaftsform. Man kann ihn ja von mir aus soziale Marktwirtschaft nennen. Das ist nur eine seiner Spielarten. Sein Wesen besteht nicht nur in der Profitmaximierung, das ist seine Stimulanz. Sein Wesen ist Industrialisierung: Innovation, Schaffen und Erschließen neuer Verdienstmöglichkeiten, durch neue Technologien, neuer Märkte, neuer Produkte. Rücksichtslos geht er mit alten, überlebten, schwachen Strukturen um. Ostdeutschland hat das erlebt.

 

Überall auf der ganzen Welt werden die gleichen Erfahrungen gemacht. Der Kapitalismus als Wirtschaftsform wird verdammt und verflucht, weil er Ungleichheiten schafft und weil er Armut produziert. Doch überall auf der Welt findet Entwicklung nur dort statt, wo es gelingt, mit Hilfe des Kapitalismus eine industrielle Entwicklung in Ganz zu setzen. Nirgendwo ist Kapitalismus per se sozial. Das hat er auch nie behauptet. Fürs Soziale müssen immer andere sorgen; Gewerkschaften, soziale Parteien, Familien, und vor allem der Gesetzgeber. Das lässt sich der Kapitalismus gefallen. Solange er Geld verdienen kann, nimmt er das hin, arrangiert sich sogar ganz gut. Der Kapitalismus ist auch nicht per se vernünftig. Er folgt der Logik der Gewinnmaximierung. Und nur der, der sich traut, sich darauf einzulassen, diesen Tiger zu reiten,  wird seine Kraft, seine Fähigkeit zur Arbeit für sich einzusetzen wissen.

 

Also: Ostdeutsche, wenn ihr wollt, dass Eure Landstriche wieder aufblühen, wenn ihr wollt, dass hier endlich wieder Geld verdient wird, wenn ihr wollt, dass sich Eure Kinder nicht gen Westen oder nach Berlin verabschieden wollen, sondern anderer Leute Kinder ihr Glück in  Ostdeutschland finden wollen, dann beherzigt diese weltweiten Erfahrungen der industriellen Entwicklung.

 

Fangt an mit Reformen, strafft die Verwaltung, verschlankt sie, und beschleunigt sie. Sie muss besser werden, als die in Bayern oder Baden-Württemberg. Dafür braucht’s preußische Tugenden, Fleiß, Bildung, Eigenverantwortung und Engagement, das ganze loyal einem demokratischen Staatswesen dienend. Nehmt Geld in die Hand und schafft Wachstumspole. Erklärt den Westdeutschen, dass ihr nur dann mit dem Auslaufen des Solidarpaktes oder dem Solidaritätszuschlag einverstanden seid, wenn jedes der ostdeutschen Länder eine Wachstumszelle analog der Stanford-Universität oder des Massachusetts Instituts erhält.

 

Schafft einen neuen Lehrplan in den Schulen, weg mit Latein oder Altgriechisch, bereitet die Kinder auf das Leben vor. Zeigt ihnen wie leicht es ist, sich eine Firma zu gründen, wie einfach es ist, Marktlücken zu finden und auszunutzen, und wieviel Spaß es macht, sein eigener Herr zu sein.

 

Gebt den Studenten Stipendien, damit sie in Ostdeutschland studieren.

Sucht Marktlücken für Eure Universitäten oder Fachhochschulen in der bundesdeutschen Bildungslandschaft.

 

Warum sechs ostdeutsche Länder? Warum an den Nachkriegs-Länderstruktur der verblichenen DDR festhalten. Zwei oder drei Länder  tuen es auch. Sie nutzen den Menschen, nicht ihrer Einbildung. Verändert das Grundgesetz, damit das möglich wird. 

Das gesamte Wirtschafts- und Handelsrecht muss durchforstet werden nach Hemmnissen, die den weiteren Industrialisierungsfortschritt behindern. Genauso, wie die Wissenschaft nach neuen Technologiepotentialen durchforstet werden muss, deren Anwendung neue Produkte, und damit neue industrielle Entwicklung versprechen könnten.

 

Die Verwaltung kann nicht selbst entscheiden, welche technologischen Entwicklung zu unterstützen sind. Das kann sie gar nicht einschätzen. Vielmehr muß man nach solchen technologischen Entwicklungen Ausschau halten, gewissermaßen im Embryonalstadium, um ihnen dann in Ostdeutschland das Licht der Welt erblicken zu lassen. Verwaltungshemmnisse, die dem entgegenstehen, sind so schnell wie möglich zu beseitigen.  So kann eine neue Technologiestrategie für Ostdeutschland aussehen.

Wirtschaft ist keine Geld, sondern eine Einstellungsfrage. Nicht umsonst hat einer der interessantestens Wirtschaftsprofessoren Deutschlands, Klaus Faltin ein Buch mit dem Titel: „Kopf schlägt Kapital“ geschrieben. Diese Haltung füsst auf Werten, die in Ostdeutschland als entchristlichter, säkularer Region unterdurchschnittlich verhanden sind. Wo nicht geglaubt wird, wird das Risiko gescheut, wird weniger gekämpft. Doch Potential ist dennoch vorhanden. Wenn die Ostdeutschen nicht an ihre Zukunft geglaubt hätten, wären sie 89 nicht auf die Straße gegangen. Darauf kann man bauen.

Es gibt gute Beispiele für Tatkraft und Energie in Ostdeutschland. Wer Augen hat zu sehen, findet die Pioniere in den Betrieben, den Verwaltungen und im Ehrenamt, die hier ganz auf sich gestellt schuften, Spaß haben, Geld verdienen und neues Schaffen. Spürt sie auf, und nehmt Euch ein Beispiel an ihnen. Ostdeutschland braucht ostdeutsche Vorbilder; nicht um sie zu verehren, sondern um von ihnen zu lernen.

Das alles wird nicht einfach sein. Wir leben in einer schnelllebigen Zeit. Der Föderalismus sorgt aber nicht nur für den Länderfinanzausgleich, sondern hat auch Wettbewerbselemente. Hier kann gewinnen, wer besser ist. Man braucht nicht nur eine Idee dafür, sondern täglich eine. Gerade, weil der Abstand zwischen Ostdeutschland und dem Westen so groß ist, muss man Leistung zum Prinzip machen. Innovation erzeugen, und Innovatives anziehen. So gewinnt Ostdeutschland sich seine Zukunft zurück, und das ganz aus eigener Kraft.

 

Ostdeutschland muss an sich glauben, und kann an sich glauben. Kein Rückstand ist zwangsläufig. Und kein Vorsprung ewig. Auch Baden-Württemberg muss täglich um seine Position kämpfen.

 

Und zuletzt: es geht nicht darum, eine verbissene Aufholjagd zu führen. Es geht darum, elegant die Fortschrittsimpulse der Modernisierung für sich zu nutzen. Wer das kann, dem gelingt der Rest im Schlaf. 

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