Stand und Perspektiven der Aufarbeitung
(Vortrag Konrad-Adenauer-Stiftung Schloß Wendgräben 3/2010)
Von der Revolution 1989/90 auf den Straßen und Plätzen Ostdeutschlands heisst es, sie sei friedlich gewesen. Stimmt. Sie hatte keine Barrikaden. Sie hat nicht geschossen. Sie hat keine
Lynchjustiz geübt. Sie hat den Polizisten, die angetreten waren, sie niederzuknüppeln entgegengeschrien „Keine Gewalt!“. Das war nicht nur eine Aufforderung an die staatliche Gewalt, sie nicht
auszuüben, es war gleichzeitig das Programm der Revolution.
Gewaltlosigkeit war die Waffe der Revolution. Es war eines ihrer Erfolgsgeheimnisse. Was Ghandi in Indien und Martin Luther King in Atlanta vorgemacht hatten, vollzogen die Ostdeutschen in jenen
Herbsttagen nach. Sie wussten, wer die SED entmachten will, darf nicht zuerst nach Rache schrein. Er musste sein Herz und seine Emotionen zügeln. Die zunehmende Stärke der Demonstrationen und die
Gemeinschaft der Demonstranten, in der man sich sicher geborgen fühlen konnte, war Genugtuung und Therapie zugleich.
Die Demonstranten verlangten nicht Rache, sondern Recht. Sie wollten nicht mal die Stasi-Leute hinter Gittern sehen, sondern in der Produktion. Sie verlangten nicht den Kopf von Honecker
oder Krenz, sondern „nur“ ihren Rücktritt.
Das war kein Schwächezeichen, sondern eines der Reife und der Würde. Die Menschen, die zutiefst unter der SED-Diktatur und dem DDR-Gefängnis gelitten hatten, verfolgten ihre Peiniger nicht,
sondern gingen friedlich mit ihnen um. Sie wollten, dass die SED ihre Macht und ihre Privilegien abgab, sie wollten freie Wahlen, sie wollten Selbstbestimmung und Gleichberechtigung. Sie wollten,
dass in der zu schaffenden Demokratie alle Menschen auf gleicher Augenhöhe miteinander verkehren konnten, und dass das Volk die Macht zuteilt, statt ohnmächtig dem Machtanspruch einer Avantgarde
ausgeliefert zu sein.
Und dennoch hat damals niemand von Amnestie oder Schlussstrich gesprochen. Gewaltverzicht hiess nicht STrafvervollgungsverzicht oder gar Ermittlungsverzicht. Aber es sollte rechtsstaatlich dabei
zugehen, d.h. Gerechtigkeit auch für jene, die zutiefst ungerecht und unfair gewesen waren.
Das lag in der Konsequenz der Idee des demokratischen Rechtsstaates.
Und es gab eine weitere Grundidee in jenen Tagen. Von Anfang war klar, dass wir die SED und ihre Helfer nicht aus der Verantwortung entlassen würden, für den Zustand, in die sie die ostdeutsche
Gesellschaft gestürzt hatte, die Stagnation, die Mauertoten, den Staatsbankrott, das politische Strafrecht, die Städte und Gemeinden, die Wirtschaft und die Betriebe, Umwelt, Natur und
Ökologie. Wir wollten, dass die Wirkungszusammenhänge aufgedeckt wurden, der zu jenem Niedergang geführt hatte, den zu beenden und umzukehren doch letztlich der eigentliche Grund der friedlichen
Revolution 89/90 war. Wir wollten benennen, was da passiert war, wer die Verantwortung dafür trug, und wer daran, bewusst oder unbewusst mitgewirkt hatte. Es ging von Anfang an nicht um ein
Nachkarten, oder ein Besserwissen, es ging um Vorbeugung, und um ein aufklärerisches Prinzip, dem Benennen dessen, was war. Denn das ist im eigentlichen Sinne Aufarbeitung.
Wer hatte uns diese DDR eigentlich eingebrockt ? Zuerst mal waren es wir Deutschen selbst. Die Machtergreifung Hitlers geschah unter Noch-demokratischen Bedingungen. Die Weimarer Republik war
schwach geworden, weil es ihr an Demokraten mit Zivilcourage gemangelt hatte, und dieser Depp von Reichskanzler Hindenburg war der Meinung, dass man Hitler schon noch zähmen konnte. Dabei
hatte die NSdAP ihren Machtzenit im Januar 33 schon überschritten, die Weltwirtschaftskrise lag in den letzten Zügen, die Pläne für den Autobahnbau bereits in den Schubläden, und die
Reparationszahlung des Versailler Raubfriedensvertrages waren weitgehend abgewendet.
Hitler hatte genügend Helfer: rechtskonservative Parteien, die mit ihm eine Koalition bildeten und einen demokratisch gewählten Reichspräsidenten. Es gab eine bürgerliche Schicht, die nach
Erneuerung rief, nach Volkes Erwachen, in Wissenschaft und Wirtschaft. Sie wussten nicht, was sie taten, und taten es dennoch absichtlich. Solidarität mit den Kommunisten, den Sozialdemokraten,
den Gewerkschaftern, den verfolgten Intellektuellen und den Juden gab es nicht. Es gab kaum mal Beamte, die sich an ihren Amtseid erinnerten. Deutschland hat damals nicht gestanden, sondern
es ist seinem Führer für blosse Versprechungen und Heilserwartungen gefolgt, gleichsam Gewissen und Verstand abschaltend.
Später hörte man immer wieder, dass die Weltwirtschaftskrise Schuld gewesen sei.
Aber meine Damen und Herren, was waren die Nöte der Weltwirtschaftskrise gegen die des 2. Weltkrieges, der Bombennächte, und des Holocausts?
Die Folge des tausendjährigen Dritten Reiches war neben der verheerenden Verwüstung Europas für uns vor allem auch die Zerstörung des eigenen Landes, Deutschland. Zig Millionen Tote,
Verlust eines Drittels des ursprünglichen Territoriums und deutsche Teilung. Das muss man deshalb so betonen, weil dieser Abgrund das Ergebnis des ursprünglichen eigenen deutschen Hochmuts
war.
Ohne Hitler keine Rote Armee im Land, ohne Rote Armee keine deutsche Teilung und keine kommunistische Diktatur. So einfach ist das.
Die Kommunisten, die in Deutschland regiert haben, waren Deutsche. Man sage also nicht, wir hätten in der DDR mit der SED eine russische Diktatur gehabt. Wir hatten eine deutsche.
Wie viele Menschen waren im Verlaufe der DDR der Meinung, das Übel sei nun einmal da, nun müsse man halt damit und vor allem in ihr leben? Man richtete sich ein, und begann es sich bequem zu
machen, so gut es halt ging. Wie häufig habe ich gehört, gegen die Macht der SED hätte man doch gar nichts machen können.
Dem will ich gar nicht widersprechen. Doch war das ein Grund, die Hände in den Schoss zu legen ? Die SED hat es hervorragend vermocht, den Menschen das Gefühl der Ohnmacht gegenüber den
staatlichen Verhältnissen zu geben. Und ausserdem hatten sie Angst, auch das nachvollziehbarer Weise. Es wäre gut, das heute gegenüber den eigenen Kindern zuzugeben, wenn sie fragen, warum so
viele „falten“ gegangen sind, obwohl eine Wahlverweigerung in der Regel keine Konsequenzen nach sich zog. Warum sind den Millionen Menschen zu den Kampfdemonstrationen gewesen ? Um ihre Ruhe zu
haben ?
Der Aufstand 1953 gegen das Pankower Regime war auch ein Aufstand gegen die eigene Angst. Er war nicht erfolglos. Das Schicksal der arbeitenden Bevölkerung hat sich nachweislich durch diesen
Aufstand erheblich verbessert. Die SED hatte gemerkt, dass sie überzogen hatte. Natürlich haben etliche Arbeiter diesen Aufstand mit ihrem Leben bezahlt. Aber ihr Unmut, ihre Wut war echt, ihr
Kampf gegen Ungerechtigkeit, bedeutete auch das Wiederfinden der eigenen Würde, die sich eben nicht mit dauernder Unterordnung unter die Hybris einer Diktatur in Übereinstimmung bringen lässt.
Ausserdem können wir auf diesen Aufstand auch deshalb stolz sein, weil er in dieser Form der erste im kommunistisch regierten Ost- und Mitteleuropa war, dem später viele andere folgten. Vor allem
in Polen.
Überhaupt Polen. Wie sehr haben wir ostdeutsche uns über die Polen ausgelassen. Bis in unsere Tage hinein sind die Ressentiments gegen dieses unser östliche Nachbarvolk spürbar. Dabei können wir
Deutsche uns eine Scheibe von der polnischen Zivilcourage abschneiden. Und diese Zivilcourage ist belohnt worden. In Gegenuniversitäten wurde in Polen quasi ganz legal eine Gegenelite
ausgebildet, die für die Enstehung von Solidarnozs, und die Übernahme der Macht nach freien Wahlen unverzichtbar war. Die Polen haben einen grossen Anteil am Niedergang des
mitteleuropäischen Kommunismus. Dafür können wir ihnen dankbar sein. Das hat übrigens nicht nur mit dem Katholizismus in Polen zu tun, denn der Katholizismus als solcher ist bisher zumindest
nicht gerade revolutionsverdächtig gewesen.
Wo hat die Anpassung in der DDR angefangen, ab welcher Stelle hat man sich über das eigene Gewissen hinweggesetzt ?
Ich war im FDGB und in der DSF. Das war bestimmt kein Verbrechen. Aber ich war das nicht aus eigener Überzeugung, sondern um meine Ruhe zu haben. Ich war sogar glücklich, endlich einmal nicht
immer dagegen zu sein, sondern mitten drin. Ich war sogar Vertrauensmann in meinem kleinen Institut in der Charité. Und das weiss ich deshalb noch so gut, weil mir diese Funktion unangenehm war.
Ich war durch meinen Ehrgeiz verführbar. Sinn haben diese Funktionen nicht gemacht. Aber für die SED war es wichtig, das Anpassungsverhalten ihrer Bürger immer wieder neu zu verlangen. Man sollte
nicht zur Ruhe kommen, man musste die hingehaltenen Gesslerhüte grüssen.
Die SED legte über das gesamte gesellschaftliche Leben den Mehltau ihrer Ideologie. Ich weiss noch, wie entsetzt ich war, als ich von meinen Chef, einen promovierten Mathematiker, sympathisch und
ehrlich, eine 1.Mai- Rede hörte. Sie war gespickt mit diesen Gessler-Hut-Grüßen. Und natürlich tat er das nicht aus Überzeugung, sondern aus Opportunität.
Und dann gab es diesen Machtkampf um mein Institut. Damals in den 80-ger Jahren sollten unser Direktor und seine rechte Hand, ein Physiker, der bei meinem Vater im Gemeindekirchenrat war, in die
SED eintreten. Die SED plante die Übernahme des Institutes. Alternativ bot man ihnen an, in die Kampfgruppen einzutreten. Ich weiss nicht, wie sie das abgewendet haben. Aber zum Schluss waren
beide in der Ost-CDU von Gerald Götting, und ihr Institut waren sie trotzdem los. Der Eintritt in die CDU war für sie das kleinere Übel. Es war keine Überzeugungstat, sondern eine
Abwehrentscheidung.
2,3 Mio.Menschen waren Mitglied der SED. Die wenigsten von ihnen dürften Kommunisten gewesen sein. So ein Eintritt war immer auch ein Bekenntnis nach aussen, Lippenbekenntnisse sagten wir dazu.
Doch wenn es mal so einfach wäre. Da hatte sich jemand geschlagen gegeben, und versuchte nun, diesen erzwungenen Schritt vor sich selbst und seiner Umgebung zu rechtfertigen. Der SED war das
egal. Hauptsache, die Leute taten, was von ihnen verlangt war. Die Menschen verhielten sich wie Untertanen. Sie beugten sich gegen ihre eigene Überzeugung, entwerteten diese. Sie entwerteten sich
selbst.
Die SED hantierte, um diese Anpassungsergebnisse zu erzeugen, nicht nur mit Repression oder Strafe, sondern stellte auch Belohnungen in Aussicht. Eine bessere Stelle. Leitungsfunktionen. Eine
Aspirantur. Reisekader. Zuckerbrot und Peitsche, lautete das Prinzip. Und dann sprang der Tiger. Von seiner ursprünglichen Kraft und seinem Stolz war nichts mehr zu erkennen. Er degenerierte zu
einem Zuchtobjekt.
Im Grunde war es nur ein gradueller Unterschied, ob man in die SED oder in die CDU gepresst wurde. Die CDU war harmloser, sie ging offener mit diesen Anpassungsstrukturen um. Sie konnte das, weil
sie sich sehr genau als Anpassungsobjekt begriff. Die SED war immer auch ein Ort der Propaganda, der gelebten und geglaubten Ideologie. In der CDU ist man mehr in Ruhe gelassen worden. In der SED
war man dafür näher an der Macht. Man konnte allerdings auch in der CDU in Machtpositionen gelangen. Tillich ist ja so ein Fall.
Mental waren diese Zustände nur schwer zu ertragen. Wer auf Verweigerung setzte, wie ich es tat, weil dieses System es nicht wert war, dass man sich dafür einsetzt, musste erleben, wie das Leben
an einem vorbeirauschte. Man war nicht zufrieden, konnte sich nicht einbringen, durfte nicht dabei sein. So krupellos, wie weiland Fuchet in der Grossen Französischen Revolution, war auch in der
DDR nur selten jemand.
Die SED trat die Gewissen der Bürger ihres Staates mit Füssen, und zwang sie, äußerlich nach ihnen fremden Überzeugungen zu leben. Dass das schlimme Folgen für Persönlichkeit und Psyche hatte,
liegt auf der Hand.
Wer heute noch glaubt, die DDR hätte die Menschen nicht deformiert, man hätte hier einfach Mensch bleiben können, ist nicht einfach naiv, verdrängt seine Anpassung und Verluste bis heute.
Aber ich will nicht rechten, über diejenigen, die in der DDR leben mussten. Habermas hat mal gesagt, dass man mit Aufarbeitung Menschen erschlagen kann. Und ich denke, wir Menschen sollten uns
unserer Unfertigkeit bewusst sein. Das ermöglicht im Grunde auch die Demokratie, indem sie die Menschen akzeptiert. So wie sie sind, dürfen sie auch sein. Man ist unverwechselbar nicht erst
durch seine Leistung, sondern schon durch sein Dasein.
Eine Diktatur hingegen hat immer eine harte Elite, produziert Übermenschen, die sich als Avantgarde empfinden, denen die Herrschaft zukommt, denen Führung zukommt. Dieses Elitebewusstsein haben
wir, so meine ich, übrigens bis heute nicht abgelegt. In Anlehnung an Brecht, sollten wir uns bewusst sein, dass jenes Land glücklich sein kann, das keine Helden nötig hat. Und wir sollten uns
bewusst machen, dass Leistung nicht an Elitebewusstsein geknüpft sein muss.
Doch im Grunde muss es jeder mit sich selbst ausmachen. Oder mit seinem Gott, wenn er ihn hat. Manchmal hilft die Familie, manchmal helfen öffentliche Diskussionen, manchmal helfen Bücher oder
Filme. Aber am wichtigsten ist die Bereitschaft sich selbst zu befragen. Nur wer sich selber befragen kann, findet auch die gesellschaftlich tragfähige.
Anpassungsphänomene haben immer 2 Seiten. Da sind die Strukturen, die Anpassung erzwingen, da sind die Menschen, die sich zwingen lassen. Und ich habe absichtlich zuerst die Fragen nach uns
selbst gestellt. Das muss man schon machen, um halbwegs eigener Selbstgerechtigkeit vorzubeugen.
Die SED selbst hat nach den Sternen gegriffen. Sie wollte die Lösung der grossen Menschheitsprobleme. Sie wollte ein Paradies.
Doch in Wirklichkeit war sie vormodern. Sie haderte mit der modernen Gesellschaft.
Sie stellte die Gemeinschaft über den einzelnen. Sie empfand die bürgerliche Freiheit als einen Angriff auf die Menschlichkeit.
Sie entwarf eine Alternative zur Moderne, den Kommunismus, einen kollektivistischen Traum, den sie aber gleichzeitig als die höchste Vollendung der Moderne pries. Und indem sie die Gesellschaft
zu dem ihr vorbestimmten Ziel, dem Kommunismus zu führen behauptete, meinte die SED auf der Spitze der Barrikaden für den gesellschaftlichen Fortschritt zu stehen, in der Tradition der Aufklärung
und auf wissenschaftlichem Boden. Dieser ideologische Glaube, so meint Wolfgang Templin, hat gewirkt wie Opium für den Verstand. Die Partei, die der Kirche immer vorgehalten hat, sie verabreiche
Opium fürs Volk, hat in Wirklichkeit selber Opium produziert. In der Tat, ein Glaube, die Lösung aller Menschheitsprobleme gleichzeitig zu besitzen, muss rauschhafte Zustände produzieren. Und er
lässt dann auch alle fünfe gerade sein, nimmt Unrecht, Widersprüche in Kauf, wenn nur das grosse Ziel, der Kommunismus nicht aus den Augen verschwindet.
Doch das einzige was ihre Ideologie geleistet hat, war neben der Beherrschung von Gesellschaft und Staat und der Sicherung der Macht für eine verschwindend kleine Kaste von Kommunisten, der
Niedergang dieser Gesellschaft, ihre Stagnation, ja ihre Provinzialisierung.
Doch während die Linkspartei sich heute weitgehend von der DDR in konkreten Ausprägung zu distanzieren bemüht, vom Versuch an sich eine Alternative zur bürgerlichen Gesellschaft, wie sie es sagt,
also zur Moderne, zu errichten, auf keinen Fall. Denn die Ablehnung dieser Gesellschaft, die auf der Freiheit der Individuen baut, die es durch den Rechtsstaat zu garantieren und zu schützen
gilt, ist das Wesen dieser Partei.
Ihre Diktatur hatte den einen Zweck, Schluss zu machen, mit den Trends der Indiviualisierung, der individuellen Selbstbestimmung, einer pluralen Gesellschaft. Für unsere moderne Gesellschaft ist
charakteristisch, dass jeder einzelne in freier Selbststimmung auch über sich entscheiden darf. Er darf bestimmen, was er sein will. Das hat nicht nur mit seinem Beruf, seinem Wohnort, seiner
Religion zu tun. Das hat mit seinem Denken, seiner Kultur, seiner Identität zu tun. Diese Freiheit, selbst zu entscheiden, wohin ich mich entwickeln will, alle staatlichen Einmischungsversuche
zurückzuweisen, ist die zentrale Verheissung der Moderne. Das ist die Leistung der Grossen Französischen Revolution, von der Hegel mal behauptete, das sei das Ende der Weltgeschichte, in dem
Sinne davon, daß sie damit ihr Ziel erreicht hätte. In der Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika heisst es dazu, dass den Menschen das Recht auf Streben nach Glück zugestanden wird, ja
das dieses Streben nach Glück den Menschen ausmacht. Und dass der Staat die Pflicht hat, dieses Streben zu schützen. Es geht nicht darum, dass der Staat die Menschen glücklich macht. Das will er
nicht, und hier räumt er sogar ein, dass er das gar nicht kann, nicht mal darf. Sondern dass die Menschen selbst es sind, die ihres Glückes Unterpfand in der Hand haben. Sie sollen die Freiheit
erhalten, ihr Glück in Zukunft selbst zu bestimmen. Dies ist einer der zentralen Werte des Westens, immer gewesen und nach wie vor von einer ungebrochenen Strahlkraft.
Der Westen ist damit keine ideale Welt. Und die Menschen, die im Westen leben, sind auch nicht ideal. Aber das Recht, über sich selbst entscheiden zu dürfen, in jeglicher Hinsicht, ist durch
nichts zu überbieten. Es ist die derzeit noch immer grösste zivilisatorische Errungenschaft, die ich kenne.
Menschen, die diesen Freiraum ausschöpfen sind zu ungeahnten Leistungen in der Lage, zu Kreativität zu Innovation. Eine Gesellschaft, die sich zu diesen westlichen Grundwerten bekennt, ist
ständig im Fluß. Da bleibt kein Stein auf dem anderen. Da wird ständig an Tabus geklopft. Da entstehen neue Lebensformen. Eine solche Gesellschaft ist bunt, nicht selten auch schrill. Da
verschwindet vertrautes, und neues, für viele auch fremdes entsteht.
In einer solchen Gesellschaft kann es auch zu Verwerfungen kommen. Da kann die Spanne zwischen arm und reich unerträglich weit auseinanderklaffen. Da können Menschen ausgegrenzt werden, da
entstehen Ungerechtigkeiten, die permanent der politischen Regulierung und Steuerung bedürfen. Da kann man auch schon mal Angst bekommen vor den gesellschaftlichen Kräften, vor der
wirtschaftlichen Macht, der Finanzmacht, vor Oligarchen, der Globalisierung, vor der Kraft mit der altes über Bord geworfen wird, und in der Arbeitslosigkeit eine schreckliche Geissel ist. Ja die
einzelnen haben Gestaltungsmöglichkeiten, sie haben Macht, sie haben Geld, nur wenige wirklich viel. Aber mit diesem Geld geht auch eine Kommerzialisierung einher. Manchmal entsteht das Gefühl
der Entfremdung. Und in der Verheissung, dass jeder das Recht auf eine Streben nach Glück hat, meinen nicht wenige, damit sei es genug der Nächstenliebe. Und wer auf der Strecke bleibt, sei
selber schuld. Wie heisst dieser liberale Wahlspruch so schön, der dieses Selbstverständnis zynisch auf den Punkt bringt: Wenn jeder an sich selber denkt, ist an alle genug gedacht.
Doch so funktioniert unsere Welt nicht. Unsere Gesellschaft bedarf der Mitmenschlichkeit, der Nächstenliebe, der Fürsorge, und des Denkens an unsere Nachbarn. Sie bedarf einer Politik des
sozialen Zusammenhalt.
Doch für die Kommunisten reichte das alles nicht. Für sie ist eine kapitalistische Gesellschaft, wie sie ja unsere Gesellschaft noch immer nennt, per se unmenschlich. Für sie ist diese
Individualisierung, dieses Recht auf individuelle Selbstbestimmung die Wurzel des Übels. Die Kommunisten hatten ein Weltbild, in dem die Rolle jedes einzelnen, seiner sozialen Schicht,
festgeschrieben war, und wonach die Menschen bemessen, beurteilt, und nicht selten verurteil wurden. Nicht die Menschen haben bestimmt, was sie werden möchten, sondern der Staat versuchte zu
bestimmen, was aus ihnen wird. ER behandelte sie nicht nur vormundschaftlich, wie es Rolf Hendrich, der Mitbegründer des Neuen Forums mal in seinem damals berühmten Buch schrieb, sondern er
behandelte sie wie Objekte, die es zu steuern und zu lenken galt.
Die SED war totalitär in ihrem Denken und ihrem Handeln. Sie fühlte sich legitimiert, den Menschen bestimmte Rollen zuzuschreiben, nicht die Bürger durften über sich entschieden, sondern diese
Staatspartei. Die SED war nicht erst totalitär in ihrem Unrecht, mit der Mauer, der Zwangskollektivierung, der Verstaatlichung der Betriebe, sondern sie war totalitär in der Zuschreibung dessen,
was die Menschen sind, und wie sie zu behandeln sind.
Sie mischte sich ein in die Religion der Menschen, in ihre Berufswahl, in ihr Denken. Sie hatte immer schon fertige Antworten. Sie stand den Menschen Reife und Persönlichkeit nicht zu. Sie stand
ihnen Selbstbestimmung nicht zu. Sie hatte Ansprüche, die zur Unterdrückung führen mussten. Das war keine Frage des bösen Willens, sondern Folge ihres Weltbildes, ihres
Selbstverständnisses.
Man stösst unweigerlich, wenn man über diese Wesenszüge der kommunistischen Diktatur nachdenkt, auf ihre Wesensgleichheit mit der nationalsozialistischen Diktatur. In Deutschland ist das noch
immer ein Tabu, diese Wesensgleichheit zu benennen.
Aber es ist doch keine Frage! Auch die Nationalsozialisten hatten ein geschlossenes Weltbild, auch sie haben den Menschen das Recht auf Selbstbestimmung genommen, auch sie haben den Menschen
entsprechend ihrer Rasse, ihrer Religion Funktionen und Rollen zugeschrieben, denen sie nicht entrinnen konnten. Auch bei ihnen ging das totalitäre Denken dem totalitären, dem politischen
Verbrechen voraus. Auch die Nationalsozialisten setzen sich in ihrem Machtanspruch über das Selbstbestimmungsrecht jedes einzelnen brutal hinweg und fühlten sich legitimiert zur Erreichung ihrer
Ziel Menschen- und Grundrechte mit Füssen zu treten. Auch ihnen galt, dass der Zweck die Mittel heiligt.
In ihrer konkreten Ausprägung, ihren Farben, ihren Worten und Symbolen waren sie konträr zueinander, aber in ihrem Wesen waren sie gleich.
Und es ist eben kein Zufall, dass bspw. Bernhard Heisig, 1942 mit 16 oder 17 in die Waffen-SS eintritt, und 1947 in die SED. Da war er ja lange nicht der einzige.
Die Lehre aus dem Untergang des Dritten Reiches hiess eben leider nicht, nie wieder Diktatur, und Demokratie, sondern sie hiess, jetzt machen wir eine richtige Diktatur, eine friedliche, eine
menschliche. Die Menschen, der einen Diktatur entwichen, waren damit noch nicht vom Wunsch beseelt, frei und selbstbestimmt zu leben, und in einer freien und selbstbestimmten Gesellschaft zu
leben, sondern sie fanden die Mittel falsch, mit der Hitler gearbeitet hatte. Ein solches geschlossenes Weltbild aber, in dem jeder seinen Platz hatte, das hatte tatsächlich noch immer eine
grosse Anziehungskraft.
Es ist für uns wichtig, dass wir diese Zusammenhänge erkennen und kommunizieren.
Demokratien ermöglichen individuelle Selbstbestimmung und sind deshalb plural. Sie schaffen die Grundlage für freie Entscheidungen des einzelnen. Damit können Menschen ihrem Gewissen folgen und
müssen sich nicht anpassen. Dies setzt Potentiale frei, die autoritäre, gar diktatorische Systeme niemals haben können.
Ein Problem, das wir in Ostdeutschland haben, besteht darin, dass viele Menschen diese Überzeugung nicht teilen. Sie sind von den Fähigkeiten der Demokratie nicht überzeugt, auch wenn sie die DDR
nicht zurückwollen. Sie finden die Deutsche Einheit richtig, aber die Gesellschaft kalt.
Es zeigt sich, dass die DDR ein Gemeinschaftsgefühl produziert hat, das ein Stück weit als Ersatz für niedrigen Lebensstandard, geringe Wirtschaftskraft, zerstörte Städte und marode
Betriebe gedient hat. Diese Überzeugung, die ja mehr eine Empfindung ist, kann man nicht wegdiskutieren.
Weder Rechtsstaat, noch plurale Demokratie, noch die offene Medienlandschaft werden als grosser Fortschritt gegenüber der SED-Diktatur empfunden, erst recht nicht die gesteigerte
wirtschaftliche Leistungsfähigkeit.
Dieser Anachronismus ist nicht neu. Schon in den 20 Jahren nach dem Dritten Reich gab es viele Ressentiments gegen die Demokratie in der alten Bundesrepublik und eine Sehnsucht nach Hitlerjugend
und deutsches Gemeinschaftsgefühl. Adorno meinte damals trocken, wenn jemand das Dritte Reich zurückhaben wolle, dann müsse man ihn an die Bombennächte in den Luftschutzbunkern, die toten Männer
und die Vertreibungstrecks erinnern, denn das waren die Ergebnisse des Dritten Reiches.
Deshalb kommen wir heute nicht umhin, den Bankrott der DDR zu benennen, ihren Gefängnischarakter, die Massenflucht von fast 3 Mio Menschen, die die SBZ verlassen haben. Die DDR hatte eine doppelt
bis dreimal so hohe Selbstmordrate wie die alte Bundesrepublik. Sie hatte zwar ein einheitliches Gesundheitssystem und nur eine Sozialversicherung, aber dafür eine um Jahre niedrigere
Lebenserwartung. Sie hatte niedrige Mieten, aber zerstörte Innenstädte. Die DDR war langweilig, wie es der neue Werther in Werther neue Leiden von Plenzdorf von der Bühne herab
verkündete.
Aufklärung ist sicher nötig. Aber sie ist kein Allheilmittel.
An das Unrecht der DDR angemessen erinnern, das ist wichtig. Und das kann man nicht nur durch Lehrbücher, sondern das ist eine Frage, wie ich die ehemaligen Internierungslager, die Stasiknäste
präsentiere, und wie ich mit ehemaligen Opfern umgehe. Mit der Opferpension ist ein grosser Schritt nach vorne gemacht worden, aber jetzt kommt es darauf dieses Opferpension zu erweitern. Da sind
die Opfergruppen der Zwangsausgesiedelten oder der psychischen Zersetzung der Stasi, die müssen mit in die Opferpension aufgenommen werden. Außerdem sollte man sich um die gesundheitlichen
Haftfolgeschäden kümmern. Die niedrige Anerkennungsrate dieser gesundheitlichen Haftfolgeschäden ist ein Skandal.
Zur Zeit gibt es verstärkte Bemühungen um das skandalöse Erziehungsheimsystem der DDR. Diese Jugendwerkhöfe der DDR haben die Jugendlichen gepeinigt, gefoltert, unterdrückt, missbraucht und in
den Selbstmord getrieben. Diese Jugendlichen brauchen Rehabilitierung und die öffentliche Kommunikation.
Wichtig sind öffentliche Anlässe, die der Erinnerung dienen können, wie der 17.Juni, oder der 9.November, auch der 3.Oktober könnte hier viel leisten. Geschichtsarbeit an den Schulen sollte
weiter angeregt werden und gefördert. Selbst erarbeitete Geschichtsprojekte bewirken kognitive Wunder.
Und dann muss man stehen. Ich lass mir nicht den Rechtsstaat schlecht reden, auch wenn seine Urteile manchmal grottenschlecht sind. Die Unabhängigkeit der Gerichte nützt uns trotzdem.
Das alte Bildungssystem der DDR war nicht besser, als unsere Schulen heute, aber die Schulen unserer Zeit leiden unter pädagogischen und didaktischen Defiziten. Da muss man ran.
Niemand hat das Recht, seine Stasi-Vergangenheit zu leugnen. Aufklärung und Aufarbeitung kann an dieser Stelle nicht befristet werden.
Die Leute haben 89/90 laut „Meine Akte gehört mir!“ gerufen. Richtig, kann man nur sagen, und nicht ins Bundesarchiv. Die Eigenständigkeit der BSTU darf nicht aufgegeben werden. Sie war eine
wegweisende Errungenschaft der friedlichen Revolution, um die man uns in unseren osteuropäischen Nachbarländern beneidet hat, und die dort inzwischen viele Nachahmer gefunden hat.
Und auch wenn es schwerfällt, und die Zeit ins Land geht, ich finde immer das die Partei, die die Menschen behandelt hat wie Sklaven, die die DDR als ein Gefängnis betrachtet hat, die das eigene
Volk unterdrückte, und einen Staatsbankrott produzierte, nicht in die Regierung gehört.
Die Erinnerung an den Stasi-Staat und seine Beseitigung ist konstitutiv für die ostdeutsche Demokratie. Und man darf es nicht zulassen, dass diejenigen, die an die IM’s erinnern als
Versöhnungsverhinderer hingestellt werden.
Allerdings muss man die Staatssicherheit unbedingt in ihrem Kontext sehen. Und dazu gehört, daß sie einen Auftrag hatte, Das MfS hatte sich nicht verselbständigt, wie es die SED und Modrow
1989 glauben machen wollte. Es ist verbürgt, dass Modrow in einer Besprechung mit Gysi und Berghofer vorschlug, den Volkszorn auf das MfS zu lenken, um die Partei zu retten. Die Brutalität und
die Angst ging also von der SED zuerst aus, aber als es ihr zu heiss wurde, lies sie das MfS fallen, wie eine heisse Kartoffel. Wir müssen aufpassen, dass wir hier keinen Ablenkungsmanöver zum
Opfer fallen.
Wir dürfen uns den Umgang mit der SED-Vergangenheit im allgemeinen, und mit der Staatssicherheit nicht von der Linkspartei diktieren lassen. Wir sollten an unserem Weg der Aufklärung festhalten.
Für die Parlamente und wichtige Funktionen im öffentlich rechtlichen Bereich bedeutet das an der Überprüfungspraxis festzuhalten. Die Bürger haben ein Recht zu wissen, wer in ihren Parlamenten
sitzt, und wer demokratische Institutionen leitet. Aber sie haben auch ein Recht darüber zu entscheiden, wer in die Parlamente entsandt wird und wer demokratische Wahlämter bekleidet.
Wer Vergangenheitsaufarbeitung glaubwürdig betreiben will, muss mit seiner eigenen Vergangenheit glaubwürdig umgehen. Sie alle wissen, dass die Ost-CDU in Zeiten der DDR kein Hort des Widerstands
war. Die Ost-CDU war ein Ort der Anpassung und einer Lebenshaltung, die sich in das unvermeidliche zu schicken schien, und versuchte, zu retten, was zu retten ist.
Ich meine, dass das zu wenig war.
Die Lehre, die wir an die Kinder und heutige Jugend weiterzugeben haben, lautet, dass Widerstand nicht nur möglich, sondern eigentlich auch nötig war. Widerstand lohnt sich immer, weil er das
Festhalten an den eigenen Werten bedeutet. Weil er den eigenen Lebensentwurf über den Anpassungsdruck der gesellschaftlichen Verhältnisse stellt. Und dies ist die Verheissung unseres
Lebens. Wir dürfen und wir sollten so leben, wie wir es selber wollen. So nebenbei können wir auch Ostdeutschland zu Blühen bringen. Die Menschen entfalten sich, wenn sie Anfang ihre Freiheit zu
nutzen, wenn sie sie ausloten, ausprobieren, Neues wagen, in Wirtschaft, Wissenschaft, Kultur, Politik und im Ehrenamt. Das brauchen wir.
Die SED besitzt heute den Staat nicht mehr. Sie hat sich angepasst, sie hat sich dem demokratischen Wettbewerb gestellt. Aber sie produziert permanent eine Stimmung des Misstrauens, des Neides,
der Ressentiments und der inneren Ablehnung.
Und nur, wenn wir uns selber von diesen Gefühlen selber freimachen, wenn wir mutig und selbstbewusst unsere eigene Politik formulieren, wenn wir uns von den Ressentiments und den Winkelzügen
dieser Linkspartei nicht beeindrucken lassen, gewinnen wir an Stärke und die notwendige innere Autorität, die Menschen überzeugt und die den Funken Optimismus überspringen lässt, mit dem man
grosse gesellschaftliche Herausforderungen meistert.