Das Vierteljahr der SDP

(Beitrag zur Broschüre der SPD zum 25. Geburtstag der SDP)

Am 7.Oktober 1989 wurde sie gegründet. Am 15. Januar benannte sie sich um in SPD.
Ich stieß auf diese Partei bereits Ende August 1989. Ihr Gründungsaufruf enthielt exakt das Skript zur Demokratisierung der DDR. Diejenigen, die diese politische Idee zur Gründung einer sozialdemokratischen Partei in der DDR entwickelt und veröffentlicht hatten ermöglichten mir die Überwindung der DDR ohne sie verlassen zu müssen, was ich bis dato vorgehabt hatte. Zwar war ich ein Oppositioneller in der DDR. Gleichzeitig empfand ich die oppositionelle Bewegung in der DDR als unzulänglich und nicht in der Lage, das Problem der SED-Diktatur, ihrer systemischen Überwindung lösen zu können. Damit war jetzt Schluß. Die Autoren des Gründungsaufrufes hatten ein Konzept vorgelegt. Das hieß: Schaffung einer sozialdemokratischen Partei mit dem Ziel die SED-Diktatur und ihren Unterdrückungsapparat abzuschaffen und an seine Stelle Rechtsstaat, frei gewählte Parlamente, soziale Marktwirtschaft mit besonderer Betonung der Ökologie, Menschenrechte, Freiheit der Medien und die alten Länder zu setzen. Mir lief ein Schauer über den Rücken. Dieser Moment hatte mich zum Sozialdemokraten gemacht. Da wollte ich dabei sein. Die proklamierten Ziele von Martin Gutzeit, Markus Meckel, Ibrahim Böhme und Arndt Noack waren auch meine Ziele.
Der Gründungsaufruf war der erste einer ganzen Reihe bemerkenswerter Initiativen der DDR – Opposition im Herbst 89, ihr entschiedenster, radikalster und weitreichendster – bis in die heutigen Tage hinein.
Es gelang mir Kontakt zu knüpfen. Auf der Gründungsversammlung am 7.Oktober wurde ich zum 1.Sprecher der Partei gewählt; der erste Vorsitzende, den sie hatte. Ich habe mich bemüht, diesen Job auszufüllen.
Was auch immer aus dieser Partei werden würde, was auch immer sie erreichen würde, ich hatte vor, ihr meine ganze Kraft zu widmen. Eine Woche später war es bereits meine ganze Zeit, die ich ihr außerdem schenkte. In jenen Tagen wurde ich zum Politiker. Zuerst bezog ich noch Gehalt von meiner alten Arbeitsstelle, der Charité, die meine Abwesenheit vom Arbeitsplatz einfach hinnahm, später finanziell unterstützt von Johannes Rau.
Uns war klar, was die Existenz einer sozialdemokratischen Partei für die SED bedeuten mußte. „Generalangriff“ kommentierte im August Erich Mielke auf der Politbürositzung Ende August 89 nur. Gorbatschows Rückzug aus den kommunistischen Satellitenstaaten Osteuropas schuf ein Machtvakuum, das die SED nicht mehr beherrschte, und das wir uns anschickten auszufüllen. Das Ende der SED würde auch das Ende der DDR bedeuten.
Niemand hatte den Zusammenbruch der SED-Herrschaft in so kurzer Zeit kommen sehen. Die SDP hatte einen Fahrplan dafür. Ihre politischen Ziele übernahmen  innerhalb weniger Wochen die Blockparteien, zum Schluß sogar die SED.
Hier ist nicht der Platz, über die wichtigen Einzelheiten dieses Geschehens zu reden, nicht über die voranschreitende Revolution und ihre Wechselwirkungen, über die Runden Tische, über den Fall der Mauer oder die Entwicklung der Kontakte zur westdeutschen Schwesterpartei.
Die Umbennenung  von SDP zur SPD geschah im festen Willen zur Deutschen Einheit, und zur Einheit der beiden sozialdemokratischen Parteien in unserem Land. Sie geschah auf der Delegiertenkonferenz der SDP am 14./15.Januar 1990, eigens zu diesem Zweck einberufen. Und sie zeigte die DDR-Sozialdemokraten entschlossen, organisiert, handlungs- und regierungsfähig, kurz auf der Höhe ihres Einflusses – Hauptgegner aller anderen politischen Kräfte bei den anstehenden ersten freien Wahlen in der damaligen DDR – und der westdeutschen CDU.  25 Jahre ist das jetzt her. Mir ist manchmal, als wärs gestern gewesen. Der SDP war es gelungen, die sozialdemokratischen Werte Freiheit, Demokratie und Menschenrechte, Gerechtigkeit, Rechtsstaat, gesellschaftlicher Erneuerung und Emanzipation besonders hell leuchten zu lassen. Mit ihrer Hilfe haben wir die totalitäre Epoche des letzten Jahrhunderts in Deutschland beenden können und nebenbei den Kalten Krieg. Die SPD hat in ihrer langen Geschichte immer mal wieder schwache Phasen gehabt, die drei Monate der SDP gehören zu ihren Stärksten.