Die totalitäre Falle der DDR-Opposition oder weshalb die DDR-Opposition in der Wende bedeutungslos wurde

(erschienen in der Sächsischen Zeitung 12/2012)

 

Immer wieder habe ich mich mit der Frage konfrontiert gesehen, was eigentlich aus der ehemaligen DDR-Opposition geworden ist, und warum aus der Wende ausgerechnet die einstigen Blockparteien der Nationalen Front, allen voran die Ost-CDU als Sieger hervorgingen. Beides sind Weichenstellungen für die Deutsche Einheit geworden und haben das Schicksal der Deutschen Demokratie mitbestimmt. Für eine umfassende Erklärung ist hier nicht der Platz, aber für eine zugespitzte These, die das Wesen der DDR-Opposition betrifft, schon. Sie verfolgte Ziele, die ihr einerseits halfen die Entbehrungen der harten Oppositionsjahre in der DDR zu ertragen, und die ihren Widerstand gegen die SED-Diktatur motivierte. Die gleichen Ziele aber lockten sie auch in eine politische Falle, die sie nicht sahen, und die ihren Handlungsspielraum entscheidend einschränkte.

 

Aus einer Falle gibt es bekanntlich kein Entrinnen. Vom Köder angelockt, wird der Instinkt abgeschaltet, die Freiheit aufs Spiel gesetzt und gegen ein Gefängnis voller Ohnmacht und Todesangst eingetauscht.

 

Die ehemalige DDR-Opposition hat überwiegend nach den großen Lösungen gesucht. Die Überwindung einer Diktatur genügte nicht. Der „Parteienstaat“ westlichen Zuschnitts sollte es nicht sein. Er schien das politische Projekt von gestern zu sein, beladen mit sozialer Ungleichheit, Machtkartellen und medialer Manipulation.

 

Die Opposition suchte nach dem großen Wurf. Demokratie von unten, ein Spektrum von Bürgerinitiativen, Diskurse, und eine freie Zusammenarbeit einzelner, autonom handelnder Initiativen, überwölbt von einer Sehnsucht nach Frieden, Menschenrechten und einer Art Sozialismus mit menschlichem Antlitz, das waren die politischen Visionen der DDR-Opposition.

 

Diese Visionen wirkten zwar diffus. Und es kam dabei auch nicht auf den Begriff des Sozialismus an. Dennoch waren sie den meisten der Oppositionellen so wichtig, dass sie gerne in Kauf nahmen, vom SED-Staat verfolgt zu werden. So blieben sie in der DDR und organisierten hier den Widerstand, der schließlich zur friedlichen Revolution von 1989/90 führte. Das ist das Positive und ein bleibendes historisches Verdienst.

 

Doch hinter ihrem Festhalten am Traum einer besseren Gesellschaft steckte ein Denken, das man als totalitär bezeichnen kann. Indem sie westliche Demokratien ablehnte - ja einige Oppositionelle hassten sie geradezu - konnte sie sich nicht von Entwürfen befreien, die Andersdenkenden keinen Raum mehr ließen. Diese Opposition war nicht wirklich tolerant, obwohl sie Toleranz – zu Recht – von der SED einforderte. Sie hat ihre Opposition gegen die SED-Diktatur nicht zu Ende gedacht, und blieb selber weltanschaulichen Staatsvorstellungen verhaftet. So machte sie ihre ostdeutschen Mitbürger zu Geiseln eines Traums von einem Dritten Weg.

 

Demokratie aber lebt von der Toleranz anderer Wertehorizonte. Sie stellt die Würde des Menschen über Religion, Herkunft und sozialen Stand. Das ist die Stärke der Demokratie und gleichzeitig ihre große Herausforderung. Diese Stärke erst ermöglicht eine sich ausdifferenzierende moderne Gesellschaft mit ihren individualistischen und auseinandertreibenden Strömungen. Andererseits hält gerade die Idee von der Würde des Menschen die Gesellschaft zusammen, weil sie Gemeinsamkeit aller Menschen in den Vordergrund stellt.

 

Zum anderen braucht eine Demokratie Parteien. Denn die verschiedenen politischen Kräfte einer Gesellschaft brauchen Interessenvertreter und Repräsentanten. Manch einem Zeitgenossen scheinen gerade sie im Widerspruch zu den eigenen demokratischen Idealen zu stehen. Ohne sie aber funktionieren weder Parlamente, noch können Mehrheiten oder demokratisch legitimierte Regierungen gebildet werden.

 

Allzuoft verbergen sich hinter fundamentaler Kritik an der Demokratie vordemokratische Wertvorstellungen. Demokratie heißt aber, auch den konkurrierenden politischen Kräften die gleichen Rechte an der Durchsetzung ihrer Interessen einzuräumen, wie den eigenen. Das ist gewiss keine leichte Aufgabe, andererseits die Voraussetzung für Kompromisse. Und deshalb bedeutet Demokratie auch, bereit zu sein, sich an den Herausforderungen des politischen Alltags abzuarbeiten, und mit Hilfe kleinerer Schritte seiner eigenen Vision einer gerechteren und besseren Gesellschaft zu nähern.

 

Der ehemaligen Opposition in der DDR war das zu mühsam. Sie suchte Zuflucht in einer eigenen Utopie, ihres Traums von einem Dritten Weg.

 

Dieser Traum aber war genau der Köder für die totalitäre Falle, in die sich die Opposition der DDR begab.

Nur wenige von ihnen widerstanden dieser Verlockung. Sie waren bereit sich auf den harten Weg des Aufbaus eines demokratischen Rechtsstaates zu machen, und die dafür notwendigen Parteien nicht nur zu bejahen, sondern auch zu organisieren. Die haben sich letztlich durchgesetzt. Und es ist sehr die Frage, welchen Weg die DDR ohne ihre Bemühungen genommen hätte.

 

Dennoch hätte ihr Erfolg weit größer sein können, wären sie von der gesamten Oppositionsbewegung der ehemaligen DDR unterstützt worden. So aber ist von den oppositionellen Initiativen so gut wie nichts übrig geblieben, sieht man vom Namen wie „Bündnis 90“ ab, der heute die Partei der Grünen ziert.

 

Und so erst konnte sich die Ost-CDU, damals eine Blockpartei der SED, plötzlich als Anwalt von Demokratie und der Deutschen Einheit präsentieren. Sie drückte der Schlussphase der friedlichen Revolution von 1989/90 ihren Stempel auf. Dazu hätte es nicht kommen dürfen. Denn die Ost-CDU verkörperte schlimme deutsche Traditionen von Unterordnung und Anpassung. Dies ist nach wie vor eine Belastung für die junge Demokratie in Ostdeutschland, und ein Grund für die verschwindend geringe Bereitschaft der Ostdeutschen sich aktiv im demokratischen Rechtsstaat zu engagieren.

 

Stattdessen lebt in Ostdeutschland der Traum einer allumfassenden, utopischen Gesellschaft weiter. Man kann ihn in der Ostalgie entdecken, und bei manchen Intellektuellen, die noch immer den verpassten Chancen eines besseren Sozialismus nachtrauern. Die totalitäre Falle, die dem vergangen Jahrhundert den diktatorischen Stempel aufgedrückt hatte, bleibt offen, und mahnt, unsere Demokratie lebendig und aufrichtig zu gestalten.