Wozu DDR-Forschung?

 

(Dieser Text ist in der jüngst erschienen Publikation von "Horch und Guck" in leicht veränderter Fassung unter dem Titel "Geschichte, die noch 'qualmt'" veröffentlicht worden.) 

 

Interesse an einem Forschungsgegenstand setzt Neugierde, also ein leidenschaftliches Suchen nach Antworten auf bislang offene Fragen voraus; Antworten, von denen etwas abhängt, Antworten, die das eigene Verhalten bestimmen, also Entscheidungen.

 

Geschichte kann sehr interessant sein. Häufig fördert sie verblüffende Erkenntnisse zu tage. Aber sie sind in der Regel nicht die Folge eines leidenschaftlichen Suchens, sondern eher einer intensiven Beschäftigung mit einem spezifischen historischen Gegenstand. Dem geht das Wissen um bislang unerforschtes, unbekanntes Gelände voraus. Doch ob in diesem Gebiet wirklich Gold gefunden wird, kann kein Forscher vorher wirklich wissen. Er kann es vermuten, mehr aber auch nicht.

 

Und unsereins, als Nicht-Historiker, geschichtsinteressierter Zeitgenosse hat kaum einen Einfluss auf den Forschungsgegenstand der Historiker. Es ist die Entscheidung des Historikers, bzw. die seiner Auftraggeber, seiner Finanziers, auf welchem Forschungsgebiet er tätig werden will, welche Fragestellung er verfolgt. Und erst wenn er dann tatsächlich fündig geworden ist, kommt unsereins ins Spiel. Dann ist es unsere Aufgabe, die neuen historischen Erkenntnisse nachzuvollziehen, zu studieren, zu prüfen und entsprechend zu verinnerlichen, oder zu verwerfen. Das wiederum setzt voraus, dass unser Interesse mit dem des Historikers einigermaßen übereinstimmt. Erst dann kann ein historischer Erkenntnisgewinn Allgemeingut werden.

 

Dieser Verinnerlichungsvorgang ist ein Lernvorgang. Wie alle Lernvorgänge ist er höchst individuell. Wir tun dabei nicht mehr oder weniger, als der Historiker vor uns schon getan hat. Allerdings brauchen wir uns nicht mit seinem mühsamen Suchen, dem Scannen von Dokumenten, der zeitraubenden Archivararbeit zu beschäftigen, sondern mit seinen Erkenntnissen unmittelbar. Dennoch, indem wir seine Erkenntnisse nachvollziehen, werden wir selber zum Historiker. Historisch Interessierte und Historiker rücken gewissermaßen zusammen.

 

Doch wir können dem Historiker nicht einfach seine Erkenntnisse abnehmen, ohne sie uns angeeignet zu haben. Es handelt sich hierbei nicht um formales Lernen, das wäre nichts als Auswendiglernen. Der Historiker ist kein Prediger. Er ist keine Autorität, dem man einfach so abnehmen kann, was er zu Tage fördert. Nein, er muss seine Erkenntnisse schlüssig und zusammenhängend präsentieren. Und wir müssen uns mit seinen Reflexionen beschäftigen, uns mit seinen Prämissen auseinandersetzen. Wir müssen gewissermaßen mit dem von ihm vorgelegten Fakten uns eine eigene Meinung bilden.

 

Das Ganze ist ein höchst spannender, anregender, also morphin-spendender Vorgang. Man kann seine eigene, intellektuelle Freude darin finden. Doch als geistige Selbstbeschäftigung nützt uns das nichts. Die eigene Neugierde muss schon vorhanden sein, sonst macht diese intellektuelle Arbeit keinen Sinn.

 

DDR-Forschung will Zeitgeschichte sein. Nach Barbara Tuchmann also Geschichte, „die noch qualmt.“ Was ist damit gemeint? Was qualmt noch von der DDR?

 

Nun, die meisten von uns haben die DDR, nicht selten am eigenen Leib noch erlebt. Nur die nach 89/90 geborenen erfahren erst durch uns von ihr, lernen also die DDR erst aus zweiter Hand kennen. Und wir, die wir die DDR erlebt haben, sind heute im Alltag in allen gesellschaftlichen Bereichen, Institutionen tätig. Unsere Erfahrungen finden ihren Niederschlag in unserem Tun. So wie wir geprägt sind, durch unsere Erfahrungen und unsere Reflexionen über und aus der DDR, handeln wir heute. Wir selbst sind das Objekt der DDR-Forschung. Wenn wir nicht „qualmen“, wer dann? Das ist bei der Zeitgeschichte immer so, Objekt und Subjekt der Forschung fallen in eins zusammen. Wenn wir also fragen, „Was war die DDR?“, so fragen wir auch, „Und was waren wir in ihr?“

 

Und genauso, wie wir nach uns fragen, so können wir nach unseren Zeitgenossen fragen: Was ist aus den Schuldirektoren geworden? Was aus den Systemträgern der DDR? Was aus den Hauptamtlichen bei der Stasi oder K1, was aus den Hausbuchführern, was aus den Wirtschaftsleuten, den technischen Direktoren, die Politoffizieren, den Sportlern, was aus den Pfarrern, den Oppositionellen, den Republikflüchtlingen, den Spezialheim-Internierten, den Opfern der Zersetzung, der Vertreibung, was aus den Wissenschaftlern, was aus den Lehrern, was aus den Journalisten? Die Reihe ließe sich lange fortsetzen. Und wir stehen hier mit der DDR ja nicht alleine. Wir sind nicht die einzigen, die sie geprägt hat, die sich mit ihr beschäftigt haben. Da sind unsere Verwandten, die DDR-Reisenden, die DDR-Handelsbeziehungen, die DDR-Politik vom Westen aus, die Parteien und Politiker. Und das ist erstmal vielleicht nur die alte Bundesrepublik. Schaut man aber etwas weiter, so ist da der gesamte Ostblock mit Russland an der Spitze, für die die DDR ein Teil ihrer Welt war. Und dann können wir noch etwas weiter schauen, nach Afrika, Mozambique, nach Vietnam, nach Kambodscha, nach Chile nach Griechenland. Überall leben Menschen, für die die DDR ein Teil ihrer eigenen Geschichte war. DDR-Forschung betrifft auch sie.

 

Diese Vergangenheit, die wir alle in der DDR mit uns rumschleppen, ist ja nicht tot, sie ist, um mit William Faulkner zu sprechen „noch nicht einmal vergangen.“ Und doch gibt es viele, die wollen am liebsten nichts mehr von ihr hören oder sehen. Das wird dann kaschiert mit solchen Sprüchen, „Wollen wir uns nicht lieber mit unseren eigenen Problemen beschäftigen, als ständig in der Vergangenheit rumzurühren?“ Solchen Leuten hat Thomas Krüger aus dem Herzen gesprochen, als er die Metapher von der „überforschten DDR“ bediente. Leider steht er damit beileibe nicht alleine.

 

Die ganze DDR-Forschung ist mit sich selbst beschäftigt, in Abwehrkämpfen gegen diese unselige These von der „überforschten“ DDR, andererseits mit dem Propagieren dieser These. Seit 10 Jahren ist sie in der Welt, und scheint so schnell nicht daraus verschwinden zu wollen. Wenn das so weitergeht, wird sie das Schicksal der NS-Forschung teilen. Denn obgleich wir eine große Fülle an NS-Gedenkstätten haben, und immer wieder mit neuen, verblüffenden Details der braunen Diktatur konfrontiert werden, sollte nicht übersehen werden, dass der eigentlich bemerkenswerte Output der NS-Forschung nicht mehr aus Deutschland kommt, sondern z.B. aus den USA. Und das hat damit zu tun, dass noch vor wenigen Jahrzehnten die deutsche NS-Historikerzunft eine analoge Debatte über die „überforschte“ NS-Zeit austrug, wie wir heute in Bezug auf die DDR-Forschung erleben.

 

Vergleicht man die juristische Aufarbeitung der NS-Zeit mit den Prozessen gegen DDR-Unrecht, so wird eine weitere, interessante Parallele deutlich: Die alte Bundesrepublik ist  z.T. präventiv gegen die Strafverfolgung von NS-Tätern vorgegangen; nur etwa 1% der NS-Täter, die in der alten Bundesrepublik gelebt haben, sind strafrechtlich zur Verantwortung gezogen worden. Gegenüber den hauptamtlichen MfS-Mitarbeitern hatte die Bundesregierung vor Vollzug der Einheit noch versucht ein Amnestiegesetz für ehemalige Systemträger der DDR durchs Parlament zu bringen, was dann letztlich an der SPD-Fraktion in der Volkskammer und im Bundestag gescheitert ist. Beweisbar ist es zwar nicht, aber eine offensichtliche Kongruenz zwischen Strafvereitelungspolitik und der Überforschungsdebatte ist jedenfalls auffällig.

 

Das unheilvolle an dieser „Überforschungs“-These ist ihr self-fulfilling prophecy – Charakter. Sie erfüllt sich, in dem sie sich kommuniziert. Produktiv ist diese Debatte jedenfalls nicht. Bestenfalls hat sie eine Verarmung der Forschungslandschaft zur Folge. Nachwuchsforscher lenkt sie ab. Förderinstitutionen bewilligen keine Forschungsgelder mehr. So macht man die DDR zu einer „Fußnote der Weltgeschichte“.

 

Interessanterweise aber stammt diese Metapher von Stefan Heym, der dahinter wohl seine Enttäuschung über den gescheiterten Sozialismusversuch der DDR verbarg. Und damit sind wir mitten in einer weiteren hoch-spannenden Diskussionen über die DDR überhaupt.

 

Was war sie, die DDR? Einerseits Ergebnis der zweiten Weltkrieges, der Teilung Deutschlands, und Russlands größte Westausdehnung, also das Resultat der unter Stalin andauernden russischen und zaristischen Imperialpolitik. Doch war die DDR auch kommunistisch? Daran kann man Zweifel äußern.

 

Es fließt einem locker von den Lippen, die DDR kommunistisch zu nennen. Ihre Staatspartei nannte sich kommunistisch. Sie nannte ihre Weltanschauung kommunistisch. Und ihre Diktatur, wie auch ihr totalitärer Charakter, den manche durchaus in Zweifel ziehen, ich hingegen nicht, waren manifest. Schlimme Wesenszüge, die die DDR zu einem Gefängnis, zu einem Unterdrückungsinstrument in den Händen der SED machten.

 

Wir wissen, dass Lenin, der eigentliche Begründer der Sowjetunion zwar selbsternannter Kommunist war, aber seine Erfindung der Plan- und Staatswirtschaft geht auf die Reichskriegsindustrie des Wilhelminischen Reiches zurück, mit der sich das deutsche Militär im 1. Weltkrieg den Zugriff auf die heimischen wirtschaftlichen Ressourcen sicherte. Wenn man bedenkt, welch zentrale Rolle dieses Wirtschaftssystem für die Sowjetunion und seine Satellitenstaaten in administrativer und ideologischer Hinsicht bedeutet hat, wird klar, dass man den kommunistischen Charakter dieses Systems füglich bezweifeln kann. Wenn man es nämlich nicht mit einem Kommunismus sondern mit der deutschen Reichskriegsindustrie zu tun hat, stellt sich die Frage, was denn Kommunismus eigentlich ist.

 

Man muss kein überzeugter Kommunist gewesen oder Antikapitalist sein, um zu erkennen, welche Bedeutung diese Fragestellung für die Zukunft noch haben kann.

Ähnlich verhält es sich mit der Geschichte des Kalten Krieges. Ihm vorausgegangen war die bedingungslose Kapitulation Deutschlands, die völkerrechtlich gesehen, bis zum Vollzug der Deutschen Einheit anhielt. Dass die DDR am Nabel Moskaus hing, weiß man ja. Doch auch die alte Bundesrepublik war kein souveräner Staat. Ihr außenpolitischer Spielraum endete im Weißen Haus. Weder im Zusammenhang mit der NATO noch in der Gestaltung des Verhältnisses der alten Bundesrepublik zur DDR war eine Politik realisierbar, die den außenpolitischen Interessen der USA widersprach. Das hinderte viele alt-bundesdeutsche Politiker nicht, von Konvergenz zu träumen die nicht nur Folgen auf das Verhältnis zur DDR hatten, sondern bis in Vorstellungen von europäischen Sicherheitsstrukturen ohne die USA einmündeten. Das besondere Verhältnis zur DDR, zur SED war Unfug. Und es stellt sich ja auch als Illusion heraus. Doch die politischen Konzepte aus dieser Zeit, sind heute nicht aufgearbeitet. Deshalb haben wir mit  ihren Folgen zu tun.

 

Es steht die Frage im Raum, wie es kommen konnte, dass die komplette Elite der alten Bundesrepublik ihren Frieden mit der DDR gemacht hat. Nur so konnte es geschehen, dass sie von der friedlichen Revolution 1989/90 total überrascht wurden. Wer den Ursachen aber nachspürt, stößt auf ein unbewältigtes Erbe der Hinterlassenschaften Hitlers. Die Stunde Null sah viele Gutmenschen am Werk, selten aber reuige Sünder, die mit ihrem Versagen vor und nach 1933 Hitler nicht nur ermöglicht haben, sondern auch sonst kaum Widerstand entwickelten, sich im dritten Reich weggeduckt und in politischer Enthaltsamkeit geübt hatten. Nur so konnte Stauffenberg zum Ehrenretter der deutschen freiheitlichen Traditionen werden. Er immerhin hat alles gewagt, aber damit stand er bekannter Weise ziemlich alleine, sonst hätte er das gescheiterte Attentat nicht selber machen müssen. Görderler wollte nicht selbst Hand anlegen, und Adenauer hat rosenzüchtend abstinent den Nationalsozialismus überwintert. Die Reihe ließe sich fortsetzen. Es ist auch bekannt, dass die wenigen Widerstandskämpfer gegen den Nationalsozialismus in der späteren Bundesrepublik geradezu vereinsamt sind, weil niemand mit ihnen zu tun haben wollte.

 

Warum ist das so? Und liegen hier möglicherweise Ursachen für die geradezu ignorante Politik der späteren Alt-Bundesrepublik gegen die oppositionellen Kräften in der DDR? An diesem Verhalten hat sich ja bis heute nichts geändert. Wer unserer Politiker, welche Parteien verfügen z.B. über Kontakte in die oppositionellen Kreise Belorußlands, oder Putins Russland? Wer weiß, welches die treibenden Kräfte für den arabischen Frühling waren, und was sie heute machen? Wer also der Zurückhaltung gegenüber politischen Widerstandsbewegungen in Diktaturen auf die Spur kommen will, wird möglicherweise Impulse für eine neue Außenpolitik gegenüber Diktaturen freisetzen, die Egon Bahr, der der Meinung war, dass in der Beziehung von Staaten Demokratie und Menschenrechte keine Rolle spielen, sondern nur Interessen, Lügen strafen könnten.

 

Interessanterweise gehört gerade auch die Oppositionsgeschichte der DDR zu den nur teilweise bekannten Forschungsgebieten. Sie war allzu lange konzentriert auf die oppositionelle Bewegung der späten 80-ger Jahre, aber einen Gesamtüberblick über die Opposition in der DDR gibt es nicht, die sich in ihren Formen zwar sehr verändert hat, aber immer existiert. Das ist durchaus erstaunlich, weil sie ja im Westen keinerlei Ermutigung erfuhr. Im Gegenteil, als die Arbeiter im Juni 53 auf die Straße gingen, war es der RIAS der sich bemühte, auf die Vergeblichkeit eines solchen Aufstandes hin, die Wogen zu glätten. Später avancierte der gescheiterte Aufstand dann zur sogenannten „zweiten Staatsgründung der DDR“.  Den DDR-Bürgern hätte der Aufstand in den Knochen gesteckt, weshalb sie sich zur Anpassung gezwungen gesehen hätten, das dann andererseits als stillschweigendes Einverständnis mit dem Staat DDR interpretiert wurde. In Polen jedenfalls gehörten die Arbeiteraufstände quasi zum Alltag, in der DDR sind sie die Ausnahme. Woran liegt das?

 

In den letzten Jahren haben wir erleben können, wie einige Fragen der DDR-Forschung überhaupt erst neu entstanden sind. Da haben sich plötzlich die ehemaligen Kinder und Jugendlichen die in den Spezialheimen der DDR interniert wurden zu Wort gemeldet, und auf eine erschreckende Praxis aufmerksam gemacht. Kaum ein DDR-Forscher hatte sich vorher mal damit beschäftigt. Das Thema Zwangsadoptionen schwappte kurz hoch in der Wendezeit. Dann verschwand es wieder. Heute gibt es Kongresse zu diesem Thema. Erst seit kurzem ist das Thema Zwangsarbeit von DDR-Häftlingen öffentlicher Gesprächsgegenstand. Das ist der UOKG und Christian Sachse zu verdanken. Diese Themen sind alle nicht von der offiziellen DDR-Forschung ins Gespräch gebracht worden. Interessant. Was werden die nächsten Themen sein, die uns bis dato unbekannte Facetten des Alltags in der DDR bescheren?

 

Ich bin ja kein Historiker, mich treiben eher politische Fragen um. So zum Beispiel, ob es nicht einen Zusammenhang zwischen dem ostdeutschen Schwerpunkt der PEGIDA-Bewegung als einer Spätfolge der SED-Propaganda und den in der DDR durch die SED unterbundenen Debatten über die gesellschaftlichen Entwicklungsdefizite der DDR gibt. In einer totalitären, geschlossenen Gesellschaft gibt es keine offene Aussprache. Da legt auch niemand die Fakten auf den Tisch. Infolgedessen konnte die DDR-Gesellschaft über ihre eigenen Defizite gar nicht kommunizieren. Das wäre aber nötig gewesen. Dies ist ein Grund dafür, weshalb sich über die DDR so hartnäckig viele Legenden halten. So sei ihr Bildungssystem hervorragend gewesen. Aber Sprachen, moderne Gesellschaftswissenschaften ? Fehlanzeige. Die DDR hätte es Vollbeschäftigung gegeben. Aber die Verrottung des Kapitalstocks, der Zusammenbruch der Infrastrukturpolitik, der eklatante Investitionsmangel zeigen die Kehrseite auf. Überall gab es Probleme, über die nicht geredet wurde: Mietfragen und Zerstörung der Innenstädte, mangelhafter Umweltschutz, Kloaken statt Flüssen, Pseudokrupp als Folge der Luftverschmutzung, Grenzen der medizinischen Versorgung, weil man an die Medikamente nicht herankam. Isolierung der ostdeutschen Wissenschaft vom internationalen Wissenschaftssystem. Die Liste ist lang. Dass unter diesen Bedingungen die ostdeutsche Gesellschaft mit der modernen Gesellschaftsentwicklung des Westens nicht Schritt halten konnte, im Gegenteil, nimmt nicht wunder. Doch wo sind die Untersuchungen über diese Zusammenhänge? Und ist  das nicht ein Problem der ostdeutschen Elite? Wie reflektiert sie eigentlich ihr angepasstes Verhalten in der DDR heute?

 

Und was ist mit der DDR-Kunst? Wieviel namhafte Künstler der DDR sind ein Opfer des Systems geworden, außer Landes getrieben, oder gar in den Selbstmord, wie der Leipziger Pianist Manfred Reinelt Anfang der 60-ger Jahre? Die Solidarität der ehemaligen DDR-Kollegen mit ihren Emigranten und Ausgestoßenen ist nicht sehr hoch. Ohnehin ist die Frage, wie sehr sie sich mit ihrem System eingelassen haben, welchen Preis sie dafür bezahlt haben, und welche Folgen das heute hat.

 

All diese Fragen sind Alltagsfragen. Sie stellen sich von ganz alleine wenn man über die DDR und ihre Folgen nachdenkt, wenn man wachen Auges durch unsere öffentliche Landschaft geht, auf die politischen Phänomene unserer Zeit stößt und sich fragt, wo sind die nur hergekommen. Denn unsere Geschichte ist mehr als nur ein Forschungsgegenstand, sie hat die Grundlagen für unsere heutige Existenz gelegt. An sie aufgeklärt heranzugehen, Fakten herauszuarbeiten, sie zu reflektieren, von ihren Legendierungen abzuschichten, das ist die eigentliche Aufgabe der DDR-Forschung. Sie wird uns, in welcher Form auch immer, noch sehr sehr lange begleiten. Und dafür brauchen wir die entsprechenden Institutionen. Es ist z.B. ein Skandal, dass es noch immer keinen Lehrstuhl für DDR-Geschichte gibt, in der ganzen Bundesrepublik nicht. Vielleicht warten unsere Hochschulen noch damit, bis die USA mal einen solchen eingerichtet hat, oder gar eine russische Hochschule, finanziert von Wladimir Putin. Es ist an der Zeit, dass unsere Historikerzunft sich mal besinnt, und die Institutionen schafft, die für eine angemessene DDR-Forschung unverzichtbar sind.