Gutachterlicher Stellungnahme

 

zum Gesetzentwurf der CDU-Fraktion, der SPD-Fraktion und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

 

Gesetz zur Änderung der Gesetzes über die Rechtsstellung des Sächsischen Landesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (Landesbeauftragtengesetz) und zur Änderung weiterer Gesetze (Drucksache 6/4515)

 

Die Zielstellungen der Landesbeauftragtennovelle, das bisherige Gesetz

  • zu verstetigen und zu präzisieren,
  • an das bereits jetzt bestehende Aufgabenspektrum des Landesbeauftragten inhaltlich anzupassen,
  • die Rechtsstellung zu verändern,
  • und seinen Titel zu anzupassen

sind grundsätzlich sehr zu begrüßen.

 

Als Anlaufstelle für die Bürgerberatung für die Bewertung und den Umgang mit MfS-Kontakten, als politische Beratungsinstanz öffentlicher Stellen beim Umgang mit MfS-Kontakten, als Aufarbeitungsinstanz unserer kommunistischen Vergangenheit und in diesem Zusammenhang als Träger politischer Bildung haben sich in allen ostdeutschen Ländern die Landesbeauftragten bewährt. Das gilt auch für den Freistaat Sachsen. Dieses Aufgabenspektrum entsprach nur vom Grundgerüst her den bisherigen gesetzlichen Auftrag. Seine Erweiterung folgte der Natur der Sache selbst. So wuchsen auch dem sächsischen Landesbeauftragten auf natürliche Weise seine heutigen wichtigen politischen und gesellschaftlichen Funktionen zu.

 

Seine Erfahrungen und angesammelten Kenntnisse über Struktur und Wirkungsweise des Repressionsapparates der DDR, in dessen Zentrum die Staatssicherheit steht, sowie die guten Kontakte als Schaltstelle zu allen öffentlichen insbesondere staatlichen Einrichtungen machten ihn zum idealen Anwalt für die Belange der Opfer der kommunistischen Diktatur. Sie machten ihn darüber hinaus zu einem unverzichtbaren Bildungsträger über den aktuellen Stand des Wissens dieses staatlichen Repressionsapparates, und in diesem Zusammenhang zu einem inzwischen notwendigen Träger der öffentlichen Aufarbeitung der hinter uns liegenden zweiten deutschen Diktatur. Dies macht die Aufarbeitungsarbeit aller anderen Institutionen nicht obsolet, im Gegenteil. Und wir dürfen auch nicht vergessen, dass auch der sächsischen Landesbeauftragte im Kontext der anhaltenden Debatten über unsere totalitäre Vergangenheit und der daraus entstehenden Spannungsverhältnisse weiterhin zu verlässig seine Aufgaben erfüllen können muß. Dazu leistet die hier zu behandelnde Novelle einen wesentlichen Beitrag.

 

Ich bejahe und unterstütze an dieser Stelle ausdrücklich seine in der Novelle benannten Aufgaben und die hier vorgenommenen Strukturveränderungen. Das gilt insbesondere in Hinsicht auf Beratungsstelle für die Opfer der kommunistischen Diktatur, weniger in Hinsicht auf ihre Koordinierung. Dies bleibt die Aufgabe der Opfer, bzw. ihrer Verbände. Und es gilt auch nicht in Hinsicht auf die Koordinierung der öffentlichen Stellen (§3 (11)), was den Landesbeauftragten überfordern würde.

 

Aber natürlich ist der Bildungsauftrag in der Novelle zu Recht benannt und erweitert worden, und auch seine Funktion als Aufarbeitungsinstanz der kommunistischen Diktatur. Allerdings enthebt das andere öffentliche Einrichtungen nicht der Aufgaben ihrer eigenen Verantwortung nachzukommen. So halte ich es für dringend erforderlich, endlich einen Lehrstuhl für die kommunistische Vergangenheit Deutschlands einzurichten.

 

Die Überführung von Rechts- und Fachaufsicht vom Justizministerium zum Landtagspräsidenten ist richtig. Zwar bildet auch der Landtag die gesamten politischen Kräfteverhältnisse nur zum Teil ab. Und seine Kontrollfunktion wird durch den Gegensatz von Regierungskoalition und Opposition überlagert. Dennoch repräsentiert der Landtag i.d.R. die wesentlichen politischen Kräfte des Landes und er kann, wenn er sich die Anliegen des Landesbeauftragten zu Eigen macht, mit  deutlich größerem Gewicht gegenüber der Executive aufreten, als der Landesbeauftragte als nachgeordnete Regierungsbehörde.

 

Die Zielstellung des Gesetztes stimmt in seinen Eckpunkten. Gleichwohl weist der Gesetzentwurf in Sprache, Einzelregelungen und zu wenig durchdachten Strukturvorstellungen deutliche Mängel auf.

 


·         Der Begriff „fortwährend“ im neuen Titel des Gesetzes ist überflüssig. Aufarbeitung findet entweder statt oder nicht statt. Wenn sie stattfindet ist sie immer fortwährend. Es handelt sich also um eine Tautologie. Kann wegfallen.

 

·         Die Präambel bedarf einer Präzisierung und Verschlankung bei der Würdigung des Beitrags der sächsischen Bürger zur friedlichen Revolution und sollte sich auch auf die Stürmung der Stasi-Archive und den Ruf nach Offenlegung der Akten, getreu der Devise „Meine Akte gehört mir“ berufen. Ich schlage Ihnen folgende Alternative vor:

 

In Anerkennung des großen Beitrages der sächsischen Bürgerinnen und Bürger für die friedliche Revolution 1989/90, der Beseitigung der SED-Diktatur und der Errichtung des Freistaates Sachsen in einem geeinten Deutschland,

 

in der Verantwortung gegenüber den Opfern der SED-Diktatur,

 

in der Tradition der 1989/90 erhobenen öffentlichen Forderung der friedlichen Revolution nach Offenlegung der Akten des ehemaligen Staatssicherheitsdienstes der DDR und seiner Vorläuferorganisationen .. (weiter wie bisher).

 

·        In § 1(2) Abs. 1 wird die Beratung und Unterstützung der Verfolgten und Benachteiligten expressiv verbis benannt. Nun haben die Landesbeauftragten bisher und völlig zu Recht allen Ratsuchenden unabhängig von möglichen Verfolgungstatbeständen Auskunft gegeben. Darunter waren auch viele, die keine Opfer der SED-Diktatur sind; auch sie haben Akteneinsichtsrechte und müssen beraten werden. Sie sind ein großer Teil der Ratsuchenden und werden es bleiben. Von daher erscheint mir die Benennung der Verfolgten hier überflüssig, ja schädlich zu sein. Dann würde der Landesbeauftragte ausschließlich zum Anwalt der Opfer. Das können sie nicht wollen.

 

·         Sollten Sie aber bei der Formulierung bleiben, stößt ein weiteres Problem ins Auge. In § 1 (2) 1. wird die „Beratung und Unterstützung von … in der DDR aus politischen und religiösen Gründen Verfolgten und Benachteiligten ..“ als Ziel benannt. Dabei fällt die doppelte Attributisierung ins Auge: politisch und religiös. Abgesehen davon, dass hier eigentliche oder gemeint ist, ist auch dies nicht einfach nur eine Tautologie, sondern es handelt sich um Ober- und Unterbegriff. Auch die Verfolgung Gläubiger Menschen in der DDR, die es massenhaft gegeben hat, hatte rein politischen Charakter. Sie war rein politisch motiviert und Teil der Gesellschaftspolitik der SED, welche jeglichen  Widerstand gegen die Diktatur strategisch langfristig ausschalten, und ihm jegliche Grundlage nehmen wollte. Auch wenn das der SED nicht gelang, ist es doch wichtig, die Motivationslage auch der Verfolgung Gläubiger Menschen zu beschreiben. Insofern ist die Verfolgung aus religiösen Gründen, ein Teil der Verfolgung aus politischen Gründen. Wer religiös aber explizit benennt, steht daher in der Verpflichtung, auch die anderen Verfolgungsgruppen zu benennen. Davon möchte ich abraten, denn dann kommen Sie in Teufels Küche. Sexuell, verhaltensauffällig, Gegner der Zwangskollektivierung, Verfolgung der Ausreiseantragsteller, Akademiker, Zwangsausgesiedelte, etc. wären hier zu benennen.  Wo fangen Sie an, wo hören Sie auf? Ich schlage Ihnen also vor, die Verfolgungstatbestände auf politisch zu beschränken. Das gilt mindestens auch für (2) 4.

 

·         In (2) 2 kann die Benennung „auf dem Gebiet des Freistaates Sachsen“ zu einer kontraproduktiven Einschränkung der Arbeit des Landesbeauftragten führen, wenn bspw. ein Chemnitzer, gebürtiger Rostocker 3 Jahre in Hohenschönhausen saß, und erst nach 1990 nach Chemnitz zog, ist plötzlich der Landesbeauftragte nicht mehr zuständig.

 

·         Der Bildungsauftrag im gleichen Absatz ist deutliche zu eng gezogen. Bildung ist dort erfolgreich, wo ihr so wenig Grenzen wie möglich gesetzt werden. Ich schlage Ihnen vor, Satz 2 bis 4 zu ersetzen durch:

 

§  Die politische Bildung trägt dazu bei, die DDR und ihren Unterdrückungsapparat zu verstehen, den Einsatz für demokratische Werte zu würdigen und das Bemühen um eine freiheitliche und demokratische Grundordnung zu fördern.

 

·         Auch die Doppelung „Verfolgte und Benachteiligte“ (2) 4. und in folgenden halte ich für wenig hilfreich, weil Benachteiligte nicht definiert ist. Hingegen ist der Begriff der Verfolgten ein terminus technicus.

 

·         (2) 3. sollte präzisiert und erweitert werden, denn öffentliche Stellen des Landes kann der Landesbeauftragte nicht koordinieren, andererseits ist er auf die Zusammenarbeit mit weiteren Institutionen angewiesen:

 

§  die Zusammenarbeit mit öffentlichen Stellen des Landes, den im Freistaat Sachsen tätigen Verfolgtenverbänden und Aufarbeitungsinitiativen sowie sonstigen Bildungseinrichtungen, der Konferenz der Landesbeauftragten, der Bundesstiftung Aufarbeitung und dem Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik zu unterstützen.

 

·         § 3 (11) Die Aufzählung der einzelnen Einrichtungen scheint mir  nicht sinnvoll zu sein. Die Aufarbeitungslandschaft ist im Fluß, ganz stark bei den freien Trägern. Was aus dem Bundesbeauftragten wird, wissen wir nicht. Daher schlage ich eine offenere Formulierung vor.

 

§  Zusammenarbeit, Unterstützung und Ergänzung der von anderen öffentlichen und nichtöffentlichen Stellen im Freistaat Sachsen durchgeführten Dokumentations-, Bildungs- und Forschungstätigkeit im Bereich der historischen und politischen Aufarbeitung der SED-Diktatur und der bereits im Vorfeld auf dem Gebiet der Sowjetischen Besatzungszone beginnenden Diktatur, wobei der Schwerpunkt in der Aufarbeitung der Tätigkeit des Staatssicherheitsdienstes und seiner Vorläuferorganisationen liegt.

 

Berlin, den 7.Juni 2016