Die jetzt beginnenden Treffen der „Neuen Horizonten“ waren sämtlich spannende, und Spass-machende Veranstaltung. Sie hatten neben dem erhofften output immer einen Eigenwert. Die Netzwerkbildung startete sofort. Und die persönlichen Anregungen, die jeder davon mitnehmen konnte, waren so intensiv, dass es keinen Teilnehmer gab, der sich enttäuscht von ihnen zurückzog, oder gar das Ende dieser Art brainstorming empfahl.
Das war es, im besten Sinne des Wortes: brainstorming. Manchmal konnte man förmlich zusehen, wie eine Eigendynamik entstand, wo die einen den Gedanken der jeweils anderen fortsponnen. Selbst in den Protokollen, die von jedem dieser Treffen vorhanden sind, ist diese Athmosphäre noch spürbar.
Wir haben uns in den ersten Jahren immer an einem Wochenende getroffen. Und jede dieser Veranstaltungen, die für die Teilnehmer nicht kostenlos waren (diese Idee stammte von Franziska Pfeifer, die meinte, das Menschen für wertvolles bereit sind zu zahlen), wurde garniert mit einer künstlerischen Veranstaltung, oder einem gemeinsamen Ausflug in die Natur, die im Süden Brandenburgs durchaus etwas zu bieten hat.
Eingeleitet wurde der brainstorming – Prozess in der Regel mit einem Vortrag, aus dem inneren Zirkel oder von jemanden von außen. So konnte Wolf-Dieter Grossmann, der ein Experte in Sachen Wissensgesesellschaft war, mit seinen Perspektiven und Chancen, die aus den Umwälzungen dieser Art neuer industrieller Revolution erwuchsen, so beeindrucken, dass daraus unmittelbare Umsetzungsideen entstanden. Es war nebenbei interessant welchen Wert er auf den Faktor gesunde Umwelt als Voraussetzung einer fruchtbaren Regionalentwicklung gelegt hat, was einleuchtete, denn die Region brauchte Zuzug von Top-Leuten. Die wiederum suchen für sich und ihre Familien nach Lebensorten, die über eine gewisse Attraktivität verfügen. Und dadurch steigt der Wert der Umwelt.
Ein anderes Beispiel war Johann Legner, der für die Lausitz Perspektiven weg von einer Braunkohleregion entiwckeln konnte, weil er über spezielle Kenntnisse sowohl über die Energiepolitik des Bundes aber auch der EU mitbrachte, und weil er als stellv. Chefredakteur der „Lausitzer“ natürlich bestens über die Lobbypolitik von Vattenfall im Bilde war. Und so konnte sich hier mal unabhängig von aller politischer Einstellung, und den Einflüssen einer Lobby-Politik, die die Brandenburger Landespolitik in ihre Haftung genommen hatte, ein Bild davon machen, was in der Lausitz passieren würde, wenn sie sich weiterhin nicht den Herausforderungen einer Ausstiegsperspektive aus der Braunkohlverstromung stellen würde.
In guter Erinnerung ist wahrscheinlich auch der Besuch von Oltmann Siemens, der einst Mitarbeiter der Weltbank gewesen war, und sich bestens mit regionaler Vermarktung und Entwicklung auskannte. Und hier flossen nun auch Erfahrungen mit Entwicklungsländer ein, die ja letztlich vor ähnlichen Problemen, wenn auch einer weitaus dramatischeren Ausgangslage standen. Also, warum nicht auch von ihnen lernen.
Wir hatten es mit der Lausitz nicht einfach nur mit einer strukturschwachen Region zu tun, sondern eine mit reichhaltiger Industriegeschichte, die infolge der DDR, der von ihr forcierten einseitigen Braunkohleverstromung und der anschliessenden Deindustrialisierung in den 90er Jahren erst zu einer strukturschwachen Region wirklich wurde. Wer die Region entwickeln wollte, brauchte nicht bei Null anzufangen, sondern die vorhandenen Traditionen erkennen und sie mit neuen Trends verbinden.
Das ist eine schwierige Aufgabe. Sie muss politische Lobbyarbeit mit regionalem Mentalitätswandel in Verbindung bringen. Das konnte nur gelingen, wenn wir ein Meister in der politischen Kommunikation wurden.
Man kommt relativ schnell zu einzelnen Ideen, wenn man sich über seine Region Gedanken macht, ein Zukunftskonzept entwickeln ist da schon schwieriger, aber das auch noch an den Mann zu bringen, überfordert in unseren Tagen auch viele politische Amtsträger.
Am leichtesten, geradezu frappierend aber packte Sewan Latchinian diese Aufgabe an, als er auf die Frage, ob wir unsere Region weiterentwickeln können, mit einem Märchen antwortete. Natürlich, meinte er. Wir bräuchten doch nur Stroh zu Gold spinnen, indem er auf ein Märchen der Gebrüder Grimm „Rumpelstilzchen“ zurückgriff. Zaubern sollten wir also. Im Märchen ging das doch auch. Warum sollte es also, bitteschön nicht auch heute in der Realität möglich sein. Latchinian verbannte das Problem nicht in die Märchenwelt, und erklärte es damit für unlösbar. Nein er nahm den visionären Gehalt des Märchen aus dem Märchen heraus und transportierte, transformierte es in die Politik.
Und natürlich hatte Sewan Latchinian ja auch Recht mit seinem Spruch vom Stroh, das zu Gold wird. Hatten wir nicht in Lausitz viel Stroh, das heisst Sachen im Überfluss, das für die meisten keinen Wert mehr hatte, ja geradezu zum Symbol des Niedergangs der Region wurde? Da waren ja zum Beispiel diese vielen Immobilien, die von ihren Bewohnern verlassen, vor sich hin gammelten, und spottbillig am Markt zu haben waren. Gab es nicht irgendwo auf der Welt Leute, die von so etwas träumten? Das waren doch keine langweiligen Zeitgenossen. Nein, das waren auch Visionäre, die von einem anderen Leben träumten, in der Regel, gebildet und mit Familiensinn ausgestattet. Es konnte doch gar nichts Besseres passieren, als denen ein Angebot auf eine Bleibe hier zu machen. So konnten wir aus Stroh Gold spinnen.
Und dann erzählte Latchinian von der überragenden Qualität der deutschen Provinztheater, von denen er ja eines leitete, und berichtete von einem Akt ihrer Vermarktung, welcher sein Theater mit einem Schlage bundesweit bekannt und attraktiv gemacht hatte. Immer im Blick auf die Analogie, vom einst unbekannten, wenn auch guten Theater auf seine Vermarktung hin zu einer Region, mit ihren bis dato noch unbekannten Potentialen. Was also lag näher, als solche einen Prozess auch für die Lausitz insgesamt zu starten?
Das konnte auf mehreren Ebenen geschehen, sowohl einer digitalen, die sich des Internets bediente, eine Idee, die hinfort die gesamten Treffen begleitete, als auch einer politischen Ebene, die durch ein epochales Event mit einem Schlag die Lausitz bekannte machen sollte. Auch diese Idee begleitete uns.
Viele der Ideen, die wir entwickelten, aufgriffen waren nicht wirklich neu. Die Grenzen, die sich ihrer Realisierung stellten, fanden wir im Mut, resp. Unmut und in Fähigkeiten, resp. Unfähigkeiten. Denn alles was man macht, muss man gut machen. Diesen alten Rat, eine alte Tugend fanden wir nur selten erfüllt. Und dafür gibt es viele Gründe. Hochklassigkeit, Durchschlagskraft ist eine Sache des Willens, also der geistigen Kräfte. Schicksal ist es nicht. Eine Bildungsfrage ist das auch nicht. Und damit waren wir bei einem der weiteren Irrtümer, einer übertriebenen Bedeutung von Bildung für die Entwicklung einer Region. Nicht dass Bildung unwichtig ist, im Gegenteil. Je grösser der geistige Horizont der Schulabsolventen, desto besser ist es für die Regionalentwicklung. Aber dort braucht es auch noch etwas anderes, das an den Schulen eben nicht gelehrt wird: Courage, Selbstbewusstsein und eine individuelle Persönlichkeitsentwicklung. All dies sind sogenannte soft-skills, im Grunde Charaktereigenschaften, die nicht einfach nur angeboren sind, sondern die durch Vorleben und Vorerzählen gebildet werden. Wer so etwas fördern will, da reicht es nicht, nach Finnland zu fahren, um das dortige Bildungssystem anzuhimmeln.
Im Grunde, so konnten wir feststellen, hatte auch unsere Region, alles was sie braucht, um wachsen, gedeihen und blühen zu können. Sie musste nur noch ein bisschen „verrückt“ werden um Spitzenleistungen zu produzieren, oder wie Sokrates es ausdrückte: „Ungewöhnliches ist die Grundlage für Spitzenleistungen“. Wir brauchten nicht mehr zu machen, als Voraus – zu – Denken. Wir mussten Visionen entwickeln, die sich selbst erfüllen können, die nicht einfach selbstverständlich sind, im Gegenteil viel Arbeit erforderten, aber sich im Bereich des Möglichen befinden, und die man nur anpacken und umzusetzen brauchte. Und so entstand die Zukunftsvision schlechthin:
Zuzugsregion Lausitz
Dieser blog ist der vierte Teil einer Auftragsarbeit für eine Festschrift und wird in den nächsten Tagen fortgesetzt.