Die augenscheinliche Gefahr soll ihre Rettung sein

 

 

Antonia Grunenberg

 

Demokratie als Versprechen

Warum es sich lohnt, für die Freiheit zu kämpfen

 

208 Seiten, gebunden

 

ISBN 978-3-95890-495-8

 

 

Für Antonia Grunenberg ist Demokratie weit mehr als nur eine Staatsform, rechtsstaatlich verfasst, ihre Gewalten teilend und frei gewählt. Für die Autorin ist die Demokratie schlicht die Daseinsform unserer offenen Gesellschaft, nachhaltig, Gefährdungen aufnehmend, ja witternd und sie durch Streit und Debatte erkennend und bewältigend. 

 

Während andere, in der Regel sogar die Mehrheit in der Gesellschaft sich eher gestört fühlen durch den offensiv vorgetragenen Klimaprotest, die LGBTQ-Bewegung, durch Phänomene wie Technikfeindlichkeit, Corona-Leugnern oder Impfverweigerern, sind es letztere, die die Gesellschaft in Bewegung halten, die sie sie stören, in Bewegung setzen und zwingen, zur Kenntnis zu nehmen, was verdrängt wird. 

 

Es ist wohl wahr. Auch eine offene Gesellschaft versteht es sehr gut, sich abzuschotten vor ihren Gefährdungen, nicht zur Kenntnis zu nehmen, was in ihr geschieht, und mehr mit Verdrängung und Tabuisierung reagiert, als erhöhter Sensibilität für die Untiefen unserer gesamten Existenz. 

 

Das also was die einen als Gefährdung unserer Demokratie ansehen: Proteste auf der Strasse, Warnungen vor Untergang, oder eines konservativen, autoritätsfixierten Glaubens an die Handlungsfähigkeit unseres Staates und der ihn führenden politischen Eliten, das stärkt eigentlich die Demokratie erst, macht sie resilient und überlebensfähig. 

Antonia Grunenberg schreibt, dass sie froh gewesen sei, dass bspw. durch die Corona-Leugner überhaupt unsere Gesellschaft wahrgenommen habe, wie sehr das Einschränken der Freiheitsrechte in Folge der Pandemie-Bekämpfung zu einer Gefahr für die Demokratie selbst geworden sei. 

 

Sie macht die Verkünder von Gefahren nicht verantwortlich für die Gefahr selbst. Für sie ist die Hauptgefahr der Demokratie das Nichtwahrhabenwollen von Trends und Entwicklungen, die unser Leben auf neue Grundlagen stellen. Und erst dieses z.T. sogar aggressive Vortragen und Hineintragen dieser Gefahren, ihre Bewusstmachung in unseren gemeinsamen Diskurs macht die Demokratie widerstands- und lebensfähig. 

Das, in etwa ist die Botschaft der Antonia Grunenberg. Und sie hat Recht damit. Sie rechtfertigt nicht die Grenzüberschreitungen, das Irrationale, oder das Unvernünftige, dass diesen Protest-Bewegungen immer wieder auch anhaftet. Ihr ist die Botschaft selbst wichtig. Wir müssen zur Kenntnis nehmen, was uns vor Augen geführt wird, wir müssen uns damit beschäftigen, und schauen wie wir damit umgehen. Eines aber geht nicht, wegschauen, verdrängen, kriminalisieren. 

 

Das in etwa ist der Grundtopos, der das ganze Buch durchzieht. In ihrer Rückschau thematisiert sie das Aufnehmen anstößiger Themen in den gesellschaftlichen Diskurs. Natürlich kommt da die 68er Bewegung zur Sprache, und ihr Abgleiten in den Terrorismus. Das aber erst, nachdem ihre Themen in den Diskurs aufgenommen wurden.   

Schwächephasen sind in Demokratien nichts Ungewöhnliches. Offene rassistische, fremdenfeindliche Erscheinungen wie in den USA einerseits, oder eine Art bleierne Lethargie wie in der Bundesrepublik der 50er Jahre stehen im krassen Gegensatz zum Versprechen der Demokratie einer offenen, lebendigen Gesellschaft, in der die Wert von Gleichheit und Gerechtigkeit gelebt werden, und in der ein jeder sich entfalten können dürfte. Paradoxien nennt Antonia Grunenberg diese Zustände und schildert sie anschaulich an Hand ihrer eigenen Erfahrung noch als Kind in beiden deutschen Staaten der 50er Jahre und als Hochschullehrerin in den USA. Was mich allerdings als Leser daran gewundert hat, war die Schilderung ihres Dresdner Milieus nach dem Ende des Krieges bis in die 50er Jahre hinein, das in ihren Augen Aufbruch und Hoffnung verkörperte. Gleichwohl musste die Familie fliehen. So viel Aufbruch kann es also gar nicht gewesen sei, bzw. ein Aufbruch mit Scheuklappen für die alltäglichen politischen Repressalien die die Gesellschaft in der DDR unter der stalinistischen SED damals erleiden musste. Dass natürlich die alte Bundesrepublik mit ihrer unaufgearbeiteten NS-Geschichte, über die sie nicht sprechen mochte, ja deren ehemalige Funktionsträger in allen möglichen neuen demokratischen Funktionen diese junge Republik ja auch repräsentierten, ja auch keine Werbung für die Demokratie gewesen war, kann man schon eher nachvollziehen. Aber hatte nicht auch die DDR-Gesellschaft ein Nazi-Problem? Bei Antonia Grunenberg liest man dergleichen nicht. Sie bleibt hier ihrer eigenen persönlichen Innensicht verhaftet, die die Verhältnisse in der damaligen DDR nur als Zeitzeugin reflektiert. Und Zeitzeugen mögen ja authentisch sein, aber sie können auch gleichzeitig hemmungslos subjektiv und unausgewogen daherkommen. 

 

Überhaupt haftet ihren Schilderungen nicht selten etwas klischeehaftes an, ein Vorwurf allerdings, den man vielen politischen Sachbuchautoren machen kann. 

 

Spannend zu lesen aber wird ihr Buch (erst) im letzten Kapitel „Demokratie gefährdet sich selbst und hat die Fähigkeit zur Regeneration:Fünf Thesen“ denn das ist ein leidenschaftliches Plädoyer für mehr debattieren und streiten miteinander, ein Plädoyer für Pluralität und Respekt voreinander. 

 

So gibt sie mit ihrer zweiten These zu bedenken, dass „das Volk immer die anderen“ sei. Und das ist natürlich richtig, und wird nur selten zu Ende dekliniert. Wir, die wir in unseren eigenen spezifischen Milieus, dem Freundes-, Familien und Kollegenkreis, unseren beruflichen und sozialen und Kommunikationsbezügen leben, nehmen noch die Diversität unserer Gesellschaft nur selten zur Gänze wahr. Das sind in unseren Augen die anderen. Aber sie gehören ja dazu, sind genauso Teil unserer Gesellschaft wie wir. Wir sollten nicht in die Falle gehen, unsere eigene alltägliche Welt, unseren persönlichen

Erfahrungshintergrund, oder unsere spezifische Blase in den sozialen Netzwerken, in der wir gerade unterwegs sind, für das Ganze zu halten. Die Demokratie beinhaltet die ganze Gesellschaft und nicht nur unsere persönliche, meist begrenzte Welt. Und die Lebenswelten der anderen darf man nicht wegzudiskutieren versuchen. Die Erfahrungen, die hier entstehen, die hier reflektiert und in den Diskurs eingespeist werden, sind genauso Teil unserer gesellschaftlichen Wirklichkeit, wie unsere eigenen. Und deshalb müssen sie nicht einfach nur ausgehalten werden, nein, eigentlich müssen sie sogar begrüßt werden, selbst da, wo sie gelegentlich als irrational oder zumindest unvernünftig daher kommen mögen. 

 

Das erinnert an Adorno und Horkheimer, die in der Dialektik der Aufklärung sehr schön beschrieben haben, dass alle Narrative, mit denen die Menschen die Erscheinungen um sich herum versuchen zu beschreiben, auf einander Bezug nehmen, und sich gegenseitig weiterentwickeln. 

 

Und doch geht es dabei nicht um die Vision einer innergesellschaftlichen Harmonie schlechthin. Es geht auch nicht um die Idealisierung eines friedlichen und gutnachbarschaftlichen Miteinander Lebens. Denn es muss schon gelegentlich mal gesagt werden, wenn jemand fremdenfeindlich, hasserfüllt, antisemitisch daherkommt. Aber muss man jemanden den Mund verbieten, wenn der die scheinbar falschen Themen anspricht, die scheinbar falschen Worte benutzt? Kommen wir mit Sprachtabus und Cancel Culture wirklich weiter? Löst das unsere innergesellschaftlichen Konflikte? 

Demokratie verspricht Gleichheit. Die gilt unbedingt. Und Demokratie verspricht Entfaltung. Das bedeutet, dass jeder und jede das Recht hat, sich einzubringen, in den Diskurs, in den öffentlichen Protest, und in unsere politischen Entscheidungsprozesse. Das mag gelegentlich stören, das mag in Frage stellen, und das verändert unsere Gesellschaft. Aber genau dadurch regeneriert sie sich, wie Antonia Grunenberg bemerkt. Das gilt im übrigen innen- wie außenpolitisch. 

 

Und genau deshalb lohnt es sich, für die Freiheit zu kämpfen. Denn Freiheit ist, wie es Rosa Luxemburg mal so schön formuliert hat, immer die Freiheit der anderen. Sie ist ein Gut der Demokratie, ihre Voraussetzung genauso wie ihr Garant. 

 

Das hat Antonia Grunenberg schön herausgearbeitet. Und doch ist das nur die halbe Wahrheit. Denn was tun, wenn wir eine politische Kraft beginnt zur Gewalt zu greifen, ja sie in ihre politische Konzeption mit einzubeziehen, wenn sie gar beginnt zum Mittel des Terrors zu arbeiten. So weit weg sind ja nun einige Aktivisten der Klimabewegung nicht davon weg. Wir erleben das ja gerade bei der „letzten Generation“. 

 

Und was ist, wenn eine politische Kraft, ganz bewusst fremdenfeindlich, rassistisch, gar antisemitisch ist oder wird? 

 

Als die Nazis seinerzeit zwar zur Macht griffen, da taten sie beides, zu Mitteln des Terrors greifen und auf der antisemitischen Klaviatur spielen. Und sie lehnten ganz offen die Demokratie ab, und versprachen sie abzuschaffen. Sicher fußte ihr politischer Erfolg auch auf der Weltwirtschaftskrise und ihren schlimmen Folgen sozialer Verelendung. 

Das von Frau Grunenberg empfohlene Konzept der Integration der Themen, die von neuen politischen Bewegungen in die Gesellschaft getragen werden, hat dort seine Grenzen, wo es um die Demokratie als solche geht, wo sie abgelehnt wird, oder gar abgeschafft werden soll, und es hat Grenzen, wo eine politische Kraft anderen Menschen bei uns das Daseins- bzw. sogar das Lebensrecht abspricht. 

 

So richtig es ist, sich neuen, auch unangenehmen Themen zu stellen, in den demokratischen Diskurs mitaufzunehmen, so wenig darf man sich etwas vormachen, wenn es um die Demokratie als solche geht. Die funktioniert nur, wenn sich ein hinreichend großer Teil der Gesellschaft in Wort und Tat zu den Prinzipien des demokratischen Zusammenlebens bekennt. Wo das nicht der Fall ist, ist eine Demokratie in Gefahr. Und deshalb muss eine demokratische Gesellschaft für sich selber werben. Dazu gehört sicher,  die politischen Anliegen aller ernst zu nehmen, dazu ein gehört ein fairer und respektvoller Umgang untereinander und natürlich gehört Bildungsarbeit dazu. Aber es gibt Situationen, da reicht das nicht aus, da muss man kämpfen, da muss man deutlich werden, und da muss man auch zu staatlichen Mitteln, polizeilichen und juristischen Mitteln greifen. Und dann muss man auch auf die Strasse gehen, oder gar zum Mittel des Generalstreiks greifen. Es kann sein, dass das zum Schluss alles nichts hilft. Aber es muss gemacht werden. 

 

Demokratie fusst auf Freiwilligkeit und auf Bekenntnis. Dafür müssen die Menschen frei sein. Vernunft gedeiht in der Freiheit am besten. Aber eine Garantie dafür gibt es nicht. 

So gesehen hat auch Antonia Grunenberg sich wieder nur mal an diesen ewig währenden Versuchen beteiligt, für die Stabilität einer Demokratie eine Patentlösung zu liefern, die es doch gar nicht geben kann.