Eine schwächelnde Demokratie erst ermöglicht den Rechtsextremismus

Hubertus Buchstein, Gudrun Heinrich (Hrsg.), Rechtsextremismus in Ostdeutschland - Demokratie und Rechtsextremismus im ländlichen Raum, Wochenschauverlag Schwalbach 2010, 538 S.

Rechtsextremismus muss nicht sein, er lässt sich wirksam bekämpfen und eindämmen. Das kostet Zeit und Mühe, es braucht engagierte Mitbürger, Partner und das Bewusstsein in den lokalen, politischen, wirtschaftlichen und auch kirchlichen Eliten von gemeinsamen Werten der Demokratie, dem Nutzen und Wert unserer offenen Gesellschaft. Die Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus ist daher immer auch eine Auseinandersetzung mit den Grundlagen der Demokratie selbst. Der Rechtsextremismus hat dort eine Chance, wo diese Grundlagen nicht verstanden wurden, und nicht gelebt werden.

 

Dennoch, in den langen Jahren, die ich als Bundestagsabgeordneter einen Wahlkreis im südlichen Brandenburg zu pflegen, zu verteidigen und zu betreuen hatte, wäre ich sehr dankbar über dieses Buch gewesen. Denn sein Wert speist sich nicht durch die Wiederholung einer an und für sich alten Erkenntnis, sondern durch fundierte, konkrete Analysen, durch Diskussion der rechtsextremen Strategien, sowie möglicher demokratischer Gegenstrategien.

 

Wer sich vor Ort mit rechtsextremen Brückenköpfen, Haltungen, Aktionen, national befreiten Zonen, mit kleinlauten Bürgermeistern, oder ignoranten Ordnungsamtsleitern konfrontiert sieht, für den ist dieses Buch mehreres in einem: Ratgeber, Nachschlagewerk und Analysewerkzeug zugleich. Sein Nachteil ist zugleich ein Vorteil. Es ist schwer zu lesen, kein Roman, keine Heilsgeschichte, sondern eine z.T. langatmige, wissenschaftliche Gemeinschaftsarbeit eines jungen Teams von Soziologen, deren Begrifflichkeit und deren soziologischen Denken sich manchmal so gar nicht dem Alltagsdenken eines politischen Akteurs vor Ort erschließen wird. Doch genau deshalb ist es seriös. Es werden eben keine Thesen ausgesprochen, die nicht belegt sind, die Fragestellungen sind z.T. sehr abstrakt, aber treffen den Kern der Auseinandersetzung mit rechtsradikalem Gedankengut. Und das Buch suggeriert nicht, dass das Kämpfen für Demokratie eine leichte Übung sei.

 

Das Autorenkollektiv behandelt den Rechtsextremismus nicht wie manch eine spät- oder postmarxistische Analyse allgemein gesellschaftliche Probleme, wo immer die Schuldigen in Wirtschaft und Politik ausgemacht werden, und zudem die Gesellschaft so dargestellt wird, als sei sie von außen oder oben beliebig lenkbar, wenn nur der richtige Wille vorhanden ist.

 

Dabei werden in dem Buch durchaus Skandale dargestellt. Da ist der Ordnungsamtsleiter einer vorpommerschen Kleinstadt, der mit den Ideen einer rechtsextremen Sekte liebäugelt, oder das Gymnasium, das einen rechtsextremen Schüler zum Schulsprecher gemacht hat, obwohl der noch einige Jahre vorher mit Hitlergruß über den Schulhof marschiert ist, und heute für die Sekundärtugenden unter den Mitschülern sorgt. Er der seine alten Haltungen nicht abgelegt, verkörpert sie sogar auf eine sehr subtile Weise weiter. Oder da gibt es eine Studie über die den Rechtsextremismus begünstigenden Hintergründe in einer anderen Kleinstadt, die die Gemeinde nicht diskutieren will, genau weil sie sich diesen Hintergründen nicht stellen will.

 

Aber es gibt eben auch die erfreulichen Beispiele einer erfolgreichen Eindämmung der rechtsextremen Aktivitäten. Das gelingt eigentlich immer, wenn sich mindestens ein, zwei Leute finden, die das wirklich wollen. Da ist der Bürgermeister von Rheinsberg, der anfänglich den Rechtsextremismus nicht ernst nehmend, dann aber doch durch ein Unglück aufgeschreckt, Rheinsberg zu einem Modellfall des Kampfes gegen rechts machte. Oder die Bürgermeisterin eines Ortes Mecklenburg, die sich nie von den dortigen, übrigens aus dme Westen kommenden NPD-Aktivisten die Butter vom Brot nehmen liess. Sehr lesenswert sind die Schilderungen der Bemühungen in einer Gemeinde im Elbsandsteingebirge, wo die NPD ihre Hochburgen etablieren konnten. Es ist eine einzige Frau, die sich gegen die NPD stemmt, und ihre Mitbürger und lokalen Eliten dazu bringt mitzutun. Da sich das rechtsextreme Milieu hier bereits sehr verfestigt hat, sind die Ergebnisse nur scheinbar geringwertiger, gemessen an der prekären Ausgangslange muß man hierfür wirklich viel Lob zollen.

 

Diese Beispiele werfen ein Licht auf Schwächelsymptome unserer Demokratie, die aber nur von innen heraus zu überwinden sind. Demokratien brauchen Demokraten, das war schon immer so. Ostdeutschland ist da keine Ausnahme. So gesehen sind erfolgreiche Rechtsextreme eine Spiegel defizitärer Demokratie.

 

Um den Rechtsextremismus zu bekämpfen braucht man keine Seminare, man muss sich nicht in das Denken der Rechtsextremen einfühlen, wiewohl das nicht schaden kann. Eigentlich muss man nur die Demokratie selber leben. „Bunt statt Braun!“ heißen folgerichtig einige erfolgreiche Bürgerinitiativen, die ein überparteiliches Bündnis organisieren, dass Gegenmaßnahmen und Interventionen realisieren.

 

Immer wieder ist auffällig, dass die Bürger selbst den Rechtsextremismus nicht wollen. Er ist ihnen zu gewalttätig, zu sehr von gestern, unheimlich und unverständlich. Und die rechtsextremen schaffen es auch nur ganz spärlich ihre jeweiligen Parteien, insbesondere die NPD mit neuen Mitgliedern zu vergrößern. Das will niemand. Doch ihre Parolen gegen die Ausländer, gegen das System von Bonzen, das nur an sich selber denkt, treffen doch den Nerv manch eines zu kurz gekommenen, was einige gute Wahlergebnisse durchaus erklärt.

 

Wer also gegen Rechtsextreme etwas machen will, hat auch eine unterentwickelte offene Gesellschaft, ein Klima von unterdrückter Angst und Feigheit gegen sich. Wer schon einmal versucht hat, einen ängstlichen Bürgermeister zu einer mutigen Tat zu animieren, weiß, welche Energien jene mobilisieren müssen, die national befreiten Zonen zurückdämmen wollen. Im Grunde braucht man die Mentalität eines Pfarrers dazu. Der sieht bekanntlich die Menschen als eine Herde von Schafen an, die sich zwar verirren können, aber niemals verloren gehen. Das ist nicht jedermanns Sache. Ins politische übersetzte braucht man eine gehörige Portion Mitmenschlichkeit dazu, ein Wert, den der europäische Verfassungsentwurf, aufgenommen in die Lissaboner Verträge immerhin als für die Demokratie grundlegend formuliert hat. Doch dann geht die Post ab:

 

Zuerst mal muss man sich öffentlich dem Problem des Rechtsextremismus stellen, sagen was ist, und dem rechtsextremen Milieu den Kampf ansagen. Dann muss man sich ihnen entgegenstellen, am besten gemeinsam, mit vielen anderen, am besten dort, wo die Rechtsextremen sich am stärksten fühlen. Interventionen nennen die Autoren das, und meinen damit Bürgerfeste, Gegendemos, demokratische Bekenntnisse, das Schließen rechtsextremer Jugendtreffs usw.. Demokratie braucht Gesichter, und sie muss im täglichen Umgang vorgelebt werden. Das heißt Meinungen nicht nur haben sondern auch sagen, eigene Wege gehen, sich lösen von den Autoritäten. Selber handeln macht erfolgreich. Die Autoritäten kommen schon, wenn es durchschlagende Initiativen gegen rechts gibt.

 

Man muss kein Politiker sein, um einen solchen Prozess anzustoßen. Und man darf sich dabei nicht überheben. Alleine ist das nicht zu schaffen. Aber mit einem oder zwei Partnern kann man schon sehr erfolgreich anfangen. Man muss Geduld haben, also einen langen Atem. Erfolge gibt es immer, doch ein verfestigtes rechtsextremes Milieu wie in der sächsischen Schweiz ist extrem hartleibig. Dort wird es noch lange dauern.

 

Weil der Rechtsextremismus sich insbesondere in Ostdeutschland etabliert hat, haben sich die Autoren auch in erster Linie Ostdeutschland gewidmet. Doch zu Recht sind deren Fallbeispiele mit einigen westdeutschen und einem Schweizer Beispiel komplettiert worden. Ostdeutschland ist zum Tummelplatz von westdeutschen rechtsextremen Aktivisten geworden, weil die glauben hier ein leichteres Spiel zu haben, als in der bei allem Abstand doch gefestigteren Demokratie als der ostdeutschen. Das gibt schon zu denken. Der Rechtsextremismus hier ist nicht eine unmittelbare Folge der DDR selbst. Sondern die Schwäche der Demokratie als Spätfolge der totalitären Gesellschaft in der DDR ist es, die heute den Rechtsextremismus begünstigt.

 

Und dann ist da das Problem der linksradikalen Haltungen insbesondere in der Linkspartei auf dem Gebiet der ehemaligen DDR. Von dieser Partei, die ja mal SED hieß und selber eine Diktatur errichtet hatte, regieren ja heute einige in Ostdeutschland. Doch die Bündnisse gegen rechts beziehen heute fast bedenkenlos Vertreter der Linkspartei mit ein, als ob die nicht auch eine dunkle Vergangenheit hätten, wie die NPD auch. Damit setzen sich die Autoren nicht auseinander, manchmal aber schimmern im Buch die daraus entstehenden Probleme hervor. Linke Bürgermeister mit einen autoritärem Staatsverständnis vermögen kaum einmal die emanzipatorischen Potentiale in ihrer Gemeinde zu erkennen.

 

Getreu dem Buch aber würde ich sagen: Macht nichts, auch wenn die Demokratie schwächelt, lohnt sich ein Kampf gegen national befreite Zonen und für die Buntheit unserer Demokratie immer. Er ist nicht nur grundsätzlich sinnvoll, sondern auch aussichtsreich.